Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Attentat in eigentlich "gesäuberter" Region

Im Nordwesten Pakistans starben bei einem Sprengstoffanschlag mindestens 65 Menschen

Von Hilmar König *

Ein Selbstmordattentäter und eine vermutlich ferngezündete Autobombe haben im Nordwesten Pakistans mindestens 65 Menschen in den Tod gerissen. Durch den Anschlag auf einen belebten Markt in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan wurden am Freitag (9. Juli) zudem mindestens 104 Menschen verletzt, wie die Behörden mitteilten. Unter den Trümmern eingestürzter Gebäude wurden noch weitere Opfer befürchtet.

Mit einem neuerlichen Selbstmordanschlag haben islamistische Extremisten im Nordwesten Pakistans unter Beweis gestellt, dass sie trotz der seit Monaten anhaltenden Militäroffensive jederzeit zuschlagen können. Bei der Explosion einer Sprengstoffweste auf dem Marktplatz von Yakaghunt kamen nach Angaben lokaler Behörden mindestens 65 Menschen ums Leben, über 100 wurden verletzt.

Vor dem Büro des Regierungsagenten in Yakaghunt im Distrikt Mohmand der nordwestlichen Khyber-Pakhtunkhwa-Provinz hatte sich sich ein Motorradfahrer am Freitagmorgen (9. Juli) in die Luft gesprengt.

Auf dem Marktplatz vor dem Gebäude war eine große Menschenmenge versammelt, denn die Behörden wollten nach einem Meeting Rollstühle an Bedürftige verteilen. Bei der Explosion des Sprengkörpers wurden das Büro, Geschäfte sowie ein Gefängnis zerstört bzw. beschädigt. 28 Gefangenen soll nach dem Anschlag die Flucht gelungen sein.

Einen Tag zuvor waren in Deutschland und Norwegen laut norwegischer Polizei drei Personen festgenommen worden, die Verbindungen zum Terrornetzwerk Qaida haben sollen. Generalstaatsanwalt Jan Glent stufte den Fall als »sehr ernst« ein.

Die Ermittler gehen Glent zufolge davon aus, dass die drei Verdächtigen in Verbindung stehen zu den Anschlagsplänen von Manchester und New York. Bei dem vereitelten Anschlag von New York war am 1. Mai eine Bombe am Times Square rechtzeitig entdeckt worden, die ein aus Pakistan stammender US-Bürger dort in einem Auto platziert haben soll. Ob es Verbindungen zwischen diesen Fällen und dem Anschlag in Peshawar gibt, ist aber bislang nicht bekannt.

Erst am 2. Juli waren in der punjabischen Provinzhauptstadt Lahore bei einem Doppelattentat 43 Menschen getötet worden. Innenminister Rehman Malik vermutete danach, dass militante Sektenextremisten der Gruppen Lashkar-i-Jhangvi und Sipah-e-Sahaba in Zentralpunjab mit Al Qaida und Taliban kollaborieren und ihre Rekruten zur Ausbildung in die afghanisch-pakistanischen Grenzgebiete schicken. Der Mohmand-Distrikt grenzt an die afghanische Provinz Kunar. Das pakistanische Militär versucht dort, von den in Afghanistan operierenden Streitkräften der USA und der NATO tatkräftig ermuntert, die Oberhand zu gewinnen. In dem Gebiet vermutet Washington Verstecke der Führungen von Al Qaida und der Taliban.

Obwohl lokale Kommandeure der pakistanischen Armee bereits im September 2009 verkündet hatten, 80 Prozent des Mohmand-Distrikts von den feindlichen Milizen gesäubert zu haben, starteten diese erst im vorigen Monat eine massive Gegenoffensive. Dutzende pakistanische Soldaten wurden dadurch gezwungen, sich auf afghanischem Gebiet in Sicherheit zu bringen. Eine beträchtliche Anzahl von ihnen gilt als verschollen. Insgesamt sind in Pakistan seit dem Jahre 2007, als die Armee in nordwestlichen Stammesgebieten ihre Operationen begann, mehr als 3400 Menschen überwiegend durch Selbstmordattentate getötet worden.

Der Anschlag vom Freitag (9. Juli) in Yakaghunt bestärkt jene Kräfte in Pakistan, die sich nach dem Doppelattentat in Lahore für die Einberufung einer nationalen Sicherheitskonferenz einsetzen. Diese soll helfen, eine Strategie gegen die Bedrohung durch militante islamistische Extremisten zu entwickeln. Dazu werden Vertreter aller politischen Parteien eingeladen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2010


Zurück zur Pakistan-Seite

Zurück zur Homepage