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Damoklesschwert über neuer Allianz

Pakistans Wahlsieger PPP und PML (N) stehen vor der Bildung einer Koalitionsregierung

Von Hilmar König, Delhi *

Die Pakistanische Volkspartei (PPP) und die Pakistanische Muslimliga (N) sind sich im Prinzip einig, nach ihrem gutem Abschneiden bei den Wahlen am 18. Februar eine Koalitionsregierung zu bilden. Dritter im Bunde könnte die Muttahida-Qaumi-Bewegung der einstigen indischen Immigranten werden. Hinter den Kulissen versuchen derweil die USA und andere westliche Staaten, ihre Interessen geltend zu machen.

Die Allianz zwischen Asif Ali Zardari von der PPP und Nawaz Sharif von der PML (N) steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber ein Spitzenkandidat für den Posten des Regierungschefs ist bereits in aller Munde: Makhdoom Amin Fahim, der während der kritischen Jahre des Exils von Benazir Bhutto die Volkspartei führte. Der aus der Provinz Sindh stammende Politiker gilt als moderat und am besten geeignet, die zu erwartende Kontroverse mit dem angeschlagenen Präsidenten Pervez Musharraf auszubalancieren.

Nawaz Sharif will unter allen Umständen die im November 2007 von Musharraf geschassten Richter und Anwälte zurück ins Amt holen. Der unter Hausarrest stehende Chefrichter Iftikhar Chaudhry soll erneut eine Untersuchung eröffnen, ob Musharraf als Armeechef legitimiert war, für die Präsidentenwahl im Oktober vorigen Jahres zu kandidieren. Das zu erwartende Urteil würde höchstwahrscheinlich negativ für Musharraf ausfallen, der damit nicht nur von der politischen Bühne verschwinden, sondern sogar einen folgenden Gerichtsprozess zu überstehen hätte. Sharifs Eifer, den er mit konsequentem Ringen um demokratische Verhältnisse begründet, wurzelt auch darin, dass Musharraf ihn im Oktober 1999 wegputschte und anschließend ins Exil verbannte. Revanche gehört zur pakistanischen Lebensart.

Doch die PPP unter Zardari schließt sich dieser Vehemenz Sharifs nicht an. Zum einen befürchtet sie nicht zu Unrecht Konsequenzen des Militärs. Zum anderen machen Washington und der Westen enormen Druck, Musharraf - zumindest vorerst - nicht anzutasten. Deshalb will die PPP das heikle Thema im neuen Parlament debattieren und eventuell entscheiden lassen. Die Volkspartei muss darauf achten, dass sie nicht zum Vasallen der USA abgestempelt wird und damit beträchtlich an Popularität einbüßen würde, ehe sie überhaupt zu regieren beginnt. Es erregte ziemliche Aufmerksamkeit, dass Zardari nach dem Wahlsieg als eine seiner ersten »Amtshandlungen« der USA-Botschaft in Islamabad einen Besucht abstattete. Inzwischen fanden sich auch die Botschafter Großbritanniens, Frankreichs und anderer Staaten zu Gesprächen im PPP-Hauptquartier ein, lediglich »um eine bessere Vorstellung von der politischen Situation nach den Wahlen« zu bekommen, wie PPP-Sprecher Faratullah Babar Vorwürfe »ausländischer Einmischung« abwiegelte.

Sharif hingegen wählte exakt diesen Ausdruck und erklärte am Wochenende (23./24. Februar) auf einem Parteitreffen in der Nordwest-Grenzprovinz: »Wir werden uns keinem US-Druck beugen, wie wir es auch nicht taten, als wir sechs Nukleartests durchführten.« Das war im Jahre 1998. Washington möchte an Musharraf als Partner im »internationalen Kampf gegen den Terrorismus« festhalten. Condoleezza Rice lobte ihn gerade dafür, dass er alle »Ratschläge« der USA befolgt habe, die Uniform an den Nagel hängte, den Ausnahmezustand aufhob und freie und faire Wahlen garantierte.

Die angestrebte Koalitionsregierung ist ein Experiment. Nie zuvor haben PPP und PML (N) an einem Strang gezogen, sondern stattdessen gegeneinander intrigiert. Deshalb hängt trotz des Mandats der Wähler, eine solche Allianz zu schmieden, ein Damoklesschwert über dem Projekt.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Februar 2008


Pakistan wartet auf Regierung

Marinechef besorgt über Eskalation des Wettrüstens in Südasien

Von Hilmar König, Delhi **


Mit dem Unterwasserstart einer neuen Rakete, die Atomsprengköpfe tragen kann, hat Indien eine weitere Runde des Wettrüstens auf dem südasiatischen Subkontinent eingeleitet. Das ist die Meinung von Admiral Muhammad Afzal Tahir, dem Marinechef Pakistans. Für die Bevölkerung des Landes hingegen hat die mit Spannung erwartete Bildung der Koalitionsregierung in Islamabad Priorität.

Der geglückte Teststart der »Sagarika«-Rakete von einer Unterwasserplattform, die ein U-Boot simulierte, vergrößert Indiens nukleare Reichweite und ist laut Zeitung »The Hindu« »notwenig für eine stabile nukleare Abschreckung«. Dass Pakistans Militär darauf ungehalten reagierte, erstaunt nicht. Admiral Tahir erklärte, es handele sich um den Beginn eines neuen Wettrüstens in der Region. Diese Entwicklung sei eine »sehr, sehr ernste Angelegenheit«. Pakistan werde sich bemühen, dass daraus keine nachteiligen Auswirkungen für die Region entstehen. Das soll wohl heißen, dass Islamabad mit der Verwirklichung ähnlicher Projekte zu reagieren beabsichtigt. Es bleibt abzuwarten, ob die Wiederbelebung des fast eingeschlafenen indisch-pakistanischen Friedensdialogs dadurch beeinträchtigt wird.

Pakistans Bevölkerung wartet unterdessen darauf, dass nach dem Wahlsieg der Oppositionsparteien die Bildung der neuen Koalitionsregierung klarere Konturen annimmt. Während die Pakistanische Volkspartei (PPP) und die in der Nordwest-Grenzprovinz außerordentlich erfolgreiche Awami National Party (ANP) als Allianzpartner bereits feststehen, hält sich die Pakistanische Muslimliga von Nawaz Sharif weiterhin bedeckt. Vor ein paar Tagen signalisierte sie eine »Unterstützung von außen« (wie es die indischen Linken mit der Regierung der Vereinten Progressiven Front mit begrenztem Erfolg seit vier Jahren vormachen). Ein Parteisprecher begründete diese Haltung mit den Worten, die Minister werden von General a. D. Musharraf vereidigt, den die PML (N) als Staatsoberhaupt nicht als legal oder verfassungsmäßig anerkennt. Und die Partei wolle ihre »spezifische Identität« bewahren. Auf einem Treffen der Parlamentarier dieser drei Parteien am Mittwoch in Islamabad machte Nawaz Sharif jedoch keinerlei Bemerkungen dazu, ob die Partei in der Koalitionsregierung mitwirken wird. Er versicherte lediglich, dass alle demokratischen Parteien zusammenarbeiten werden. Und er wiederholte die Prioritäten der PML (N): Wiedereinsetzung der von Musharraf im November 2007 im Rahmen des Ausnahmezustands entlassenen Richter und Anwälte; Rückkehr zur Verfassung von 1973; Beschränkung der Armee auf ihre in der Verfassung fixierte Rolle.

** Aus: Neues Deutschland, 29. Februar 2008


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