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Pakistans Atomwaffen: Die US-Connection / Pakistan’s Nukes: The U.S. Connection

Von Conn Hallinan / by Conn Hallinan (Dispatches From The Edge) *

"Washington - Neue US-amerikanische geheimdienstliche Einschätzungen sind zu dem Schluss gekommen, dass Pakistan sein nukleares Arsenal seit dem Amtsantritt Präsident Obamas ständig erweitert hat ... Für die Obama-Regierung stellt diese Einschätzung eine direkte Herausforderung für ein zentrales Element der nationalen Sicherheitsstrategie des Präsidenten dar, nämlich die Reduzierung der nuklearen Waffenarsenale in der ganzen Welt." New York Times.

Auf die obigen Worte vom Februar dieses Jahres folgte ein Leitartikel der Times, mit dem Titel „Pakistans nukleare Torheit“, der feststellte, dass dieser Aufbau des Waffenarsenals zu wenig Beachtung gefunden habe und in dem Washington aufgefordert wurde, nach Möglichkeiten, Druck auszuüben, zu suchen, um ihn zu stoppen.

Nun, die Regierung und die Times mögen vielleicht nicht glücklich sein über Pakistans nukleares Waffenarsenal, allerdings hätte dieses weder eine Überraschung darstellen sollen, noch sind die Möglichkeiten Druck auszuüben, der definitiv diesem Ausbau ein Ende bereiten würde, ein großes Geheimnis, nämlich: die Beendigung des sog. 123-Abkommens zwischen den USA und Indien!

Bereits 2003 hatte Douglas Feith, Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium der Bush-Regierung ein Treffen der US-India Defence Policy Group einberufen, um eine Blaupause für die Einbeziehung Indiens in eine Allianz gegen China zu entwerfen. Das Kode-Wort, das während der Besprechungen dafür verwendet wurde, war „Stabilität“. Aber, wie P.R. Chari vom Institut für Friedens- und Konfliktforschung feststellte, “was die wirklich meinen ist, wie gehen wir mit China um“.

Die Bush-Regierung änderte die Klassifizierung der Clinton-Regierung für China von „strategischer Partner“ zu „strategischer Konkurrent“, und kam in ihrer Überprüfung der Sicherheitsbeziehung USA – China zu dem Schluss, dass Peking „ für uns ein direkter Konkurrent im Bestreben um Einfluss in Asien und darüber hinaus ist, und dass dies im schlimmsten Fall (worst case) zu Krieg führen könne. Ein weiteres, im Jane’s Foreign Report veröffentlichtes Pentagon Dokument vertrat den Standpunkt, beide, Indien wie die USA würden von China bedroht, und dass Indien als eine bedeutende Komponente in die US-Strategie einbezogen werden sollte.

Eines der Hindernisse für diese Allianz war der Nichtweiterverbreitungsvertrag von Nuklearwaffen (NPT), das jeden Nichtunterzeichnerstaat daran hinderte Nuklearbrennstoff auf dem Weltmarkt zu erwerben. Da weder Indien noch Pakistan dieses Abkommen unterzeichnet haben, können sie keinen Brennstoff von einem der 45 Mitgliedsstaaten der nuklearen Brennstoffversorger Gruppe kaufen. Das hat sich als besonders schwerwiegend für Indien herausgestellt, da das Land über wenig eigene Uranvorkommen verfügt und diese aufteilen muss zwischen ziviler und militärischer Nutzung. Das Verkaufsverbot ist aber ein zentraler Punkt des NPT und eines der wenigen effektiven Hindernisse bei der Verbreitung von Atomwaffen.

Aber die Bush-Regierung schlug vor, das NPT zu umgehen mit den sog. 123-Abkommen, das Indien erlauben würde Nuklearmaterial zu erwerben, obwohl Neu-Delhi sich weiterhin weigerte das NPT zu unterzeichnen. Indien stimmte zu, das gekaufte Nuklearmaterial ausschließlich für zivile Nutzung zu verwenden und dies auch durch Inspektionen der IAEA überwachen zu lassen. Aber das Abkommen erlaubte Indien, seine eigenen Uranvorräte in sein militärisches Program zu transferieren, welches nicht den IAEA-Inspektionen unterliegt. Kurz gesagt, Indienwürde nun nicht länger zwischen ziviler und militärischer Nutzung abwägen müssen, es konnte beides haben.

Im Juli 2008 sagte der damalige pakistanische Außenminister Khurshid Kusuri voraus, dass, wenn das 123-Abkommen in Kraft trete, sich der gesamte Nichtweiterverbreitungsvertrag auflösen würde. Und in einem Brief an die IAEA warnte Pakistan, dass dies 123-Abkommen die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Wettrüstens auf dem Subkontinent bedrohlich erhöhen würde.

Diese pakistanische Beschwerde wurde sowohl von der Bush-Regierung wie auch von der Obama-Regierung ignoriert – mit vorhersehbaren Folgen : Pakistan vergrößerte sein Nuklearwaffenprogramm und könnte bald Großbritannien als fünftgrößte Nuklearmacht der Welt überholen.

