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"Mit einer erzwungenen Friedhofsruhe ist der Kampf gegen die Feinde des Staates nicht zu gewinnen"

Der Deutsche Bundestag diskutiert über die Situation In Pakistan - Die Reden im Wortlaut

Am 8. November 2007 diskutierte der Bundestag in einer aktuellen Stunde über die derzeitige Lage in Pakistan. Es war eine ruhige und streckenweise interessante Debatte. Alle Fraktionen warin sich darin einig, die pakistanische Regierung aufzufordern, für freie und faire Wahlen zu sorgen. Das aber kann nicht alles sein. In einigen Beiträge (z.B. von Norman Paech) wurden tiefer gegraben.
Im Folgenden dokumentieren wir die Debatte nach dem vorläufigen stenografischen Protokoll.
Es sprachen



Deutscher Bundestag, 123. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G
DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jüngste Entwicklungen in Pakistan
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Walter Kolbow, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Walter Kolbow (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bestürzender Vorgang, dass der Präsident Pakistans, Musharraf, die Demokratie außer Kraft gesetzt hat. Zu Recht befassen wir uns hier im Parlament in einer Aktuellen Stunde mit diesem bestürzenden Vorgang.

Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakistanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der angekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur. Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kommentierung nicht einschüchtern lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistanischen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. November wird als weiterer dunkler Tag in die politische, rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. - Die massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezustand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft erstarkt ist. Das ist positiv.

Wir fordern von der pakistanischen Regierung die Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilassung der 40 festgenommenen Projektpartner der Heinrich-Böll-Stiftung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

An die internationale Gemeinschaft richten wir die Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unternehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bundesregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ihren Bemühungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsident der USA die Wiederherstellung der Demokratie eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Europäische Union zu Recht getan.

Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleichwohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeutschen Zeitung feststellt:

Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die Islamisten nicht besiegen kann.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht bleiben kann.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE))

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überlegungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wichtige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Händen.

Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktuelle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidungen in Pakistan haben.

Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Initiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauerhafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelingen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Regierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzuarbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Mechanismen der Vereinten Nationen. Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den Terror stabilisiert werden können.

Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm. Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch instabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmierende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Gebiete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr beherrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere Soldaten bei ISAF zu spüren.

Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wiederaufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unabdingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung des internationalen Terrorismus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch werden, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokratische Parteien, also starke Institutionen haben.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern sie unterstützt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter absetzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die anderen helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und - das sage ich an dieser Stelle - der kann auch kein Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen - Herr Kolbow hat darauf hingewiesen -, welch zentrale Rolle Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afghanistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben. Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee geliefert haben - 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen Dollar jeden Monat -, mit dem Ziel, Pakistan zu stabilisieren.

Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit diesem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet. Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu diesem Schritt getrieben wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen, dass Pakistan stabil ist. - In ein solches Land kann man dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher gemacht worden ist.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist, U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fähigkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen, dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans gedient hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu erreichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiterhin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das auch noch einmal unter einem anderen Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozesses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Islamisten - sie werden immer stärker -, eine aufgeweckte Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelligenz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten, ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte, die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müssten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Putschisten nicht in dieser Form - mit solchen Rüstungslieferungen - unterstützen dürfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensichtlich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter einem Ausnahmezustand abhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demokratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unterdrückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pakistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube - jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen -, keine Differenzen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche es ausdrücklich.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll,

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Da hat er recht!)

die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geopolitische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschätzen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kaschmir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Afghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar. Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Bewaffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorredner ebenfalls schon hingewiesen.

Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhalten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Islamismus so dringend braucht, und damit die Voraussetzungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Sicherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich, dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demokratischeren Verhältnissen - ich bin mir der Ambivalenz dieses Komparativs durchaus bewusst - zurückkehrt, dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich aufgehoben wird und die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen geschaffen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist, dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwicklungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft in Pakistan erforderlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäische Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Antwort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und Zustände in Pakistan gegeben hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesellschaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands; vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobachten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Musharrafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakistans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert.

Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu entwickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesellschaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pakistan, die es beeindruckenderweise gibt - der Kollege Kolbow hat darauf hingewiesen -, gestärkt werden und sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass wir an ihrer Seite sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Deswegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Aufhebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokratischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unterstreiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden eben gesagt hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakistan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszugehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakistanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gesprochen worden; ich weise ausdrücklich auch auf Parlamentarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in dieser Situation Flagge zu zeigen.

