Musharraf muss die Uniform ausziehen
Benazir Bhutto, frühere Regierungschefin: Pakistan darf nicht wie Jugoslawien enden
Benazir Bhutto (53), Tochter des vormaligen pakistanischen Premiers Zulfikar Ali Bhutto, war am 2.
Dezember 1988 als erste Frau an die Regierungsspitze eines islamischen Staates getreten. Ihre
Regierungen (1988-90 und 1993-96) scheiterten an Korruptionsvorwürfen, die jedoch nie bewiesen
wurden. 1999 ging sie ins Exil. Bhutto will sich jedoch den Parlamentswahlen Ende des Jahres
stellen und wieder Premierministerin werden. In London befragte sie der Journalist Shams ul-Haq.
Wie lange wird sich Pakistans Präsident Pervez Musharraf noch halten können?
Schwer zu sagen, im Moment sieht es nicht gut für ihn aus. Glaubt man den Medien, ist Musharraf
ein recht beliebter Staatschef, aber die Leute sind sehr verunsichert. In jedem Fall aber ist er
geschwächt.
Droht Pakistan eine ähnliche Situation wie Algerien 1991, als radikale Islamisten die Wahlen
gewannen, das Militär aber die Macht übernahm, die islamistische Partei verbot und die Wahl
annullierte, worauf ein zehnjähriger Bürgerkrieg losbrach?
Nein, denn die islamistischen Parteien in Pakistan werden nicht vom Volk unterstützt.
Sie leben im Exil, bei einer Einreise nach Pakistan könnten Sie verhaftet werden.
Man muss gelegentlich solche Risiken eingehen.
Werden die Wahlen überhaupt stattfinden?
Die jetzige Regierung hat das zumindest gesagt, aber dass sie gerecht verlaufen werden, daran
habe ich meine Zweifel.
Sie waren bereits zweimal Regierungschefin, aber nicht sehr erfolgreich ...
Ich muss Ihnen widersprechen. Wenn Pakistan heute mit Schulen und Universitäten gut ausgestattet
ist, so hat es dies unserer Partei zu verdanken. Nach Angaben der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) wurden die meisten Arbeitsplätze während unserer Regierungszeit
geschaffen – und wir konnten Frieden gewährleisten.
In Pakistan gilt noch immer die Todesstrafe. Würden Sie sie abschaffen?
Ich bin Gegnerin der Todesstrafe und dafür, sie abzuschaffen. In einer Demokratie haben das
jedoch die Menschen zu entscheiden. Ich habe schon einmal versucht, die Todesstrafe
abzuschaffen, doch eine Mehrheit der Bevölkerung war dagegen.
Aus Volkes Mund hört man immer wieder, dass – angesichts der Freundschaft Musharrafs zu Bush
– eigentlich die USA das Land regieren. Stimmt das?
Ich weiß nicht welchen Einfluss diese Freundschaft auf das Land hat. Ich weiß nur, dass diejenigen,
die ihr Land wirklich lieben, es auch retten möchten. Pakistan nähert sich langsam einer großen
Katastrophe, die wie Jugoslawien enden kann. Ich möchte nicht, dass Pakistan als blutiges
Schlachtfeld endet, daher glaube ich, dass es Zeit ist, Pakistan zu einem demokratischen Staat zu
machen.
Ist Herr Musharraf in Ihren Augen ein guter Politiker?
Ich bin mit seiner Regierungsform nicht einverstanden. Er hat zwar einiges für das Land getan,
Frauen mehr Rechte gegeben, Kontakt zu lernwilligen Schülern und Studenten aufgenommen, und
der Friedensdialog mit Indien war natürlich auch ein sehr guter Schritt. Aber für mich ist Musharraf
nur ein General. Politiker ist er für mich erst, wenn er seine Uniform auszieht.
* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007
"Neues Pakistan" noch nicht in Sicht
Nüchterne Bilanz am Unabhängigkeitstag
Von Hilmar König, Delhi **
Politische Spannungen, Ungewissheit, Instabilität. In solchem Klima begeht die nuklear bewaffnete
islamische Republik Pakistan am 14. August den 60. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit.
