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Pakistan in der Krise

Neuer Staatspräsident und die alten Probleme: Wirtschaft ist von Inflation, Wachstumsschwäche und negativer Handelsbilanz gezeichnet

Von Thomas Berger *

Pakistans hat einen neuen Präsidenten und nicht nur wegen dessen Vergangenheit ein weiteres Problem. Der als durch und durch korrupt geltende Asif Ali Zardari steht als Staatschef der Atommacht Pakistan nicht nur politisch vor immensen Herausforderungen. Auch die Wirtschaft des Landes ist ein Problemfall. Die neoliberale Grundrichtung, schon vor einem Jahrzehnt unter Nawaz Sharif als Premier unübersehbar, wurde auch nach dem Putsch von Pervez Mu­sharraf im Jahr 1999 beibehalten. Der vor wenigen Wochen als Staatschef zurückgetretene General a. D. leitete wirtschaftspolitisch keineswegs eine Kehrtwende ein.

Mitte Juli stürmten aufgebrachte Kleinanleger die Börse in Karatschi. Sie waren wütend wegen des extremen Absturzes der Landeswährung gegenüber US-Dollar und Euro sowie dem damit einhergehenden Kurssturz der meisten Aktien. Um rund 40 Prozent ist das Börsenbarometer binnen eines halben Jahres abgesackt. Bewegte es sich zu den Wahlen im Februar auf die 16000-Punkte-Marke zu, wären jetzt schon alle zufrieden, wenn der Index von derzeit etwa 9500 auf absehbare Zeit wieder auf über 10000 Punkte klettern würde. Zusätzlich zum Wertverfall der einzelnen Papiere hat das Handelsvolumen deutlich abgenommen. Ausländische Investoren halten sich zurück, und das verschärft zugleich die pakistanische Finanzkrise.

Defizit steigt

Allein das Außenhandelsdefizit beläuft sich inzwischen auf geschätzte zehn Milliarden US-Dollar. Während sich die Landeswährung Rupie minimal von einem Allzeittief gegenüber der weltweiten Leitwährung zu Monatsbeginn zu erholen scheint, schwinden die Dollarreserven Pakistans von Tag zu Tag. Bei 16,7 Milliarden lagen sie im Oktober vorigen Jahres. Inzwischen sind davon nur noch gut neun Milliarden übrig – knapp zwei Drittel bei der Staatsbank, der Rest bei privaten Geldinstituten. Unter anderem die hohen Weltmarktpreise für Öl sind für diesen Rückgang verantwortlich, denn auch Pakistan muß den Rohstoff importieren. So kam die Regierung nicht umhin, die bisherigen Subventionen für Kraftstoffe stark zu kürzen – auch die Einwohner des südasiatischen Landes haben seither mit einer Preisexplosion an den Zapfsäulen zu kämpfen.

Sowohl die Energiekosten als auch der ebenfalls rapide Anstieg bei Grundnahrungsmitteln wie Reis und Weizen haben die Inflation zuletzt auf gut zwöf Prozent getrieben. Ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar, und fast schon hilflos mutet der Versuch der Zentralbank an, mit Leitzinserhöhungen gegenzusteuern. Zuletzt wurde er gleich um 100 Basispunkte auf nun 13 Prozent angehoben. Real müssen viele Menschen allerdings noch deutlich mehr für geliehenes Geld zahlen. Viele Pakistanis leiden unter Wucherzinsen von 50 und mehr Prozent für private Darlehen.

Die Krise trifft alle. Während die Ärmsten vor einer Hungerkatastrophe stehen, sollten Nahrungsmittel dauerhaft so teuer bleiben, droht vor allem der unteren Mittelschicht der Absturz in die Armut. Ging es vielen unter Musharraf zu Anfang nicht schlecht, so haben sich etliche inzwischen von den auf Pump angeschafften Luxusgütern aus der Zeit von 2001 bis 2004 wieder getrennt – notgedrungen. Selbst kleine Geschäftsleute und Handwerker sehen sich plötzlich in Bedrängnis, weil ihre Kunden mehr Geld für unverzichtbare Grundausgaben aufwenden müssen und somit weniger für Anschaffungen oder Reparaturen übrig haben.

Fünf Jahrzehnte nach der Staatsgründung lebt Pakistan nach wie vor zu einem großen Teil vom Agrarsektor, der gut ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes beisteuert. Von den 6,62 Millionen Landwirten sind 85 Prozent Kleinbauern, die oft nur mit Mühe und Not das Überleben ihrer eigenen Familie sichern können. Mit verschiedenen Programmen versuchen deshalb die Regionalregierungen in den Provinzen, ihnen Erleichterung zu verschaffen. Im Punjab, der Kornkammer des Landes, wurde am 1. September offiziell eine Aktion gestartet, die die verbilligte Abgabe von 10000 Traktoren vorsieht. Sie sollen über Losverfahren an Bauern gehen, die zwischen zwei und zehn Hektar bewirtschaften.

Kleine Linderungen

Im benachbarten Sindh wiederum hat die dortige Regierung die Vergabe von knapp 10000 Hektar Ackerfläche an 3400 bisher landlose Bauern verkündet. Auch Frauen sollen Besitztitel erhalten. Die Familien, die zu eigenständigen Farmern werden, sollen zudem in den Genuß eines Mikrokreditprogrammes kommen. Auch eine Krankenversicherung für 600000 arme Haushalte im ländlichen Raum wurde aufgelegt. Innerhalb des Krisenszenarios sind dies jedoch nur kleine Linderungen der Härten. Kein Wunder, daß die Landflucht nach wie vor groß ist.

Expräsident Musharraf hatte sich gerühmt, sein Land ökonomisch wieder auf Erfolgskurs gebracht zu haben. Doch der Schein trog, wie sich jetzt zeigt. Selbst vom Wirtschaftswachstum in Höhe von gut sieben Prozentpunkten 2007 profitierten letztlich wenige. Dieses Jahr könnte es nach jüngsten Prognosen ausländischer Experten auf nur noch 4,4 Prozent absinken, während die Regierung wenigstens auf etwa sechs Prozentpunkte hofft. Als »Top-Reformer in der Region und weltweit unter den ersten zehn« wurde Pakistan unter Musharraf 2004 von der Weltbank gefeiert. Der Applaus der internationalen Finanzorganisationen galt dabei dem Privatisierungskurs. Große Öl- und Gaskonzerne sowie der wichtigste Stahlproduzent wurden von der Regierung verkauft, gegen die Privatisierung der Telekomfirma PTCL gab es wochenlange Proteste der Beschäftigten.

Letztlich hatte der Putschist von 1999 selbst im Kampf gegen die Korruption wenig bewirken können. Pakistan blieb auf der jährlich von Transparency International veröffentlichten Länderliste im hintersten Feld. Daß sich dies ausgerechnet unter Zardari ändert, der als Minister zu Regierungszeiten seiner Frau, der Ende 2007 ermordeten Benazir Bhutto, den Spitznamen »Mister Zehn Prozent« erhielt, darf bezweifelt werden.

* Aus: junge Welt, 11. September 2008


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