Wir haben heute Morgen über Afghanistan gesprochen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt. Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwierigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht, sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit vielen Jahren haben.

(Sebastian Edathy (SPD): Allerdings!)

Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem Thema befassen.

Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation analysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zusammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwischen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungsdefiziten enormer Dimensionen und der unbedingten Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu halten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolonialvergangenheit und nicht zuletzt - man muss das wohl so deutlich sagen - auch die Bereitschaft staatlicher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken.

Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan - auch wir waren daran beteiligt - in den letzten Jahren gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hinblick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials. Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt, selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Taliban zu arrangieren versuchte, was uns allen am 11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist.

Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit erzielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preisgibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Elemente auf der Strecke bleiben.

Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu können, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am Ende mit leeren Händen dastehen.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen, wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nuklearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht, wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff bekommen. Die Restoptionen, die dann politisch verbleiben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwischen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr bedenklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferationsklausel gewonnen werden konnte.

Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikanischen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahrscheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden Projekten und Vertragswerken eine klare Position finden. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenminister dieses Themas kraftvoll annehmen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur. Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat, nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt. Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie, Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind richtig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlogen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschgeneral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen schauen.

Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Beispiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner al-Qaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzugängliche Trainingslager, exzellente elektronische Technologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Sicherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamistische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Afghanistan und im Irak findet dort die Operation ?Enduring Freedom“ nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen zudem - das wurde bereits erwähnt - über 75 Atomsprengköpfe.

Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Magazine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed States, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns einmal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat! Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angereichertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle geratene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außerdem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sowjets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Widerstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle. Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die anschließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen. Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schufen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen. Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Freifahrtschein ausgestellt. Was hat sie - das frage ich die Regierung - eigentlich in Sachen Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie gegen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und verstößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie gegen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren. Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001 ist Pakistan mit der Operation ?Enduring Freedom“ im Antiterrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbündeten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA angeblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rückzugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden.

Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger existieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokratie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Beseitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterrorkampfs zu trennen?

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwierigere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärtigen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik versucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner Ansicht nicht.

Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Tagen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan, aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Region Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über 160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt versinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbarland Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dürfen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von islamistischen Terroristen geraten.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpolitischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Taliban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan, vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß - das ist kein Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so -, dass dieser Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist.

Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwerken konfrontiert, die - jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern Benazir Bhutto - täglich Terror schüren, finanzieren und ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstören wollen.

Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation Entschiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar verlangen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade wegen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich beschreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem gefährlichen Irrweg.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen: Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politischer Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentlichen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ordnung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pakistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen richten sich ganz offensichtlich - das hat auch jemand von Ihnen gesagt - gerade gegen die Kräfte, die Pakistan braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen in aller Offenheit am Telefon erläutert.

Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen, wer die Menschen gegen religiöse und politische Extremisten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie, und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vielen politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt hat - der pakistanische Außenminister hat es mir gestern am Telefon noch einmal versichert -, dass die in Aussicht genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüglich dieser Ankündigung beim Wort nehmen.

Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt worden sind, ernst ist.

Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie möglich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen Ereignisse überprüfen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das heißt auch - Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in diesen Tagen bereits angekündigt -, dass wir jedenfalls Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen. Unsere Politik - deshalb sage ich das - richtet sich gerade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Verhältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitragen können.

Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Alles andere würde ich auch für nicht verantwortlich halten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer der wichtigen Gründe - ich bin Herrn Kolbow dankbar, dass er daran erinnert hat -, warum wir den afghanischen und den pakistanischen Außenminister im Juni gemeinsam nach Potsdam eingeladen haben, um die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu verbessern.

Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung angeht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Interesse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einsetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern, Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unterstreicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit, Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Prozess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzumachen, die wir in diesem Haus gar nicht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen in dieser Situation aber auch genau schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan machen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Projekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die anderen Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch konstatieren, dass der feste Wille von Musharraf und den Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in jeder der Meldungen über die Situation in Pakistan, die wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die eigentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es einmal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Eindruck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat staatlicher Gewalt sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem einmal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen, dass sich Pakistan inzwischen - die Bundesregierung hat gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt - in den Top Zehn befindet.

(Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh! Das ist schlecht!)

Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch intensiver Handelstourismus von verschiedensten Ministern der Bundesregierung in dieser Region betrieben wird - der Verteidigungsminister, aber auch andere waren da schon unterwegs -, und wenn man sieht, was da an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststellen: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Restriktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekommen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lieferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsinstrument, selbst konventionell eine ganz erhebliche Herausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um Pakistan herum.

In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien. Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, sondern vernachlässigen den Charakter der Region als Krisenregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen ziehen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches nationale Interesse, welches besondere außen- und sicherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie bis heute.

Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außen- und sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern, zumal wir wissen - vor einem halben Jahr wussten wir es auch schon -, dass niemand sagen kann, wer eigentlich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie hier ankündigen, mehr als angezeigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäischen Position ausgesprochen werden, eine große Herausforderung für die Linie der Bundesregierung darstellen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wohl wahr!)

Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei anderen Projekten muss man sich einmal anschauen, welches Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen stattfindet - erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird - in der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über die wir hier sprechen, liefern darf.

Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen. Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegenüber Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Krisengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltenskodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrücklich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen aber leider eine andere Sprache.

Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt, dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen, dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle anerkennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat - unabhängig von all den Problemen, die hier zu Recht beschrieben worden sind -, und zwar zum Ersten wegen seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhindern können? - Wir müssen einfach erkennen, dass der Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätsproblem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können. Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusammenhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zunehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerikanisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den Islam begründet hat, war von Anfang an der Widerspruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezielle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt.

Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhängigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde, weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klammer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und anderswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhältnisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, anschließen.

Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwierigen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren 40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist, den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kontrolle zu bekommen. Wir haben natürlich - dazu will ich noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der Kollege Hoyer angesprochen hat - das unmittelbare vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Gefahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen.

Wir haben, wenn wir ehrlich sind - das hat mein Kollege von Klaeden richtigerweise gesagt -, wenig eigene Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland; diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die Europäische Union muss - das würde ich mir, gerade im Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Militärzusammenarbeit, wünschen - hier zu gemeinsamen Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit wem wir es nach der - hoffentlich erfolgreichen - Bewältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachdenken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie Indien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zurückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indisch-amerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt werden sollten.

Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird immer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien besonders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Unsere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck gebracht werden, mit welchen Partnern wir den internationalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig - dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen -, dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämpfen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis dieser Aktuellen Stunde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPD-Fraktion.

Johannes Pflug (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung gewesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung: Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ursprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche Wiederwahl bestätigen würde.

Nun kann man solche historischen Betrachtungsweisen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man damit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980 oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabilisiert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjetischen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pakistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen, die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. - Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminiszenzen.

Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Monate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die alten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben das Land an den Abgrund gebracht.

Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus versucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewahren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaftungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den Garanten eines Übergangs in eine demokratische Entwicklung zu sehen.

Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er allerdings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwicklung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition gezwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande einerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Damit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensgefährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im eigenen Lande und mit seinem Geheimdienst.

Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Integration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise gelungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von 8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt, welches Potenzial dahintersteckt - ich unterstelle einmal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest 1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen -, dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der Vergangenheit von den sogenannten demokratischen Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden. Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden die Anhänger auf die Straße geschickt.

Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszenarien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zerfällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanistan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islamischer Gottesstaat. Drittes Szenario - das ist die augenblickliche Entwicklung -: Die vom Militär gestützte Regierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungseliten wieder ins Amt.

Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen, alle unsere Möglichkeiten zu nutzen - es sind nicht viele; sie haben eher appellatorischen Charakter -, das zu fordern, was wir für notwendig halten.

Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon gesagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Vereinigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen. Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maßnahmen überprüfen wolle.

Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan alsbald zur Demokratie zurückkehrt - wobei ich einschränkend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit oder ohne Musharraf.

In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. - Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regierung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokratischen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Johannes Pflug (SPD):

Ja. - Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert, verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen. Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. Solange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich stabilisieren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles von dem, was heute gesagt worden ist.

Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man versucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte über Afghanistan, das militärische Engagement und die Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das angesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall angemessen und dieser Debatte nicht würdig.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie doch einmal, warum!)

- Dazu komme ich gleich. - Wenn Sie sagen, Deutschland habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kaschmir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist daran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbessern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. - Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine oder andere sagen.

Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen: Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deutlich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendeiner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demokratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat: Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabilisierung des Landes und um das Problem, dass die Extremisten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natürlich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? - Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. - Er trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einsetzen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb meine ich, dass ihm klargemacht werden muss - auch in seinem eigenen Interesse -, dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen.

Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die internationale Staatengemeinschaft doch in höchstem Maße beunruhigen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist vollkommen evident - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, dass Pakistan für uns ein wichtiger Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Partner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe es kritisiert!)

- Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergangenheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind, anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesentlich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber die Verantwortung des anderen nicht nennen.

Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhältnissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden. Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsident Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastrophe - nicht nur für die USA oder die westliche Welt, sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakistan -, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem Land bewahrheiten würde.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für die SPD-Fraktion.

Uta Zapf (SPD):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist geworden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüglich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz hautnah betrifft - auch, aber nicht nur wegen Afghanistan -, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung leisten können.

Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror ist - gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen -, ist erwähnt worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die weitere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup: Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Verfassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Oppositionellen werden verfolgt.

Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen. Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekommen und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten. Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokratische Oppositionelle gebärdet.

Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat die Richter und die anderen Oppositionellen, die es gewagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Machtkampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf gemeint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erzfeind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Menschen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhören lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stücke gerissen. - Das ist in der Tat eine schöne bildliche Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Außerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Verfassung zu opfern.

Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert werden. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf seine Armeeuniform auszieht.

(Beifall bei der SPD)

Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig. Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien, weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellungen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wissen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisieren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem Land zu leben und Demokratie zu praktizieren.

Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht bekämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militärhilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht einstellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken darüber zu machen, wie wir helfen können - ebenso massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land, geholfen haben -, diese Regionen zu stabilisieren. Das ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im Zusammenhang gesehen werden müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren Gesichte des Bundestages erinnern, nämlich an den 17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag eingebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur Demokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen, notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie damals desavouiert war und das sich durch korruptionsbehaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Regierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufgefordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt, dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine entwicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft.

Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erinnern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungspolitik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Erfolg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden, und - das ist vor allem zu nennen - der wirtschaftliche Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans an.

Man muss jedoch klar sehen - das wurde heute bereits angesprochen -, dass der Krieg gegen die Terroristen in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstellung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakistans regional und international enorm erhöht haben, sondern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie echten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen kann.

Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zu Tage treten. Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halbherzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu suchen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archaische Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feudalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie zum Beispiel in Pandschab.

Wenn es zutrifft - das ist zweifellos der Fall -, dass die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung Pakistans - keine Grabesruhe - für den Erfolg unserer Afghanistanmission entscheidend sind, dann ist es in der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen Antrags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschaftswachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommt und bis nach Waziristan und die Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive Entwicklung in Pakistan geben kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen - die Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits angesprochen -, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns, Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können.

Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederhergestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfreiheit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig, dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig, dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zurzeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische Maßnahmen verhandeln.

Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine Bildungsoffensive braucht - gegebenenfalls gegen den Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen wir mit unseren Appellen verbinden -, dass Pakistan ein viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssystem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakistan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pakistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht.

Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stellen, dann müssen wir gleichzeitig - das liegt in unserem ureigenen Interesse - den Umfang unserer Reform- und Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei Seiten ein und derselben Medaille sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt beschrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Abgrund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden weiterer Wendepunkte.

Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land - auf die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehrfach hingewiesen worden -: ein Atomwaffenstaat; ein Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen besitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat, dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Talibankämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))

Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Entlassung der Oppositionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Richter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach 12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsident und General Musharraf erklärt haben soll, dass er bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uniform anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch mehr getan werden.

Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern:

Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohlgeformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf. Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung gesorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten. Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokratisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Aufsicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat den Daumen draufhalten können.

Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren - diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole -, haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bundestagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jahren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert haben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dialog deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte.

Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen, die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspendiert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin definiert sind, durchgesetzt? - Wir haben dort Folgendes beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radikalen Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden massiv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zeitungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zweifel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl ordnungsgemäß verlaufen sei.

Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen: Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pakistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten, damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das genügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobachtern - warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? -, dass die Wahlen fair und transparent durchgeführt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Machthaber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu engagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können: zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen, zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakistani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil man sich die Medikamente nicht leisten kann.

In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der Perspektive - das wird Jahrzehnte dauern - sagen: In Pakistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt: ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir haben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen Bürger auf der einen Welt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Quelle: Website des Bundestags; www.bundestag.de


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