Pakistans Präsident General Pervez Musharraf erlitt in den letzten Wochen Niederlage auf
Niederlage. Ende Juli musste er nach monatelangen Protestdemonstrationen die Wiedereinsetzung
von Chefrichter Iftikhar Chaudhry akzeptieren, den er im März unter fadenscheinigen Gründen
»suspendiert« hatte. Der Präsident des Verbandes der Richter des Höchsten Gerichtshofes, Munir
A. Malik, schwärmte danach, Chaudhrys Rückkehr markiere die »Geburt eines neuen Pakistans«.
Nun stehe die Schaffung bürgerlich-demokratischer Verhältnisse auf dem Programm.
Von der Geburt eines neuen Pakistans scheint die Nation indes noch weit entfernt. Zu viele
politische und soziale Probleme plagen das Land. General Musharraf ist so angeschlagen, dass er
gar mit dem Gedanken spielte, den Ausnahmezustand zu verhängen. Seit dem opferreichen Sturm
auf die von radikalen Koranschülern besetzte Rote Moschee in Islamabad am 10. Juli wird Pakistan
von einer Serie mörderischer Sprengstoffattentate erschüttert, die schon über 200 Menschenleben
kosteten.
Musharraf muss sich jedoch nicht nur der islamischen Opposition erwehren, sondern ist an der
afghanischen Grenze auch mit Stammesmilizen konfrontiert, die aus ihrer Sympathie für Al-Qaida
und die Taliban kein Hehl machen und im Verdacht stehen, Osama bin Laden versteckt zu halten.
Der Präsident sieht sich scharfer Kritik Washingtons ausgesetzt, weil er »nicht entschlossen genug
gegen Terroristen« vorgeht, obwohl er als Hauptverbündeter im »Anti-Terror-Krieg« gilt. Jüngst
drohten USA-Politiker gar mit einem Militärschlag, sollten Al-Qaida-Führer auf pakistanischem
Gebiet gesichtet werden.
Derweil spitzt sich die Konfrontation zwischen religiösen Extremisten und Gefolgsleuten Musharrafs
zu, der für einen »erleuchteten Islam« plädiert. Die islamische Allianz Muttahida-Majlis-e-Amal bildet
im Parlament einen starken Oppositionsblock. In der Nordwest-Grenzprovinz und in Belutschistan
regiert diese Allianz und »talibanisiert« die Gesellschaft.
Parteien und Menschenrechtler fordern ein Ende der Militärherrschaft und ein ziviles
Staatsoberhaupt. Mehr als die Hälfte der 60 Jahre Unabhängigkeit beherrschten Militärpräsidenten
das Land. Im Herbst stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bevor. Der General will sich
nochmals wählen lassen – in Uniform. Er laviert, will mit den ins Exil verbannten ehemaligen
Premiers Benazir Bhutto und Nawaz Sharif ins Geschäft kommen, aber sie doch lieber erst nach
Wahlen zurückkehren lassen.
Auch die sozialökonomischen Verhältnisse lassen kein neues Pakistan erkennen. 88 Prozent der
164 Millionen Pakistaner müssen mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen. Die Mehrheit lebt
ohne ordentliche medizinische Betreuung und ohne sauberes Trinkwasser. Hunger, Arbeitslosigkeit,
feudalistische Verhältnisse auf dem Lande, extreme Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Repression
bestimmen den Alltag von Millionen.
Außerdem lasten das Erbe aus drei Kriegen mit Indien, 1971 der Verlust Ostpakistans (heute
Bangladesch), von Zeit zu Zeit aufbrechende blutige Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sowie
die die Diskriminierung von Minderheiten auf dem Land am Indus. So fällt die Bilanz zum
Unabhängigkeitsjubiläum nüchtern aus. Doch ein Fortschritt ist nicht zu übersehen: Unter Musharraf
ist der Dialog zur Normalisierung der Beziehungen mit Nachbar Indien in Gang gekommen, was die
Hoffnung nährt, dass es auch für den Kaschmirkonflikt eine Lösung gibt.
** Aus: Neues Deutschland, 14. August 2007
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