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Flutfolgen und Selbstmordattentate

Pakistan nach Naturkatastrophe auf Auslandshilfe angewiesen. Dutzende Tote bei Anschlägen militanter Gruppen

Von Hilmar König *

Mit Hilfe der Opposition hofft Pakistans Premier Jusuf Raza Gilani, die spürbar gesunkene internationale Spendenbereitschaft wieder ankurbeln zu können. Er will mit ihr über die Verwendung von Spendengeldern für die Opfer der Flutkatastrophe beraten und gemeinsam die im Ausland verbreitete Besorgnis über Mißbrauch durch Korruption ausräumen.

Der Regierungschef teilte dem Parlament in Islamabad mit, daß bislang nur 47 Millionen Dollar für den Hilfsfonds seines Büros eingegangen sind, während geschätzte 43 Milliarden zur Linderung der Not von 6,5 Millionen aus den Überschwemmungsgebieten Geflüchteten, für medizinische Behandlung und die Beseitigung der immensen Schäden sowie den Ausgleich der Ernteausfälle gebraucht werden. Ohne großzügige internationale Assistenz, so Gilani, komme das Land nicht wieder auf die Beine. Bislang sind in Pakistan immerhin 137 Flugzeugladungen mit den verschiedensten Hilfsgütern eingetroffen.

Im Süden der Provinz Sindh leiden Millionen Menschen noch immer unter der großflächigen Überflutung durch den Indus. 150000 Geflüchtete kampieren auf höher gelegenen Straßen und warten auf Trinkwasser, Nahrung, Medikamente und eine überdachte Bleibe.

Die Weltgesundheitsorganisation berichtete von massenhaft auftretenden Malariafällen, Magen-Darm- sowie Atemwegsinfektionen. 4,5 Millionen Erkrankte hätten bereits medizinische Hilfe erhalten. Am Freitag voriger Woche verwies das UN-Büro für Koordinierung humanitärer Aktionen darauf, daß bislang 63 Prozent der zugesagten 460 Millionen Dollar an Hilfe für Pakistan eingegangen sind.

Vor diesem Hintergrund treffen die gezielten Anschläge militanter Gruppen Pakistans Bevölkerung und zivile Einrichtungen umso heftiger. Am Samstag (4. Sept.) zerstörten Attentäter mit einer Sprengladung eine Mädchenschule in Kalam im nordwestlichen Swat-Tal. Da die Einrichtung geschlossen war, kam niemand zu Schaden. Es war die erste Attacke seit der Militäroffensive 2009 gegen pakistanische Taliban, die im Verlaufe von zwei Jahren in der Swat-Region rund 400 Schulen zerstört hatten. Ebenfalls am Samstag gedachten in Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan, die Menschen der 65 Todesopfer eines Selbstmordanschlags vom Freitag. Der Täter hatte sich in einer Prozession von Schiiten zum Solidaritätstag mit den Palästinensern in die Luft gesprengt. Bei drei Selbstmordattacken gegen Schiiten waren Mitte voriger Woche in Lahore mindestens 38 Menschenleben zu beklagen. Die militante Tehrik-e-Taleban Pakistan bekannte sich zu all diesen Anschlägen. Ihr Kommandeur Qari Hussain Mehsud erklärte: »Unser Krieg ist gegen die US- und die pakistanischen Sicherheitskräfte gerichtet. Aber Schiiten sind ebenfalls unser Ziel, weil auch sie unsere Feinde sind.« Innenminister Rehman Malik äußerte dazu: »Sie sind Ungläubige. Sie wollen Pakistan destabilisieren.«

Am Samstag (4. Sept.) wurden 18 Taliban in der nordwestlichen Stammesregion Kurram durch eine Mine sowie durch einen Granathagel des Militärs getötet. Zudem kamen in Nordwasiristan, wo Kämpfer des afghanischen Haqqani-Netzwerkes aktiv sind, zwölf Menschen durch Angriffe von US- oder NATO-Drohnen ums Leben.

* Aus: junge Welt, 6. September 2010


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