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Land unter in Pakistan

20 Millionen Flutopfer: Überschwemmungen stürzen asiatischen Staat in schwerste Katastrophe seiner Geschichte. Enorme wirtschaftliche Schäden, besonders im Agrarbereich

Von Thomas Berger *

Die Flutkatastrophe in Pakistan hat das Land schwer getroffen. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor den Wassermassen, haben alles verloren und kämpfen vielerorts ums nackte Überleben. Doch nicht nur die katastrophale humanitäre Situation belastet das 170-Millionen-Einwohner-Land. Auch die Wirtschaft des wurde von der Naturkatastrophe schwer getroffen. Vor allem der Agrarsektor wird aktuellen Medienberichten zufolge Jahre brauchen, sich von den großflächigen Verwüstungen zu erholen. 17 Millionen Acre (6,8 Millionen Hektar) landwirtschaftlicher Nutzfläche sind überschwemmt. Nahezu die komplette Ernte wurde in einem Großteil des asiatischen Landes vernichtet. Die Ausfälle bei Reis, Weizen, Zuckerrohr und anderen Kulturen belaufen sich in etlichen Gebieten auf 100 Prozent. Eine Hungersnot wird sich dank der allmählich anlaufenden internationalen Hilfe zwar weitgehend vermeiden lassen. Doch auch in den Folgejahren wird Pakistan voraussichtlich auf massive Nahrungsmittelimporte und weitere Hilfsleistungen aus dem Ausland angewiesen sein. Vielerorts ist das Netz an Bewässerungskanälen durch die Fluten komplett zerstört worden. Damit ist die nächste Ernte bereits jetzt gefährdet, weil die Bauern der jetzt folgenden Dürreperiode nichts entgegensetzen können.

Verlust bei Baumwolle

Allein beim Baumwollanbau mache der aktuelle Verlust geschätzte 155 Milliarden Rupien (knapp 1,4 Milliarden Euro) aus, sagte Javed Salem, vormaliger Präsident der Crop Protection Association (CPA). Allein in der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab seien eine Million Acre betroffen und Baumwollkulturen im Wertumfang von 86 Milliarden Rupien vernichtet. Salem und Ibrahim Mughal, Chef des Bauernverbandes Pakistan Agricultural Farms Association (PAFA), listen weitere Zahlen zu den vermuteten Verlusten auf. So seien die Viehbestände erheblich dezimiert worden. An die 100000 Kühe, Wasserbüffel, Pferde, Kamele, Schafe und Esel seien im Wasser umgekommen, mindestens 3000 Fisch- und 2000 Geflügelfarmen zerstört.

Der landwirtschaftliche Gesamtschaden, schreibt die führende Tageszeitung Dawn, könnte sich auf 250 Milliarden Rupien (2,25 Milliarden Euro) belaufen. Pakistans Agrarminister Nazar Mohamad Gondal hält sich in dieser Hinsicht noch zurück. Es sei »schwierig, schon mit konkreten Zahlen aufzuwarten«. Doch in jedem Fall gehe es um »Milliarden und Abermilliarden«, die man allein in diesem Sektor zum Wiederaufbau brauche. Selbst bisherige Reserven stehen nicht mehr zur Verfügung. PAFA-Chef Mughal verweist auf eine Million Tonnen Weizen, die eingelagert waren und einfach weggeschwemmt worden seien. Selbst 1000 Traktoren, wichtig bei der Feldarbeit, sind verschwunden oder unbrauchbar. Für viele Bauern ist die Anschaffung eines solchen Fahrzeugs eine enorme finanzielle Belastung.

Die Verluste machen sich schon jetzt mancherorts mit Knappheit und Preisanstiegen bemerkbar. So haben sich beispielsweise Obst und Gemüse um 25 bis 50 Prozent verteuert. Tomaten und Kartoffeln werden bereits aus Indien importiert, und in der Hauptstadt Islamabad treffen kaum noch Lkw aus der überfluteten »Kornkammer« Punjab ein. Von einer riesigen Herausforderung, die Landwirtschaft wieder halbwegs auf die Beine zu stellen, spricht auch Maurizio Guliano, der UN-Sprecher für humanitäre Hilfsaktionen.

Schleppende Hilfe

»Die Flut betrifft 20 Millionen Menschen«, sagte Pakistans Regierungschef Yousuf Raza Gilani am Wochenende in einer im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation. Das ist eine größere Zahl als bei der Tsunami-Katastrophe 2004, dem Erdbeben in Kaschmir 2005 und dem in Haiti dieses Frühjahr zusammengenommen. Vergleichweise schleppend treffen aber Finanzzusagen im Rahmen internationaler Hilfsaktionen ein. Bislang sind von benötigten umgerechnet 460 Millionen US-Dollar nur 195 Millionen abgedeckt, sagte Martin Mogwanja, UN-Koordinator für die Hilfsmaßnahmen in Pakistan. Derzeit stünden pro Flutbetroffenen umgerechnet nur 3,20 Dollar zur Verfügung - weitaus weniger als bei vergleichbaren Katastrophen, sagt Paul Bendix, Deutschland-Geschäftsführer der internationalen Hilfsorganisation Oxfam. In Haiti seien es zum gleichen Zeitpunkt schon 495 Dollar gewesen. Nur fünf Geberländer, neben den USA und Großbritannien noch Italien, Kuwait und Australien, haben mehr als fünf Millionen Dollar zugesagt, so die pakistanische Oxfam-Landesdirektorin Neva Khan. Sie appellierte eindringlich an die wohlhabenden Staaten, die Flutopfer stärker zu unterstützen.

