Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Atomarsenal verdoppelt

"Washington Post": Pakistan soll über 110 Nuklearwaffen verfügen *

Die Zeitung »Washington Post« hat unter Berufung auf regierungsunabhängige Experten berichtet, dass Pakistan sein Atomwaffenarsenal in den vergangenen Jahren offenbar nahezu verdoppelt hat.

Vor vier Jahren sei das Arsenal auf bis zu 60 Atomwaffen geschätzt worden, heute könnte Islamabad bereits über 110 Nuklearwaffen verfügen, zitierte die US-Zeitung den Präsidenten des Instituts für Wissenschaft und Internationale Sicherheit, David Albright. Die Schätzungen stützen sich auf die jüngste Plutonium-Produktion und die Anreicherung von Uran in dem Land. Pakistan hätte damit seinen Erzrivalen Indien überholt, der schätzungsweise 60 bis 100 Atomwaffen besitzt, hieß es.

Unterdessen hat die Festnahme eines Mitarbeiters der US-Botschaft in Pakistan zu schweren diplomatischen Verstimmungen zwischen den beiden Ländern geführt. Die US-amerikanische Botschaft forderte die sofortige Freilassung des Diplomaten, der zwei Männer in der ostpakistanischen Stadt Lahore erschossen hat. Nach Angaben der Botschaft hatte er zur Selbstverteidigung das Feuer eröffnet. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt der Provinz Punjab, Rana Bakhtiar, widersprach dieser Darstellung. Bakhtiar sagte in der Provinzhauptstadt Lahore, es habe sich nicht um Selbstverteidigung gehandelt, da beiden Opfern in den Rücken geschossen worden sei. Aus dem Außenministerium in Islamabad hieß es, man vermute, dass der Schütze dem US-Geheimdienst CIA angehöre. Der Mann, der nach Polizeiangaben Raymond Davis heißt, blieb ungeachtet der Forderung der US-Amerikaner in Polizeigewahrsam.

Die US-Botschaft hatte den pakistanischen Behörden vorgeworfen, mit der »ungesetzlichen Festnahme« des Diplomaten, der Immunität genieße, gegen internationale Abkommen verstoßen zu haben. Nach Angaben der Botschaft hatte sich der US-Amerikaner am Donnerstag in Lahore zwei Bewaffneten auf einem Motorrad gegenüber gesehen. Er habe »jeden Grund zur Annahme gehabt, dass die bewaffneten Männer ihm körperlichen Schaden zufügen wollten«. Nur Minuten vorher hätten die beiden einen Einheimischen in der Gegend ausgeraubt.

Gegen den US-Amerikaner wird nun wegen Mordes ermittelt. Mord kann in Pakistan mit der Todesstrafe geahndet werden. Ein Gericht hatte nach der Tat entschieden, dass der Mann sechs Tage in Polizeigewahrsam bleiben muss, um den Sicherheitskräften Zeit für Ermittlungen zu geben. Ein Sprecher des pakistanischen Außenministeriums wollte zu dem Fall nicht Stellung nehmen. Er sagte, die Angelegenheit sei zunächst Sache der Polizei und der Justiz. Islamisten demonstrierten dafür, den US-Amerikaner zu hängen.

Bei zwei Anschlägen im Nordwesten von Pakistan sind am Montag mindestens sechs Menschen getötet worden, darunter vier Polizisten. Nach Angaben von Polizei und Behörden sprengte sich in einem Vorort von Peshawar ein Jugendlicher in der Nähe eines Polizeiwagens und riss fünf Menschen mit in den Tod. Elf Personen wurden bei dem Selbstmordanschlag verletzt, viele von ihnen schwer. Bei einer Bombenexplosion starb kurz darauf ein weiterer Polizeibeamter, drei Menschen wurden verletzt. Für die Attentate übernahmen die pakistanischen Taliban die Verantwortung.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2011


Atomare Stolpersteine

Von Olaf Standke **

Fünf Menschen wurden gestern bei einem Selbstmordanschlag in der Provinzhauptstadt Peshawar ermordet. Am Tag zuvor waren es bei einer Bombenexplosion in einem viel befahrenen Verkehrstunnel mindestens acht. Alltag in Pakistan, wo zudem sechs Monate nach Beginn der Jahrhundertflut noch immer über vier Millionen Menschen in Notunterkünften darben müssen. Die Regierung jedoch bleibt vor allem mit sich selbst und der Opposition beschäftigt. Ist schon jeder Fakt für sich Besorgnis erregend, könnte diese Lage schnell zur grenzüberschreitenden existenziellen Gefahr werden. Denn während Pakistan längst mehr Kriegsopfer zu beklagen hat als das benachbarte Afghanistan und vollends ins Chaos abzudriften droht, hat es sein Atomwaffenarsenal weiter ausgebaut. Experten sprechen inzwischen von über 110 nuklearen Sprengköpfen, vor vier Jahren wurden noch 60 vermutet. Als Kämpfer des »Punjab-Arms« der Tehreek-e-Taliban vor einiger Zeit selbst das schwer bewachte Armeehauptquartier ins Visier nahmen, erklärte Washington sein volles Vertrauen in die Fähigkeit der pakistanischen Regierung und Militärs, die Kernwaffen im Lande zu kontrollieren. Rund 100 Millionen Dollar sollten helfen, die Anlagen vor einem Angriff von Al Qaida, Taliban oder anderen Extremisten zu schützen. Gut möglich, dass sie am Ende vor allem dazu dienten, die atomare Schlagkraft Pakistans zu stärken – und die Lage noch gefährlicher zu machen.

** Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2011 (Kommentar)


Zurück zur Pakistan-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage