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Koalitionszwist um Rückkehr der Richter

Pakistans neue Regierung hat ihre erste Bewährungsprobe noch nicht bestanden

Von Hilmar König, Delhi *

Ungewissheit und Konfusion bestimmen die politische Szene in Pakistan, nachdem dort Ende März die Koalitionsregierung aus Volkspartei (PPP) und Muslimliga PML(N) die Geschäfte übernahm. Aktueller Stein des Anstoßes ist die Wiedereinsetzung der Richter, die von Präsident Pervez Musharraf im November 2007 während des Ausnahmezustands gefeuert worden waren.

Die Rehabilitation der Richter wurde zur ersten Zerreißprobe für die regierende Allianz. Die PPP will sich mit dieser bedeutsamen politischen Entscheidung mehr Zeit lassen, die PML(N) drängt auf Vollzug einer vor Wochen getroffenen Vereinbarung. PPP-Chef Asif Ali Zardari und Nawaz Sharif von der Muslimliga konferierten Ende April in Dubai zu diesem Problem. Am Wochenende gab Sharif nun bekannt, man habe sich geeinigt, am 12. Mai mit einer Resolution des Parlaments die widerrechtlich von Musharraf entlassenen Richter wieder einzusetzen. Postwendend kam der Einwand von der PPP, ein Zeitpunkt für diesen Schritt stehe nicht fest. Den werde ein vom Justizminister Farooq Naek geleitetes Sonderkomitee aus sechs Rechtsexperten bestimmen.

Dieses Komitee hat die Parlamentsresolution auszuarbeiten, deren gesetzliche Konsequenzen zu prüfen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Unklar ist nämlich, ob eine Resolution ausreicht, um ein präsidiales Dekret für ungültig zu erklären. Aus der Umgebung des Staatsoberhaupts wurde jedenfalls bekannt, der Präsident könnte der Revidierung seiner früheren Entscheidung nur zustimmen, wenn es dazu eine Verfassungsergänzung gebe. In diese Richtung gehen auch Überlegungen der PPP. Das aus beiden parteipolitischen Lagern bestehende Sechsergremium hat zudem zu bedenken, was mit den amtierenden Richtern geschehen soll, welche Gegenmaßnahmen vom gegenwärtigen Chefrichter zu erwarten sind und nicht zuletzt, wie Staatschef Musharraf offiziell reagieren wird. Nach gültiger Gesetzeslage kann er das Parlament auflösen und die Regierung entlassen. Aber wer will das zu einem Zeitpunkt, da die Koalitionsregierung noch gar nicht richtig in Gang gekommen ist, riskieren? Die Zeitung »Dawn« berichtete indes, Musharraf würde die Rückkehr der Richter nicht blockieren, wenn alle anderen während des Ausnahmezustands von ihm getroffenen Entscheidungen nicht nachträglich in Frage gestellt würden.

PPP-Chef Zardari ließ von Anfang an erkennen, dass er einer Konfrontation mit Musharraf aus dem Wege gehen möchte. Hingegen scheint die Muslimliga einen solchen Zusammenstoß sogar anzustreben. Nawaz Sharif, damals Pakistans Premierminister, war im Oktober 1999 von General Musharraf durch einen von dem Militär geführten Putsch entmachtet und später ins Exil nach Saudi- Arabien abgeschoben worden. Eine Schmach, die Sharif bis heute nicht verwinden kann. So stimmte er nach den Parlaments- und Provinzwahlen am 18. Februar dem Eintritt in eine Koalitionsregierung nur unter der Bedingung zu, dass die vom Präsidenten geschassten Richter rehabilitiert werden – in der Hoffnung, diese mögen die Wahl Musharrafs zum Staatsoberhaupt nachträglich doch noch als verfassungswidrig bewerten und annullieren. Auch wenn PPP und PML(N) in dieser Frage nicht mehr so heftig zerren – ihre Zerreißprobe hat die Koalition noch nicht überstanden

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


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