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"Kriegssituation" in Karatschi

Pakistan: 21 Todesopfer bei schwerem Sprengstoffanschlag

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi *

Während der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari zu seinem sechsten Besuch während seiner Amtszeit in die befreundete VR China abreiste, schlugen Donnerstag nacht in Karatschi militante Aufständische zu. Sie brachten mit einer enormen Sprengstoffladung das Gebäude der Behörde zur Verbrechensbekämpfung (CID) in der »roten Sicherheitszone« zum Einsturz. Damit haben sie in der 18-Millionen-Metropole erstmals ein Hauptquartier der Sicherheitskräfte zum Ziel ihrer Angriffe gemacht. Mindestens 21 Menschen wurden bei dem Anschlag getötet, über 100 verletzt.

Im CID soll die Antiterrorzentrale der Polizei untergracht sein. Angeblich waren dort kurz zuvor einige Mitglieder der militanten Gruppe Lashkar-e-Janghvi eingekerkert worden. Doch zu dem Verbrechen bekannte sich die Tehrik-i-Taliban Pakistan, die angeblich eng mit Al-Qaida liiert ist und mit den in Afghanistan operierenden Taliban zusammenarbeitet. Sie drohte in einer Mitteilung an einen TV-Sender, demnächst den Präsidentenpalast in Islamabad ins Visier zu nehmen.

Die »rote Zone« kennzeichnet Karatschis Hochsicherheitsareal. Dort befinden sich die Residenzen des Gouverneurs der Provinz Sindh sowie des Provinzchefministers, das US-Konsulat, etliche Fünfsternehotels und Regierungsgebäude. Bislang wurden in Pakistans größter Industrie-, Handels- und Hafenstadt vorwiegend religiöse Schreine, Prozessionen und Moscheen angegriffen.

Unbehelligt fuhr das aus etwa einem Dutzend Männern bestehende Kommando auf einem Lastwagen mit Pe­shawar-Kennzeichen vor das Haupttor der Polizeizentrale, eröffnete das Feuer auf die Wachposten und warf Handgranaten. Es gelang ihm, das Tor und eine Barriere zu öffnen und den Lkw auf das Gelände zu bringen. Kurz darauf flog das mit etwa einer Tonne Sprengstoff beladene Fahrzeug in die Luft. Die Explosion brachte das Polizeigebäude zum Einsturz und verursachte an mindestens zehn umliegenden Häusern schwere Schäden. Sie riß einen fünf Meter tiefen und zehn Meter breiten Krater in den Boden und wurde noch in 15 Kilometer Entfernung gehört.

»Wir befinden uns in einer Kriegssituation.« So lautete der lakonische Kommentar eines Beraters im Stab des Sindh-Chefministers. Tatsächlich kämpfen Einheiten der pakistanischen Streitkräfte im Nordwesten des Landes in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze seit rund zwei Jahren gegen die Taliban und mit ihnen kollaborierende Paschtunenmilizen. Damit erfüllt Islamabad seine Verpflichtungen als einer der Hauptpartner der USA im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus«. Wie Außenminister Shah Mahmud Qureshi beim strategischen Dialog mit den USA im Oktober in Washington betonte, sind dabei inzwischen 7000 Soldaten und Polizisten getötet worden, weit mehr als alle NATO-Verluste in Afghanistan. Und durch Selbstmordattentate habe es in Pakistan bislang rund 30000 zivile Todesopfer gegeben.

Pakistan ist im vorigen Monat von Washington mit dem Aufstocken der Militärhilfe um 2,29 Milliarden Dollar belohnt worden. Aber gerade dieses Bündnis mit den USA beunruhigt viele Pakistaner und ist einer der Gründe für die blutigen Attacken.

* Aus: junge Welt, 13. November 2010


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