Das Land stellte sich ebenfalls quer auf der Abrüstungskonferenz der 65 Nationen in Genz 2011 und blockierte einen Vorschlag, die Produktion von Nuklearwaffenmaterial zu stoppen. Das 123-Abkommen und das Bestreben, Indien in die Gruppe der Nuklearversorger-Staaten zu bringen, warnte Botschafter Zamir Akram, unterminiere die Gültigkeit und Unverletzlichkeit des NPT und würde die Sicherheit in Südasien weiter destabilisieren. Der Vertrag über die Obergrenzen von spaltbarem Material (FMCT) hat allerdings hohe Priorität für die Obama-Regierung.

Islamabad ist nicht allein mit seiner Kritik des 123-Abkommens oder vom FMCT. Eine Anzahl von Nationen fordern die NPT-Unterzeichner Staaten, einschließlich der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs, den Artikel VI des Vertrags zu erfüllen, der die Abschaffung nuklearer Waffen verlangt. Nun haben zwar die USA und Russland ihre Arsenale verringert, jedoch besitzen beide noch tausende von Waffen, und die USA sind gerade dabei ihre derzeitigen Sprengköpfe zu modernisieren.

Pakistan ist ein wesentlich kleineres Land als Indien und würde diesem in einem konventionell geführten Krieg unterliegen. Es hat auch bereits drei Kriege gegen Indien verloren. Seine verborgene Trumpfkarte sind seine Nuklearwaffen. Und einige Pakistaner haben eine bestürzend lockere Ansicht über den nuklearen Krieg. Um den ehemaligen Armeeführer General Mirza Aslem Beg zu zitieren : “ Man kann beim Überqueren einer Straße umkommen oder man kommt in einem nuklearen Krieg ums Leben.“ Eine BBC-Umfrage fand heraus, dass auch die pakistanische Öffentlichkeit ein erschreckend geringes Verständnis von der Qualität dieser Bedrohung hat.

Viele Inder sind in dieser Hinsicht nicht viel besser. Der frühere indische Verteidigungsminister Georges Fernades äußerte einmal, dass Indien einen Nuklearangriff überleben könne, Pakistan aber nicht. Und die gleiche BBC-Umfrage fand heraus, dass für die meisten Inder der Schrecken eines nuklearen Konfliktes sehr schwer vorstellbar ist.

Beide Länder haben kürzlich cruise missiles entwickelt, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können. Die pakistanische Hatf-7, oder „Babur“, hat eine Reichweite von beinahe 500 Meilen und eine Geschwindigkeit von 550 m/ph. Es scheint sich dabei um eine kopierte Version der US BGM-109 Tomahawk zu handeln, von denen mehrere Exemplare in Pakistan zerschellten während der Luftschläge 1998 gegen Afghanistan. Die indische PJ-10 BrahMos Rakete hat eine kürzere Reichweite aber eine Höchstgeschwindigkeit von 2100 m/ph. Und Indien wie Pakistan verfügen auch über ballistische Raketen, mit denen die großen Städte in beiden Ländern getroffen werden können.

In dem Leitartikel, der Pakistan der „nuklearen Torheit“ beschuldigt, weist die Times darauf hin, dass Pakistan weder seine Bevölkerung angemessen ernähren noch seine Kinder entsprechend ausbilden könne. Das Gleiche gilt auch für Indien. Wie ein UN-Entwicklungsbericht herausfand, so schlecht auch die Verhältnisse in Pakistan sein mögen, die allgemeine Lebenserwartung in Indien ist noch niedriger, und die Kluft zwischen Arm und Reich ist dort größer . In der Tat, keines der beiden Länder kann sich ein großes Militär erlauben. Pakistan verwendet 35% seines Haushalts für Waffen, und Indien befindet sich gerade mitten in einem 40 Milliarden umfassenden „Großeinkauf“ von Militärgerät – und ein nuklearer Krieg würde nicht nur beide Länder zerstören, sondern auch tiefgreifende Auswirkungen auf dem gesamten Globus haben.

Nukleare Waffen sind immer eine Torheit, aber was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Die USA geben gegenwärtig über eine Billionen Dollar pro Jahr für verteidigungs- und sicherheitsbezogenes Material aus, während gleichzeitig unser Bildungswesen dahinsiecht, unsere Infrastruktur zusammenbricht und Hunger und Analphabetismus sich ausbreiten.

Wenn die Times wirklich die Spannungen in Südasien herunterfahren wollte, dann sollte sie fordern, das 123-Abkommen in die Mülltonne zu werfen und mit dem im Artikel VI des NFT geforderten Prozess endlich zu beginnen.
„Jede Vertragspartei strebt Verhandlungen in gutem Glauben über wirksame Maßnahmen zur Einstellung des nuklearen Wettrüstens zu einem frühen Zeitpunkt, über atomare Abrüstung und über den Abschluß eines Vertrages zur allgemeinen, vollständigen Abrüstung unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle an.“

8. März 2011

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Eckart Fooken

* Aus: Dispatches from the Edge, http://dispatchesfromtheedgeblog.wordpress.com


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