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Der Präsident und sein Richter

Amtsanmaßung des pakistanischen Staatschefs löst eine Krise aus. Proteste der Justizbehörden

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die von Pakistans Präsident, General Pervez Musharraf, ausgelöste »Justizkrise« schwelt und schwelt. Am Mittwoch sollte der von Musharraf am 9. März gefeuerte Oberste Richter Iftikhar Muhammad Chaudhry zur einer weiteren Anhörung vor dem höchsten Justizgremium des Landes, dem Supreme Judicial Council, erscheinen. Im letzten Moment wurde die Vorladung auf den 3. April verlegt. Acht Richter, darunter ein stellvertretender Staatsanwalt, haben wegen der willkürlichen Intervention Musharrafs inzwischen ihr Amt niedergelegt. In Islamabad, Karachi, Lahore, Peshawar und Quetta gibt es seit fast 14 Tagen energische Proteste der Justizbehörden. Die Oppositionsparteien schlossen sich den Aktionen an. Mehrmals griff die Polizei mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken ein. Der private pakistanische TV-Sender Geo wurde von den Ordnungshütern in Islamabad überfallen, weil er Bilder von der Protestbewegung live übertragen hatte. Mit einer solchen machtvollen Reaktion hatte der Präsident offenbar nicht gerechnet.

Bis zur Stunde ist nicht klar, was Musharraf dem Obersten Richter vorwirft. Doch was immer es sei – die Verfassung Pakistans legt unmißverständlich fest, daß ein Richter nur seines Amtes enthoben werden kann, wenn der Supreme Judicial Council ihn eines Vergehens für schuldig befunden hat. Musharraf jedoch suspendierte Chaudhry sofort vom Dienst und stellte ihn unter Hausarrest. Erst danach übergab er die Sache dem fünfköpfigen Council. Das ist verfassungswidrig und illustriert erneut, wie Musharrafs »wahre Demokratie«, die er nach seinem Putsch vom Oktober 1999 zu etablieren versprach, tatsächlich aussieht.

Ohne Zweifel ist der Willkürakt des Generals, in Personalunion auch Chef der Streitkräfte, politisch motiviert. Der Oberste Richter hat sich seit seiner Amtsübernahme im Juni 2005 immer mehr profiliert. Er segnete nicht einfach ab, was die Streitkräfte und Regierung vorgaben. Er machte beispielsweise die Privatisierung der Pakistan Steel Mills rückgängig und wagte es, den Geheimdienst ISI herauszufordern, als er den Klagen zahlreicher Familien nachging, die Auskunft über das Schicksal »Verschwundener« verlangten. Wie sich zeigte, saßen etliche von ihnen als »verdächtige Kollaborateure der Al Qaida und Taliban« im Kerker. Plötzlich haftete Iftikhar Muhammad Chaudhry das Attribut »Richter des Volkes« an. Spätestens da begann Musharraf, den »zu aktiven« Obersten Richter als lästig zu empfinden, besonders im Vorfeld der für Jahresende angesetzten Parlaments- und Präsidentenwahlen. Chaudhry soll geäußert haben, mit der Doppelfunktion als Staatspräsident und Armeechef sei dann Schluß.

Die Oppositionsparteien bewerteten die Absetzung Chaudhrys als »vorbeugende Maßnahme«, in der Vorwahlperiode einen »unabhängig denkenden und handelnden Chefrichter« kaltzustellen. Chaudhry gab nicht klein bei und zog sich nicht, wie es Musharraf ewartet hatte, in den Ruhestand zurück. Er nahm den Fehdehandschuh auf und streitet, unterstützt vom gesamten Justizapparat, für sein Recht.

* Aus: junge Welt, 22. März 2007


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