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Vertrauensfrage für Gilani

Pakistans Premier steht unter Druck

Von Hilmar König *

Noch kann Pakistans Premier Jusuf Raza Gilani nicht aufatmen. Zwar hat er nach der scharfen Konfrontation mit der Militärführung bei einem Treffen mit Armeechef Kayani am Samstag alle Signale auf Entspannung gesetzt. Aber heute muss er im Parlament ein Vertrauensvotum überstehen, und auch das Oberste Gericht macht Druck.

Die Krise begann im Oktober 2011, als ein ominöses an Washington gerichtetes Geheimdokument an die Öffentlichkeit gelangte. Gleich nach der Tötung Osama bin Ladens Anfang Mai durch ein USSpezialkommando auf pakistanischem Territorium wurde dieses kurz als »Memo« bezeichnete Papier an einen Pentagonvertreter übergeben. Darin wurde um Hilfe gebeten, einen möglichen Militärputsch zu verhindern. Wer das Memo verfasste und in wessen Auftrag, blieb bislang im Dunkeln. Der ins Visier geratene Staatspräsident Asif Ali Zardari und der ehemalige pakistanische Botschafter in den USA Husain Haqqani wiesen alle Verdächtigungen vehement zurück.

Der Höchste Gerichtshof des Landes nahm sich der Sache an. Armeechef Ashfaq Parvez Kayani und ISI-Geheimdienstboss Shuja Pasha lieferten den Justizbehörden angeblich Informationen. Damit kam die Kontroverse ins Rollen. Premier Gilani meldete sich zu Wort, Kayani und Pasha hätten mit ihren »illegalen« Auskünften die Verfassung missachtet. Er vermutete, ohne das Militär beim Namen zu nennen, eine »Verschwörung«.

General Kayani reagierte sofort: Es handele sich um unbegründete Putschgerüchte. Solche »schlimmen Anwürfe« könnten »schwere Konsequenzen« nach sich ziehen. Premier Gilani wiederum goss weiter Öl ins Feuer und ersetzte seinen Verteidigungssekretär Naim Khalid Lodhi, der Kayani nahe stehen soll, durch einen Zivilbeamten. In einem Interview für die chinesische Zeitung »People’s Daily« äußerte er erneut Verdächtigungen – während sich Kayani gerade zu einem offiziellem Besuch in der Volksrepublik aufhielt. In einer ungewöhnlichen öffentlichen Stellungnahme versicherte das Militär daraufhin, »Treue zum Staat und zur Verfassung « seien stets General Kayanis höchste Priorität.

Damit erreichte die Kontroverse offenbar ihren Höhepunkt. Gilani, gleichzeitig unter Druck der Justiz, sah sich zur Schadensbegrenzung veranlasst. Am Samstag erklärte er auf einem Treffen des Verteidigungskomitees in Anwesenheit Kayanis, die Streitkräfte würden von allen patriotischen Bürgern unterstützt, sie seien »eine Säule der Standhaftigkeit und Stärke der Nation«. Die Regierung ermögliche allen staatlichen Institutionen, »ihre Rolle in ihren entsprechenden Domänen für das Gemeinwohl zu spielen«. Kayani soll allerdings darauf bestanden haben, dass der Premier seine Vorwürfe zurücknehme. Von der Gefahr eines Militärputsches ist jedenfalls gegenwärtig keine Rede mehr.

Größere Gefahr für den Regierungschef und für Präsident Zardari scheint vom Höchsten Gerichtshof auszugehen. Dieser befasst sich am heutigen Montag sowohl mit dem Memo als auch mit einem anderen brisanten Thema – der Bestechung auf höchster politischer und staatlicher Ebene. Die Richter fordern, dass alte Korruptionsfälle wieder eröffnet werden. General Pervez Musharraf hatte sie während seiner Willkürherrschaft 2007 mit einem Sondergesetz zu den Akten legen lassen. Davon profitierten nicht nur der heutige Präsident Zardari, sondern tausende Personen. Bislang sperrt sich die Regierung, diese Fälle neu aufzurollen. Das Oberste Gericht beschuldigte deshalb Gilani, er habe seinen Amtseid und die Verfassung missachtet. Er könnte zum Rücktritt gezwungen werden.

Zunächst aber stimmt das Parlament heute über eine Unterstützung »der Bemühungen der politischen Führung um die Stärkung der Demokratie« ab. Eine entsprechende Resolution ruft dazu auf, »der Führung volles Vertrauen zu schenken.« De facto handelt es sich um ein Vertrauensvotum der Abgeordneten. In Islamabad geht man davon aus, dass es zugunsten des Premiers ausfallen werde. Ob das zur Entwarnung ausreicht?

** Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012


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