Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Angst vor Pakistans Atombomben

USA sorgen sich um Sicherheit der nuklearen Arsenale

Von Olaf Standke *

Kein Wunder, dass die pakistanische Regierung die Veröffentlichung vertraulicher Washingtoner Depeschen durch Wikileaks so scharf verurteilt hat. Dabei ist es nicht einmal das Hauptproblem, dass sich der saudische König Abdullah abfällig über den mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontierten Präsidenten Asif Ali Zardari geäußert haben soll: »Wenn der Kopf fault, wirkt sich das auf den ganzen Körper aus.«

Wie die »New York Times« berichtet, fürchtet Zardari sogar sein eigenes Militär, das ihn »aus dem Weg räumen« könnte, wie er im Januar 2009 dem damals designierten USA-Vizepräsidenten Joe Biden anvertraute. Und vor allem sind Washingtons Sorgen um die Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen weitaus größer als bisher bekannt.

So war und ist man sehr im Zweifel, ob die pakistanische Führung wirklich alles gegen die Islamisten im eigenen Land tut – trotz der enormen Hilfsgelder. Allein aus dem »Coalition Support Fund«, mit dem sich die USA militärische Kooperation im »Krieg gegen den Terror« erkaufen, flossen in den vergangenen neun Jahren über sieben Milliarden Dollar, niemand erhielt mehr CSF-Mittel. Zugleich sorgt man sich um Pakistans Nuklearpotenzial. Zum einen, weil Militante Kernwaffen stehlen könnten, wie Botschafterin Anne Patterson laut »Guardian« nach Washington meldete. Und mehr noch wegen der Gefahr, dass »jemand, der in den Anlagen der pakistanischen Regierung arbeitet, nach und nach genug Material rausschmuggelt, um irgendwann eine Waffe zu bauen«.

Offiziell gab man sich immer ganz anders. Nachdem Kämpfer des »Punjab-Arms« der Tehreek-e-Taliban im Vorjahr sogar das schwer bewachte Armee-Hauptquartier angegriffen hatten, erklärte Außenministerin Hillary Clinton: »Wir vertrauen der pakistanischen Regierung und der Kontrolle des Militärs über ihre Nuklearwaffen.« Pakistan, das den Atomwaffensperrvertrag bisher nicht unterzeichnet hat, zündete 1998 erstmals eine Atombombe. Das Militär soll heute über 80 bis 100 nukleare Sprengköpfe verfügen. Indirekt fließen rund 100 Millionen Dollar aus den USA in das Nuklearprogramm. Offiziell sind sie dafür vorgesehen, die Arsenale vor dem Zugriff von Al Qaida, Taliban und anderen Extremisten zu schützen.

Obwohl Washington hinter den Kulissen Islamabad seit 2007 massiv bedrängte, weigerte man sich dort, hochangereichertes Uran aus einem Forschungsreaktor zu entfernen und abgebrannte Brennelemente in die USA zu verbringen. Und auch Bemühungen, die Freilassung des Atomwissenschaftlers Abdul Qadeer Khan zu verhindern, schlugen fehl. Der umstrittene »Vater der islamischen Atombombe« soll seine Kenntnisse auch an Libyen, Nordkorea und Iran weitergegeben und diese Länder mit Bauplänen und Zentrifugen zur Urananreicherung unterstützt haben. Er war 2004 vor allem auf Druck der USA unter Hausarrest gestellt worden; angeklagt oder gar verurteilt wurde er nie. Nachdem ein Gericht am 6. Februar 2009 seine Freilassung angeordnet hatte, steht Khan inzwischen wieder unter Hausarrest.

Die Wikileaks-Dokumente zeigten deutlich, dass man genau wisse, das eigene Atomprogramm zu verteidigen, heißt es in Islamabad. »Wir haben unsere nationalen Interesse sehr gut geschützt und werden das auch in Zukunft tun.« Was in den jetzt veröffentlichten diplomatischen Depeschen offenbar nicht zu lesen ist: Laut US-amerikanischen Geheimdienstinformationen bereitet sich Pakistan auf eine Ausweitung der Produktion von atomwaffentauglichem Brennstoff vor. Satellitenaufnahmen legten nahe, dass man für eine »zweite Generation« von Nuklearwaffen drei neue Atomanlagen baut.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Dezember 2010


Zurück zur Pakistan-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage