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Textilfabriken als Todesfalle

Über 300 Tote in Pakistan

Von Jörg Meyer *

Bei zwei Feuern in pakistanischen Fabriken sind am Dienstag und Mittwoch über 300 Arbeiterinnen und Arbeiter gestorben. In Lahore erstickten oder verbrannten 25 Menschen, als durch einen defekten Generator Chemikalien und Textilien in Brand gerieten, die im einzigen Ausgang der illegalen Fabrik gelagert waren. Im verarmten Stadtteil Baldia Town der südpakistanischen Hafenmetropole Karachi starben nach offiziellen Angaben 289 Menschen bei einem Großbrand in einer Textilfabrik. Die Brandursache hier ist noch unklar. Es gab einen einzigen nicht verriegelten Ausgang. Notausgänge seien nicht vorhanden, die Fenster vergittert gewesen, berichten Augenzeugen und die Feuerwehr übereinstimmend.

Das Feuer hatte sich nach dem Ausbruch um 18.30 Uhr am Dienstagabend rasend schnell im Gebäude ausgebreitet. Nach Medienberichten hätten sich zu dem Zeitpunkt hunderte Menschen in dem Gebäude aufgehalten, um ihren Lohn zu kassieren. Gegen die untergetauchten Fabrikbesitzer ermitteln die Behörden wegen »Fahrlässigkeit«. Zudem sei ihnen untersagt worden, das Land zu verlassen. »Wir prüfen, weshalb die Eigentümer die Sicherheitsstandards, darunter Brandschutz und Fluchtpläne, nicht erfüllt haben«, sagte ein Sprecher der Provinzregierung laut dpa und kündigte eine Überprüfung aller Fabriken in Karachi an.

Die »Kampagne für saubere Kleidung« (CCC), die sich in vielen Ländern für gute Produktionsbedingungen einsetzt, sprach in einer Mitteilung vom »sinnlosen Tod« der Textilarbeiter, der »verhindert hätte werden können und müssen«. Die CCC forderte erneut Markenunternehmen und Regierungen auf, für die Verbesserung der Gebäudeinfrastruktur zu sorgen sowie die ArbeiterInnen und die Fabrikleitungen in Maßnahmen der Arbeitssicherheit zu schulen. Gewerkschaftliche Vertretungen hätten überdies Seltenheitswert. Versuche, solche zu gründen, werden meist mit Repression beantwortet.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. September 2012


Hunderte Tote bei Fabrikbränden

Fehlende Sicherheitsvorkehrungen verursachen Katastrophen in Pakistan

Von Jörg Meyer **


Eine Fabrik wie ein Knast: fehlende Fluchtwege, vergitterte Fenster, kaputte Feuerlöscher. Ein Hauptabnehmer der abgebrannten Textilfirma in Karachi war zumindest früher der deutsche Textildiscounter »KiK«.

Die Bilder am Mittwoch, dem Tag nach der Katastrophe, zeigen schwarze Rauch- und Brandspuren über den Fenstern und Lüftungsschächten des fünfstöckigen Gebäudes. Der Ort: die Baldia Town am westlichen Rand der südpakistanischen Handels- und Hafenmetropole Karachi. Dieses quadratische, trostlos und baufällig wirkende Gebäude war bis gestern eine Fabrik, in der Arbeiter und Arbeiterinnen im Dreischichtbetrieb Kleidung und Plastikteile produzierten. 289 von ihnen sind in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch erstickt oder verbrannt. Rund 100 weitere haben sich schwer verletzt beim Versuch, sich mit einem Sprung aus den Fenstern vor dem Inferno zu retten. Die Brandursache ist noch unklar. Es handelt sich um eine der schlimmsten Industriekatastrophen in der 65-jährigen Geschichte Pakistans.

Beim Feuer in einer Schuhfabrik im pakistanischen Lahore nur wenige Stunden zuvor, bei dem 25 Arbeiter starben, wird ein defekter Stromgenerator als Quelle des Feuers vermutet.

