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Trauer und Wut

Pakistan: Unruhen in Belutschistan nach dem Tod des prominenten Stammesführers Nawab Bugti

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In der pakistanischen Südprovinz Belutschistan halten die Unruhen nach der Ermordung des Politikers und Stammesführers Nawab Akbar Khan Bugti unvermindert an. Bugti, der Vorsitzende der nationalistischen Jhamoori Watan Party, war am Samstag bei einer Militäroffensive getötet worden.

Alle Zugverbindungen nach Belutschistan sind unterbrochen, die Eisenbahnstrecken blockiert. Bei Streiks in der Provinzhauptstadt Quetta gingen Autos in Flammen auf, explodierten zwei Sprengkörper, wurden Banken und Regierungsgebäude gestürmt, pakistanische Nationalflaggen verbrannt, Poster mit dem Abbild des Staatsgründers Mohammed Ali Jinnah zerrissen. Sprechchöre waren zu hören: »Tod der Armee Pakistans« oder »Pakistan wird zerfallen«. Ein Mob plünderte Geschäfte, deren Eigentümer nicht aus Belutschistan stammen. Die Polizei versuchte mit Tränengas, der Lage Herr zu werden. Hunderte Menschen wurden festgenommen. In der Industriestadt Hub tötete eine detonierende Bombe vier Menschen.

Armenhaus Pakistans

Um den Führer trauert nicht nur der Bugti-Stamm. Auch in politischen Kreisen bis in die regierende Pakistan Muslim Liga (Q) hinein beklagt man den Verlust des profilierten 79 Jahre alten Politikers. Der Nawab hatte eine solide Ausbildung genossen, erst am Aitchinson College von Lahore, dann in Karatschi und in Oxford. Er war im Verlaufe seiner Karriere, die 1950 begann, Mitglied der Nationalversammlung und des Parlaments von Belutschistan, Staatsminister im Innenministerium und Gouverneur der Provinz. Er gehörte zu den Kreisen in der Belutschistan-Bewegung, die nach Autonomie streben. Ab 2004 rückte er mehr und mehr in den Mittelpunkt der Widerstandsbewegung und fungierte als »Brücke« zwischen den radikaleren Chefs der beiden anderen großen Stämme – der Marri und der Mengal – und den Herrschenden in Islamabad. Für viele Pakistaner bleibt es deshalb unerklärlich, warum General Pervez Musharraf gerade Bugti aus dem Weg räumen ließ. Der Stammeschef mußte im vorigen Jahr nach einer Reihe von Anschlägen der Balochistan Liberation Army auf Erdgasleitungen und auf einen Konvoi, in dem Musharraf unterwegs war, in den Untergrund gehen.

Seit Jahrzehnten sind Teile der Bevölkerung Belutschistans unzufrieden mit der Zentralregierung. Die Provinz nimmt rund 40 Prozent des pakistanischen Territoriums ein, kann neben Erdgas auch auf andere reiche natürliche Vorkommen verweisen, gilt aber als »Armenhaus«, das stiefmütterlich von der Zentralregierung behandelt wird und im Gesundheits- und Bildungswesen sowie bei der Versorgung mit Trinkwasser und mit Strom das Schlußlicht bildet. Deshalb findet die Forderung der nationalen Bewegung Belutschistans, die überwiegend von den Stämmen getragen wird, nach einer gerechten Aufteilung der Profite aus dem Gasgeschäft breiten Anklang unter den sechs Millionen Belutschen.

Nawab Bugti lag zugleich im Streit mit Islamabad über die Höhe der Gebühren für die Ausbeutung der Gasfelder, die sich auf Bugti-Stammesgebiet befinden. Er fand die Zahlungen der Zentralregierung unangemessen, während Islamabad ihm vorwarf, er würde das Geld in die eigene Tasche stecken auf Kosten von Entwicklungsprojekten. Erst am 20. Juli hatte General Musharraf die drei Stammeschefs als »antidemokratische, antipakistanische, gegen Entwicklung und gegen die Regierung agierende Erpresser« betitelt, die mit der ganzen Wucht der pakistanischen Militärmaschinerie in die Schranken verwiesen werden sollten.

Angst vor Märtyrer

Die Unruhen können die Regierung in Islamabad in ernste Schwierigkeiten bringen. Sie können die bislang abwartende Mittelklasse in Belutschistan für die nationale Bewegung mobilisieren sowie auf andere Provinzen übergreifen. In allen politischen Lagern finden sich solche Meinungen. Der ehemalige Geheimdienstchef Asad Durrani warnte, der tote Bugti sei viel gefährlicher als der lebende.

Generalleutnant Hamid Gul, ein anderer Exgeheimdienstboß, glaubt, für die Jugend Belutschistans wird Bugti zu einer Symbolfigur des Widerstands. Die pakistanischen Zeitungen The Nation und The Daily Times bezeichneten die Beseitigung Bugtis als den größten Fehler seit der Hinrichtung von Premier Zulfikar Ali Bhutto 1979 durch Militärdiktator Zia-ul Haq. Die im Exil lebende Politikerin Benazir Bhutto prophezeite »weitreichende Konsequenzen« für Pakistan. Überraschend gab Indien eine Erklärung zum »tragischen Verlust für Belutschistan und Pakistan« ab. Islamabad reagierte sofort verärgert, Neu-Delhi solle sein eigenes Haus in Ordnung bringen und sich nicht in innere Angelegenheiten eines Nachbarlandes einmischen.

* Aus: junge Welt, 31. August 2006


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