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Krieg gegen Sozialarbeiter

Pakistan: Immer mehr Morde an Impfhelferinnen und Lehrerinnen

Von Knut Mellenthin *

Am Dienstag wurden in Pakistan sieben Mitarbeiter einer einheimischen Hilfsorganisation – sechs Frauen und ein Mann – von Unbekannten ermordet. Zwei Männer auf einem Motorrad hatten den Kleinbus, mit dem die Sozialarbeiter auf dem Heimweg waren, mit Salven aus Schnellfeuergewehren beschossen. Die Frauen, teils als Lehrerinnen und teils als Helferinnen im Gesundheitsbereich bezeichnet, waren überwiegend noch sehr jung, zwischen 20 und 22 Jahren alt. Die Bluttat fand im Distrikt Swabi statt, der zwar zur Provinz Khyber Pakhtunkhwa, der früheren Nordwest-Grenzprovinz, gehört, aber weit außerhalb der sogenannten Stammesgebiete liegt. Swabi grenzt an die Provinz Pundschab und ist kein Gebiet, in dem die pakistanischen Taliban regelmäßig aktiv sind.

Dennoch brachte die Bevölkerung die Tat automatisch mit den Taliban in Verbindung. Bereits im Dezember waren mindestens neun freiwillige Helfer, ebenfalls mehrheitlich junge Frauen, ermordet worden, die an einer von der UNO und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützten Impfkampagne gegen Kinderlähmung mitgewirkt hatten. Pakistan ist nach UN-Angaben eines von nur drei Ländern, in denen die Polio immer noch auftritt. Schauplätze der Morde waren die Hauptstadt von Khyber Pakhtunkhwa, Peschawar, und die mit über 20 Millionen Einwohnern größte Stadt des Landes, Karatschi. Die Hafenstadt ist seit Jahren ein Schwerpunkt der Bandenkriminalität und insbesondere auch von politisch motivierten Auftragsmorden, in die angeblich fast alle größeren Parteien verwickelt sind. Im vergangenen Jahr sollen dort nach offiziellen Quellen mindestens 400 Menschen bei politischen Gewaltverbrechen ihr Leben verloren haben.

Zu den Angriffen gegen die Impfhelfer gab es keine direkten »Bekennererklärungen«. Allerdings hatten verschiedene Taliban-Organisationen solche Gesundheitskampagnen wiederholt scharf als Tarnung für ausländische Spionage- und Agententätigkeit verurteilt und sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten verboten. Das seit Jahren in Teilen der pakistanischen Bevölkerung bestehende Mißtrauen gegen solche Impfaktionen war durch das Vorgehen der US-Regierung bei der Ermordung Bin Ladens im Mai 2011 verstärkt worden: Entscheidende Informationen hatte damals ein pakistanischer Arzt geliefert, der unter dem Vorwand, Polio-Impfungen vornehmen zu wollen, die Umgebung ausgekundschaftet hatte.

Die einschlägigen US-Dienststellen haben es geschafft, durch ihre Drohnenangriffe die pakistanischen Taliban wiederholt zu »enthaupten«, indem ihre Führer ermordet wurden. Das Ergebnis war jedoch keineswegs das Verschwinden der Taliban, sondern im Gegenteil deren personelle Stärkung. Zugleich wurde allerdings ihre militärische Schlagkraft erkennbar geschwächt und ihre Orientierung auf »weiche Ziele«, völlig ungeschützte Zivilpersonen, verstärkt. Falls Präsident Barack Obama das beabsichtigt hatte, kann er stolz auf seinen Erfolg sein.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 03. Januar 2013


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