Die Ausmaße des Brandes in Baldia, der nach Angaben von pakistanischen Journalisten nach zehn Stunden noch immer nicht gelöscht war, scheinen dagegen erklärlich: In verschiedenen Medien war von einem verschlossenen Tor, fehlenden Notausgängen, vergitterten Fenstern und nicht funktionierenden Feuerlöschern zu lesen. Als die Feuerwehr den völlig ausgebrannten Keller des Gebäudes erreichte, entdeckte sie dort die Leichen von Dutzenden Arbeitern. Der Feuerwehrchef von Karachi, Salim Ehtisham, sagte zu Journalisten, die meisten Opfer seien vermutlich erstickt und später bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Ein anderer Feuerwehrmann vor Ort sagte, die meisten Arbeiter seien gestorben, weil der Hauptausgang blockiert war. Während nach Augenzeugenberichten viele Beschäftigte die Gitter aus den Fenstern brachen und sich mit Sprüngen aus den oberen Stockwerken retten konnten, berichtete ein AP-Reporter von einem verkohlten Leichnam, der aus einem der vergitterten Fenster hing. Nach Feuerwehrangaben sei es leichter gewesen, die Mauern einzuschlagen als durch die Fenster zu den Eingeschlossenen zu gelangen.

Ein offizieller Vertreter Karachis, Roshan Ali Sheikh, sagte, die Zahl der Toten könne sich noch erhöhen, weil die Feuerwehr am Mittwochnachmittag ihre Suche im Gebäude noch nicht abgeschlossen hatte. Gegen den Unternehmer wurden Ermittlungen wegen Fahrlässigkeit eingeleitet, und ihm wurde untersagt, das Land zu verlassen, sagte Sheikh.

Dass das Gebäude überhaupt als Fabrik genehmigt wurde, sagt auch viel aus über die Bedingungen in der Region. Immer wieder errichten Unternehmer illegale Fabriken in dicht besiedelten Gebieten. Korruption von Beamten ist an der Tagesordnung. Die Textilbranche ist einer der größten Industriezweige Pakistans. Während 2011 eine Exportsteigerung von Textilien um 35 Prozent vermeldet wurde, sanken die Exporte im ersten Halbjahr 2012 um zehn Prozent.

Die Niederlassung von »Ali Enterprises«, in der das verheerende Feuer wütete, hatte nach Angaben der Website »TradeTag.com« den deutschen Textildiscounter »KiK« als einen Hauptabnehmer. Wie aktuell die Information ist, ließ sich indes nicht überprüfen. Auf nd-Anfrage sagte eine »KiK«-Sprecherin, man recherchiere, ob »Ali Enterprises« noch für »KiK« arbeite. Diese Recherchen dauerten bei Redaktionsschluss noch an.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. September 2012


Flammendes Inferno in Karatschi

Mindestens 314 Tote bei Bränden in pakistanischen Fabriken für Textilien und Schuhe ***

In Pakistan sind bei Bränden in einer Textil- und einer Schuhfabrik mindestens 314 Menschen ums Leben gekommen. Zeugenaussagen zufolge breitete sich das Feuer in einer Kleiderfabrik in der Hafenstadt Karatschi innerhalb weniger Minuten im gesamten Gebäude aus. Die meisten Opfer seien erstickt, weil sie nicht aus dem Keller des Gebäudes fliehen konnten, sagte der Chef der Feuerwehr. Es gebe keine Notausgänge in dem Gebäude, und die Türen zum Keller seien versperrt gewesen. Einige der Opfer seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, sagte der Leiter des Einsatzes. Von den rund 450 Beschäftigten kamen Polizeiangaben zufolge mindestens 289 in dem Flammeninferno ums Leben. Weitere 35 wurden verletzt, als sie versuchten, sich vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Die Einsatzkräfte rechneten mit mehr Opfern.

»Wenn keine Metall-Gitter an den Fenstern gewesen wären, hätten sich viele Menschen retten können«, sagte ein Angestellter. »Die Eigentümer waren mehr mit der sicheren Aufbewahrung der Kleidungsstücke beschäftigt als mit dem Schutz der Arbeiter.« Das Feuer war aus noch ungeklärter Ursache am späten Dienstag abend ausgebrochen. Auch am Mittwoch war der Brand noch nicht vollständig gelöscht. Polizisten durchkämmten Teile der Stadt, um die Fabrikbesitzer ausfindig zu machen. Die Behörden ordneten für die kommenden zwei Tage eine Überprüfung aller Fabriken und Industrieanlagen in der Provinz Sindh an.

Der zweite Brand brach in einer Schuhfabrik in der Stadt Lahore aus - hier starben mindestens 25 Menschen. Einem ersten Untersuchungsbericht zufolge waren Notausgänge verschlossen und weitere Sicherheitsbestimmungen wurden mißachtet, wie es in Regierungskreisen hieß. Die Fabrik war illegal in einem Wohnviertel betrieben worden. Angestellte vermuteten Probleme mit einem Generator als Auslöser für das Feuer. Der pakistanische Premier Raja Pervaiz Ashraf äußerte sich schockiert über die Brände und sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. September 2012v


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