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Obama läßt wieder töten

Wenige Tage nach »historischer« Ansprache des US-Präsidenten: Drohnenangriff auf pakistanisches Dorf fordert mindestens vier Menschenleben

Von Knut Mellenthin *

Die USA haben ihre Drohnenangriffe auf Ziele in Pakistan wieder aufgenommen. Zwei Raketen, die am Mittwoch morgen von einem unbemannten Flugkörper abgeschossen wurden, töteten mindestens vier Menschen. Reuters meldete sieben Tote. Vier weitere wurden in kritischem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert. Über westliche Nachrichtenagenturen wurde unter Verweis auf anonyme »Angaben aus Geheimdienstkreisen« die Meldung gestreut, unter den Getöteten befinde sich der Vizechef der pakistanischen Taliban (TTP), Wali Ur Rehman. Die Agentur dpa: »Auf Rehman hatten die USA ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar ausgesetzt. Angaben über getötete Taliban- oder Al-Qaida-Anführer haben sich in der Vergangenheit mehrfach als falsch herausgestellt. Die TTP äußerte sich zunächst nicht.«

Ort des Geschehens war das Dorf Chasma bei Miranshah, der Hauptstadt des Bezirks Nordwasiristan. Dieser gehört zu den sogenannten Stammesgebieten im Nordwesten Pakistans, nahe der Grenze zu Afghanistan. Es war die erste Operation einer bewaffneten Drohne nach der Rede, die Präsident Barack Obama am 23. Mai in der National Defense University in Washington gehalten hatte. Seine Bemerkungen dort waren von manchen Politikern und Journalisten voreilig als Signal für eine Einschränkung solcher Angriffe interpretiert worden.

Zugleich war die Aktion vom Mittwoch der erste Drohnenangriff gegen Pakistan nach der Parlamentswahl vom 11. Mai. Die letzte vorausgegangene Attacke hatte am 17. April stattgefunden. Dabei waren in einem Dorf des Bezirks Südwasiristan mindestens fünf Menschen getötet worden.

Obama hatte einen Tag vor seiner Rede eine Anweisung zum Einsatz bewaffneter Drohnen unterzeichnet, von der eine Zusammenfassung offiziell veröffentlicht wurde. Das Dokument selbst ist jedoch als »geheim« klassifiziert und wurde nur den zuständigen Kongreßausschüssen zugeleitet, deren Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

In der vom Weißen Haus bekannt gemachten Kurzfassung wird behauptet, daß jede Anwendung von Gewalt im Ausland nur dazu dienen dürfe, Angriffe gegen US-Bürger zu verhindern oder abzuwehren. Tödliche Gewalt dürfe grundsätzlich überhaupt nur gegen Personen eingesetzt werden, die »eine fortdauernde, unmittelbare Bedrohung« für US-Bürger darstellen. Ferner gelten angeblich folgende Einschränkungen: Es dürfen bei dem Angriff mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Nicht-Kombattanten getötet oder verletzt werden. Es muß die Einschätzung vorliegen, daß die Regierung des Landes, in dem die Operation erfolgt, nicht bereit oder nicht in der Lage ist, gegen die »Bedrohung« selbst vorzugehen. Es dürfen keine vernünftigerweise praktikablen Alternativen zur Beseitigung der »Bedrohung« vorliegen. Indessen ist nichts von alledem durch die Öffentlichkeit überprüfbar, da die US-Regierung niemals Erläuterungen zu einzelnen Angriffen gibt.

In der veröffentlichten Fassung der Obama-Anweisung wird weiter behauptet, die US-Regierung respektiere die nationale Souveränität anderer Staaten und das internationale Recht. Das lege der Fähigkeit der USA zu einseitigen Aktionen »bedeutende Einschränkungen« auf. Worin sich das praktisch äußert, ist allerdings nicht ersichtlich. Das pakistanische Außenministerium hatte erst am vorigen Freitag eine Erklärung abgegeben, in der es heißt: »Die Regierung Pakistans hat immer wieder betont, daß Drohnenschläge kontraproduktiv sind, daß sie zum Tod von Zivilpersonen führen, daß sie menschenrechtliche und humanitäre Auswirkungen haben und daß sie die nationale Souveränität und territoriale Integrität sowie internationales Recht verletzen.«

Pakistan hat derzeit nur eine geschäftsführende Übergangsregierung. Nawaz Sharif, dessen PML-N die Wahl klar gewonnen hat, wird erst in der nächsten Woche sein Amt als Premierminister antreten. Bisher hat Pakistan lediglich verbal gegen die Drohnenattacken protestiert, aber keine praktischen Schritte, wie etwa eine Klage bei der UNO, unternommen. Das wird sich unter der neuen Regierung voraussichtlich nicht wesentlich ändern.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Mai 2013


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