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Ausnahmezustand, Hausarrest, Verhaftungen, Demonstrationen

Pakistan am Rande eines Bürgerkriegs? Musharraf kämpft um die Macht, die Opposition ist verfeindet. Aktuelle Berichte und ein Interview



Bhutto fordert Musharrafs Rücktritt

"Langer Marsch" begann ohne die pakistanische Oppositionsführerin

Von Hilmar König, Delhi *

Erstmals hat die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto den Rücktritt von Präsident Pervez Mu-sharraf gefordert. In Lahore begann ein »langer Marsch« gegen den Ausnahmezustand.

Ein erneuter Hausarrest Benazir Bhuttos, der schrillsten Stimme der Opposition im heutigen Pakistan, hat das Fass am Dienstag (13. Nov.) zum Überlaufen gebracht. »Es ist vorbei mit Musharraf. Er muss zurücktreten – als Präsident und als Armeechef.« Das forderte die Politikerin in einem Telefongespräch mit AFP.

Sie versicherte, als Premierministerin niemals unter ihm fungieren zu wollen. Das erwarte auch die Bevölkerung von ihr. Er habe wiederholt seine Versprechen gebrochen und der Nation jetzt den Ausnahmezustand, eine suspendierte Verfassung und Repressalien gegen die Demokratiekräfte beschert. »Wir haben ihm einen Fahrplan für einen friedlichen Wechsel gegeben, aber er hat ihn verhöhnt«, erklärte sie.

Frau Bhutto appellierte an die internationale Gemeinschaft, die Diktatur jenes Mannes nicht länger zu unterstützen, der »diesen atomar bewaffneten Staat ins Chaos zu stürzen droht«. Auf einer Sitzung der Commonwealth-Außenminister wurde General Musharraf eine Frist von zehn Tagen zur Beendigung des Ausnahmezustands und zum Wiederinkrafttreten der Verfassung gesetzt. Ansonsten droht Pakistan die Suspendierung aus der Staatenorganisation.

Gegenüber dem pakistanischen Geo TV äußerte Benazir Bhutto ebenfalls am Dienstag: «Musharraf selber ist eine Hürde auf dem Weg zur Demokratie.« Deshalb könne man nicht mit ihm zusammenarbeiten. Sie kündigte an, sich für eine »Interessenkoalition« aller Opponenten gegen Musharraf zu engagieren, und forderte, eine »Interimsregierung des nationalen Konsens« sollte gebildet werden und die Parlamentswahlen überwachen.

Benazir Bhutto, die Vorsitzende der Pakistanischen Volkspartei (PPP), war am Dienstag (13. Nov.) in Lahore unter Hausarrest gestellt worden. Das Haupttor der Residenz wurden mit Vorhängeschlössern gesperrt und ein Befehl für einen siebentägigen Hausarrest wurde an das Gitter geklebt. Tausende Sicherheitsleute riegelten das Gebäude und alle Zufahrtsstraßen ab, zogen Stacheldraht, errichteten Straßensperren und parkten mit Sand beladene Lastwagen. Damit wurde verhindert, dass sich Benazir Bhutto an die Spitze einer Fahrzeugkarawane setzte, die zum »langen Marsch« gegen den Ausnahmezustand von Lahore in die Hauptstadt Islamabad aufbrach.

Trotz der Restriktionen und der Festnahme Hunderter PPP-Aktivisten sind nach Augenzeugenberichten mehr als 100 Fahrzeuge auf die 290 Kilometer lange Tour gegangen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. November 2007

Pakistan: Bhutto erneut unter Hausarrest. Musharraf zum Rücktritt aufgerufen

Die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto hat Präsident Pervez Musharraf am Dienstag (13. Nov.) zum Rücktritt aufgefordert. Musharraf sei eine Hürde, die der Demokratie im Weg stehe, sagte Bhutto dem Privatsender Geo TV telefonisch aus Lahore, wo sie seit Montagabend (12. Nov.) unter Hausarrest steht. Eine Beteiligung an einer künftigen Regierung unter Musharraf schloß sie aus. Ihre Partei werde die für Januar geplante Parlamentswahl wahrscheinlich boykottieren, erklärte Bhutto den vor ihrem Haus versammelten Reportern per Telefon. Die bevorstehende Wahl sei nur eine Show, mit der die regierende PML sich die Macht sichern wolle. Selbst wenn ihre Volkspartei (PPP) gewinnen sollte, würde sie dabei keine echte Macht erlangen. Sie verlange von Musharraf, seine Ämter als Präsident und Militärchef niederzulegen, so Bhutto gegenüber Geo TV. Danach müsse eine Übergangsregierung die bevorstehende Parlamentswahl vorbereiten. Bhutto kündigte an, sie wolle alle Oppositionsparteien einen und habe bereits Kontakt zu anderen Gruppen aufgenommen, um eine »Koalition der Interessen« gegen Musharraf zu errichten. Sie kündigte eine Zusammenarbeit mit dem früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif an, um die Demokratie wiederherzustellen. Die pakistanische Regierung nahm zahlreiche Anhänger Bhuttos fest, um einen Protestmarsch gegen den Ausnahmezustand zu verhindern. Tausende Polizisten blockierten am Dienstag die Straßen. Trotzdem begannen die Regimekritiker ihren geplanten Marsch.(AP/jW)

* Aus: junge Welt, 14. November 2007



Hofft Pakistan auf Frau Bhutto?

Bürgerrechtler Farrukh Sohail Goindi über die Situation in seinem Land / Farrukh Sohail Goindi vertritt die Stiftung für Demokratie, eine Bürgerrechts- und Friedensorganisation in Lahore **

ND: Pakistans Militärmachthaber Pervez Musharraf hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Was bedeutet das für die Menschen?

Farrukh Sohail Goindi: Die Ausrufung des Ausnahmezustandes am 4. November hat die ganze Gesellschaft aufgeschreckt. In den Medien ist alles schwarz, die Menschen sind verunsichert.

Warum bricht Musharraf so offensichtlich die Verfassung?

Er versucht, seine illegale Präsidentschaft durch verfassungswidrige Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Sein einziges Ziel ist, in jedem Fall an der Macht zu bleiben.

Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto steht unter Hausarrest: Welche Rolle spielt sie derzeit?

Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick: Benazir Bhutto wurde 1988 erstmals Premierministerin und wurde 1993 per Wahl bestätigt. Ihre Amtszeit war jedoch nicht sehr ruhmreich, da sie sich mit den feudalen Eliten und Mafiosi umgab und auch in Korruptionsfälle verwickelt war. Es war ihre Regierung, mit deren Hilfe sich die Taliban in Afghanistan etablierten.

Ich halte es für möglich, dass Benazir Bhutto zum dritten Mal Premierministerin wird. Dass sie in diesem Falle wirkliche soziale und politische Reformen einleitet, bezweifle ich jedoch. Zum einen, weil sie selbst von reformunwilligen Personen umgeben ist, zum anderen, weil sie auch mit anderen Kräften, vor allem aus dem Militär, zusammenarbeiten müsste.

Sie waren selbst lange Zeit Mitglied von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP). Was ist das für eine Partei?

Ja, ich war ein sehr aktives PPP-Mitglied. Die Partei lebt bis heute vom Nimbus ihres Gründers Zulfikar Ali Bhutto, der sie 1967 mit sozialistischer Ausrichtung aufbaute. Er wurde der erste gewählte Premierminister des Landes, er leitete Reformen ein, von denen die bäuerliche, die Arbeiter- und die Mittelklasse profitierten. Auch die erste demokratische Verfassung wurde unter seiner Ägide verabschiedet. Deshalb genießt Ali Bhutto bei einfachen Leuten in unserer Klassengesellschaft hohen Respekt. Im Sommer 1977 putschte General Zia Ul Haq gegen ihn und ließ ihn unter fadenscheinigen Anschuldigungen hängen. Nach seinem Tod trat seine Tochter Benazir auf den Plan. In Südasien spielen politische Dynastien eine große Rolle.

Sie sagten, Benazir Bhutto habe in ihrer Regierungszeit die Taliban unterstützt. Haben Islamisten Einfluss auf sie oder ihre Umgebung? Wie stark sind die Islamisten in Pakistan überhaupt?