* Aus: junge Welt, 16. August 2010


UN-Chef Ban im Katastrophengebiet **

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die internationale Gemeinschaft zu mehr Unterstützung für die Opfer der Hochwasserkatastrophe in Pakistan aufgerufen. Ban traf am Sonntag in Islamabad ein, wo er mit Ministerpräsident Yousuf Raza Gilani zusammenkam. Für den Wiederaufbau nach den Überschwemmungen, die rund 1500 Menschen das Leben gekostet und etwa 20 Millionen obdachlos gemacht haben, sind nach Einschätzung der Vereinten Nationen mehrere Milliarden Dollar nötig.

Er wolle in Pakistan selbst sehen, »was noch getan werden muß«, erklärte Ban. Außerdem wolle er die Weltgemeinschaft dazu drängen, »die Hilfe für die pakistanische Bevölkerung zu beschleunigen«. Die Vereinten Nationen haben zunächst um Finanzhilfen in Höhe von 460 Millionen Dollar gebeten, bislang sind allerdings nur 20 Prozent davon eingegangen. Die Bundesregierung stockt ihre humanitäre Nothilfe für Pakistan auf. Wie das Auswärtige Amt am Samstag abend in Berlin mitteilte, wird die Summe von 10 auf 15 Millionen Euro erhöht.

Der Ausbruch der Cholera könnte die Zahl der Todesopfer weiter in die Höhe treiben: Die UN bestätigten am Samstag eine erste Infektion im Flutgebiet. Bei einem Patienten in Mingora im Swat-Tal sei zweifelsfrei Cholera diagnostiziert worden, sagte UN-Sprecher Maurizio Giuliano. Zudem gebe es mehrere Verdachtsfälle. Hilfsorganisationen hatten bereits in den vergangenen Tagen von Cholerafällen in der Region berichtet. Die Krankheit kann zu Austrocknung und bei ausbleibender Behandlung zum Tod führen.

Die Bestätigung der UN kam zeitgleich mit einer neuen Flutwelle im Süden des Landes. Nach Angaben von Meteorologen stieg der Indus in der südlichen Region Sindh an, nahegelegene Städte, Dörfer und Siedlungen waren von Überschwemmungen bedroht. An einigen Stellen ist der Indus bereits 25 Kilometer breit, das ist 25mal mehr als während einer normalen Monsun-Saison.

** Aus: junge Welt, 16. August 2010

In Pakistan, UN chief urges rapid assistance for flood-stricken communities

15 August 2010 - Secretary-General Ban Ki-moon on Sunday (15 August) called for the rapid delivery of assistance for millions of people in flood-stricken Pakistan, as he saw for himself the devastation wrought by the recent disaster.

Mr. Ban arrived in the South Asian nation to demonstrate the support of the United Nations and the international community in the wake of what has been called the country's worst disaster in living memory, having claimed more than 1,200 lives and leaving at least 2 million homeless.

"I'm here to see what is going on? I'm here also to urge the world community to speed up their assistance to the Pakistani people," the Secretary-General told reporters on arrival.

An estimated 14 million people have been affected by the floods, which began late last month in the wake of particularly heavy monsoon rains and which have destroyed homes, farmland and major infrastructure in large parts of the country, most notably the north-west province of Khyber Pakhtunkhwa (KPK).

Speaking at a news conference after touring the affected areas, Mr. Ban described what he witnessed as "heart wrenching," recalling scenes of washed-out roads, bridges and even whole villages, as well as people marooned on tiny islands with flood waters all around them.

"I will never forget the destruction and suffering I have witnessed today. In the past I have visited the scenes of many natural disasters around the world, but nothing like this," he stated.

"The scale of this disaster is so large so many people, in so many places, in so much need."

Last week the UN and its partners announced they are seeking almost $460 million to help Pakistan tackle the needs of flood-affected families, including food, clean drinking water, tents and other shelter and non-food items, as well as medical supplies.

The UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) reported yesterday that although the scale of the disaster continues to expand, just 20 per cent - some $93 million - of the funding requirements set out in the Pakistan Initial Floods Response Emergency Plan have so far been covered.

"These unprecedented floods demand unprecedented assistance," stated the Secretary-General. "The flood waves must be matched with waves of global support."

He also announced that he will allocate a further $10 million from the UN's Central Emergency Response Fund (CERF) for the relief effort, bringing the total disbursement since the beginning of the crisis to $27 million.

According to OCHA, ensuring access to clean water remains a top priority as rates of diarrhoeal disease continue to increase in affected areas.

The Secretary-General noted that UN agencies and their partners are aiming to provide at least six million people with safe drinking water and food as soon as possible.

Before travelling to the flood-affected areas, Mr. Ban met separately with President Asif Ali Zardari and Prime Minister Yusuf Raza Gilani, and expressed the solidarity of the UN with the Government and people of Pakistan.

He said he hoped his visit will help accelerate the rate of generous support from the international community, and noted that the immediate relief efforts would need to be complemented by longer-term reconstruction, with help from the UN and global partners.

"As the waters recede, we must move quickly to help people build back their country and pick up the pieces of their lives. Farmers will need seeds, fertilizers and tools to replant. Education, health and nutrition need to be restored quickly.

"In the longer term, the huge damage to infrastructure must be repaired. The UN will be part of all this too," said Mr. Ban, who added that he will report to the General Assembly on his visit later this week.

Source: UN News Centre, 15 August 2010; www.un.org




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