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Ausbruch aus dem Feudalismus

Pakistan: Mutmaßliche Vergewaltiger vor Gericht. Erste Bewährungsprobe für neues Frauenschutzgesetz

Von Zofeen Ebrahim *

In Pakistan stehen zur Zeit elf Männer wegen Vergewaltigung eines 16jährigen Mädchens vor Gericht. Das Verfahren gilt als Bewährungsprobe für ein neues Gesetz, das Frauen vor Verbrechen schützen soll, die im Namen der Ehre begangen werden. Den Angeklagten wird vorgeworfen, ihr Opfer am 27. Januar aus dem Dorf Habib Labano, 525 Kilometer nordöstlich von der Hafenstadt Karachi, entführt und vergewaltigt zu haben. Zuvor war ein Verwandter des Mädchens mit einer Angehörigen der Täterfamilie durchgebrannt. Um die Demütigung noch zu verstärken, mußte das Opfer auch noch nackt nach Hause laufen.

Bis jetzt hat die Polizei sechs Beschuldigte verhaftet. Der Vater des Mädchens hatte Klage erhoben. Pakistanische Frauen- und Menschenrechtsgruppen beklagten jedoch, daß der Staat zu wenig gegen sexuelle Gewalt aus Rache unternimmt. »Unsere Regierung wacht erst auf, wenn internationale Medien auf die ›Ehrenmorde‹ in unserem Lande aufmerksam werden«, sagt Anis Haroon, Leiterin der pakistanischen Frauenrechtsgruppe Aurat Foundation. Nach Angaben der pakistanischen Menschenrechtskommission wird in dem südasiatischen Land alle zwei Stunden eine Frau vergewaltigt. Die Dunkelziffer sei allerdings weitaus höher. Im Dezember wurden allein in der südöstlichen Provinz Sindh vier Gruppenvergewaltigungen gemeldet. Nur in einem Fall wurde die Distriktregierung aktiv und verhalf der Familie des Opfers zu einem Anwalt. Haroon zufolge werden die Schuldigen in den meisten Fällen freigesprochen, »weil sie genügend Geld und politische Macht besitzen, um das Gericht oder die Familien zu bestechen.

Pakistans Frauenbewegung setzt ihre Hoffnungen nun in das neue Gesetz zum Schutz der Frauen vor Gewalt, das wegen des massiven Widerstands islamischer Parteien mehrfach geändert werden mußte. Im November wurde es schließlich abgesegnet und im Dezember von Staatspräsident Pervez Musharraf gegengezeichnet. Vergewaltigungen, die bislang vor Scharia-Gerichten verhandelt wurden, fallen nun in den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit. Das neue Gesetz entbindet Frauen von der bisher geltenden Verpflichtung, mindestens vier Zeugen zu benennen. Auch wenn die Opfer die Vergewaltigung nicht beweisen können, müssen sie nicht mehr befürchten, wegen Ehebruchs vor Gericht zu kommen und gesteinigt zu werden.

Die pakistanische Frauenbewegung kämpft seit fast 30 Jahren für die Abschaffung feudaler Bräuche und Normen, die Vergewaltigung, Zwangsverheiratung und Ermordung von Frauen zur Wiederherstellung der Familien­ehre erlauben. Vorbild der Frauenrechtlerinnen ist Mukhtaran Mai, die 2002 von sechs Männern vergewaltigt wurde, weil angeblich ihr damals zwölfjähriger Bruder die Ehre einer so­zial höher gestellten Familie beleidigt hatte. Mai zog bis vor den Obersten Gerichtshof, der nicht nur die Täter, sondern auch Mitglieder des Dorfrates, die die Vergewaltigung angeordneten hatten, hinter Gitter brachte.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2007


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