Islamisten haben derzeit keinen direkten Einfluss auf Benazir Bhutto, aber wer weiß, wie es wäre, wenn sie tatsächlich an die Regierung käme. Die Militärbürokratie wird immer eine wichtige Rolle spielen und einige politisch rechts stehende oder den Islamisten nahe stehende Leute können sehr wohl Einfluss auf die Politik nehmen. Die Islamisten alleine sind jedoch nicht in der Lage, die Macht zu übernehmen. Sie haben zwar zunehmenden Rückhalt im Norden, was auch mit der USA-Aggression zu tun hat und mit politischen Fehlern der Militärbürokratie, aber im Allgemeinen sind die Pakistani Sufi-Anhänger und im Herzen nicht gewaltbereit oder fundamentalistisch.

Auf welchem Wege könnte Pakistan demokratisiert werden?

Eine wirkliche Basis haben Nichtregierungsorganisationen im Volk nicht. Nur die Parteien können etwas bewegen. Dabei sind die Pakistaner leidenschaftliche Demokraten. In den Jahren 1967, 1970 und 1984 haben Militärdiktatoren durch friedliche, demokratische Bewegungen schmähliche Niederlagen erlitten. Diese Kräfte sollte der Westen unterstützen.

Fragen: Stephan Brües

** Aus: Neues Deutschland, 14. November 2007


Pakistan: Alle prominenten Oppositionspolitiker festgenommen ***

In Pakistan ist am Mittwoch (14. November) der letzte prominente Oppositionspolitiker festgenommen worden, der sich nach der Verhängung des Ausnahmezustandes noch nicht in Haft oder im Exil befand. Imran Khan tauchte überraschend bei einer Kundgebung gegen den Ausnahmezustand auf einem Universitätscampus in Lahore auf. Er wurde auf Grundlage der Antiterrorgesetze angeklagt, wie ein Regierungssprecher sagte. Khan, eine ehemalige Kricket-Legende, steht einer kleinen, aber lautstarken Oppositionspartei vor.

Der Diktator verteidigte unterdessen den Ausnahmezustand. Dieser sei notwendig, um die Nation vor der Bedrohung durch den Terror zu bewahren und die für Januar geplanten Wahlen vorzubereiten, sagte er der französischen Tageszeitung Le Monde (Donnerstagsausgabe). Wann er die am 3. November verhängte Maßnahme aufheben werde, sagte er nicht. Die festgenommenen Politiker würden freigelassen und dürften sich »vollständig an den Wahlen beteiligen«, versprach Pervez Musharraf, schränkte jedoch ein: »Wenn sie aufwiegeln und die Regeln verletzten, müssen wir gegen sie vorgehen.«

Der Hausarrest gegen die frühere Ministerpräsidentin Benazir Bhutto sei verhängt worden, weil Selbstmordattentäter Anschläge auf sie planten. Bhutto versucht derzeit, eine Allianz mit Exministerpräsident Nawaz Sharif zu schmieden, der 1999 von Musharraf gestürzt worden war und im Exil lebt. In dem Interview schloß der Präsident eine Rückkehr Sharifs vor den Wahlen aus.

Islamische Rebellen brachten unterdessen im Nordwesten von Pakistan eine Bezirkshauptstadt unter ihre Kontrolle. Rund 400 bewaffnete Anhänger des den Taliban nahestehenden Geistlichen Maulana Fazlullah übernahmen am Dienstag abend die im Swat-Tal gelegene Stadt Alpurai, wie die Zeitung The News am Mittwoch berichtete. Die Anhänger von Fazlullah haben seit Juli einen großen Teil der gebirgigen Region in ihre Hand gebracht. Der Geistliche will im Swat-Tal das islamische Recht einführen.

*** Aus: junge Welt, 15. November 2007

Opposition berät Zusammenarbeit

Die einst bitter verfeindete pakistanische Opposition hat am Donnerstag (15. November) Beratungen über ein Bündnis gegen Präsident Pervez Musharraf aufgenommen. Die frühere Ministerpräsidentin Benazir Bhutto, der ehemalige Regierungschef Nawaz Sharif und der Oppositionspolitiker Imran Khan begannen entsprechende Gespräche, wie Bhutto in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP erklärte. »Ich denke, Musharrafs Zeit ist um«, sagte Bhutto. Sie und Sharif sprachen telefonisch über die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit aller politischen Parteien.




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