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Benazir Bhutto bei Attentat getötet

Landesweite Welle der Gewalt nach Ermordung der pakistanischen Oppositionsführerin *

Die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto ist am Donnerstag (27. Dezember) bei einem Attentat getötet worden. Die Sicherheitskräfte des Landes wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Islamabad (Agenturen/ND). Bhutto erlitt infolge einer Bombenexplosion auf einer Wahlkampfveranstaltung in Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad schwere Verletzungen und starb wenig später im Krankenhaus. Neben Bhutto kamen mindestens 20 weitere Menschen ums Leben. Fernsehsender berichteten, der Attentäter habe nach Ende der Veranstaltung auf den Geländewagen geschossen, mit dem die Ex-Regierungschefin wegfahren wollte. Anschließend habe er sich gesprengt. Die schwer verletzte Bhutto wurde in das Krankenhaus von Rawalpindi gebracht. Sie sei bereits bewusstlos gewesen, als sie dort eintraf.

Hunderte Anhänger Bhuttos versammelten sich nach Bekanntwerden des Todes der Oppositionsführerin vor dem Krankenhaus. In Sprechchören machten sie ihrer Wut gegen die Regierung Musharraf Luft. Auch aus anderen Städten gab es Meldungen über teils gewalttätige Proteste. In der nordwestlichen Stadt Attock wurde das Gebäude der Regierungspartei geplündert. Ein Gerichtsgebäude wurde in der Stadt Jacobabad in Brand gesetzt. Wie es hieß, zündete eine aufgebrachte Menge das Bauwerk an. Die Stadt im Süden Pakistans ist die Heimat des Übergangs-Premiers Mohammedmian Soomro, der am 16. November von Staatschef Pervez Musharraf ernannt worden war. Zugleich ist die Region eine Hochburg der Anhänger Bhuttos. Die Demonstranten blockierten auch Straßen und zündeten Geschäfte an, von denen einige Soomro gehören. Auch Porträts des Übergangs-Premiers gingen in Flammen auf.

In einem Dorf wurden nach Polizeiangaben vier Polizisten verletzt und 20 Häuser angezündet. In der Stadt Multan zündeten rund hundert Anhänger der früheren Premierministerin Reifen an und blockierten den Straßenverkehr. In Peschawar hatte die Polizei kurz nach dem Tod Bhuttos eine Demonstration gewaltsam aufgelöst.

Die 54-jährige Bhutto war erst am 18. Oktober nach acht Jahren Exil in ihr Heimatland zurückgekehrt. Bei ihrer Ankunft in Karatschi wurde bereits ein Anschlag auf sie verübt, bei dem fast 140 Menschen starben. Vor weniger als zwei Wochen hatte Präsident Pervez Musharraf den Ausnahmezustand aufgehoben. Am 8. Januar sollte ein neues Parlament gewählt werden. Bhutto spielte seit Jahrzehnten in der pakistanischen Politik eine maßgebliche Rolle, unter anderem war sie zwei Mal Regierungschefin. Wegen Korruptionsvorwürfen wurde sie jedes Mal abgesetzt, was aber ihrer Popularität im Volk keinen Abbruch tat. Nur Stunden vor dem Anschlag auf Bhutto wurden auf einer Wahlkampfveranstaltung nahe dem Flughafen von Islamabad vier Anhänger von Oppositionspolitiker Nawaz Sharif getötet. Der ehemalige Premier Sharif bezeichnete den Tod der Oppositionsführerin als »Tragödie für die gesamte Nation«. »Das ist eine sehr ernste Situation für das Land«, sagte er. Die Regierung hätte mehr für Bhuttos Schutz tun müssen. Er wolle den »Krieg« der Anhänger Bhuttos fortsetzen. »Ich versichere euch, ich werde von nun an euren Krieg fortsetzen«, sagte Sharif vor dem Krankenhaus in Rawalpindi.

Präsident Musharraf rief zur Ruhe auf. Die Nation müsse sich friedlich verhalten, »damit die bösen Gestalten von Terroristen besiegt werden können«, erklärte er.

Der UNO-Sicherheitsrat in New York berief eine Krisensitzung ein.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2007

Pakistan entgleist

Von Martin Ling Der Optimismus von Pervez Mu-sharraf hatte keine Grundlage: Von einem »demokratischen Prozess«, der durch die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Anberaumung von Neuwahlen für den 8. Januar wieder auf das Gleis gebracht werde, hatte Pakistans Präsident am 15. Dezember feierlich fabuliert. Dieser Prozess, der mit Demokratie im Sinne von Gewaltenteilung ohnehin nichts zu tun hat, ist durch das Attentat auf Benazir Bhutto nun vollends entgleist. Das gilt selbst für den Fall, dass Musharraf den Urnengang fristgemäß durchzieht und die neuerliche Zuspitzung nicht nutzt, wieder den Ausnahmezustand auszurufen. Mehr Rechtfertigung als ein unliebsamer Oberster Gerichtshof wie im Oktober bietet die Ermordung einer wichtigen Oppositionspolitikerin allemal.

Was auch immer Musharraf nun unternimmt, seine Situation ist prekärer denn je. Nach seinem Rücktritt wider Willen als Armeechef dürfte sein Einfluss im Militär kaum gestiegen sein. Der Mord an Bhutto wird die demokratische Opposition in ihrer Entschlossenheit und ihrer Wut auf das System Musharraf mit allmächtiger Armee und allmächtigem Geheimdienst stärken. Das birgt die Gefahr einer weiteren Zuspitzung der Gewalt in sich. All das spielt dem ohnehin wachsenden militanten Widerstand der islamischen Fundamentalisten in die Hände. Pakistans Prozess der Entgleisung hat längst vor Bhuttos Tod begonnen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2007 (Kommentar)




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