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Morscher Pfeiler

In Pakistan gehen immer öfter die Lichter aus. Katastrophale Stromversorgung, massive Korruption, mageres Wachstum stürzen die Atommacht ins Chaos

Von Raoul Rigault *

Asien boomt, doch Pakistan hinkt hinterher. Ausgerechnet mit dem wichtigsten Bündnispartner des Westens im Kampf gegen die Aufständischen in Afghanistan und die Rückzugsgebiete von Al Qaida geht es ökonomisch und sozial immer weiter bergab. Der islamistischen Guerilla im eigenen Land neuen Zulauf verschafft. Ein Wirtschaftswachstum von 3,25 Prozent prognostiziert der Internationale Währungsfonds für das Fiskaljahr 2012/2013. Damit liegt Pakistan in der Region noch hinter Nepal an letzter Stelle. China kommt auf rund neun, Indien auf 5,4, Bangladesh auf 5,8, Sri Lanka auf 6,1 und Afghanistan auf 11 Prozent. Zuwenig für ein Land mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 1,6 Prozent und einer rasch steigenden Arbeitslosenquote, die von sechs Prozent 2011 bis Ende 2013 auf 9,3 Prozent emporschnellen soll. Dabei herrscht bereits jetzt massive Unterbeschäftigung. Nur ein Drittel der 180 Millionen Einwohner ist überhaupt erwerbstätig.

Damit nicht genug. Das Land mit der sechstgrößten Bevölkerung der Welt leidet seit Jahren unter einer galoppierenden Inflation von elf bis 14 Prozent, einem rasanten Wertverfall der eigenen Währung und schwindenden Devisenreserven. Für einen US-Dollar, der 2008 noch 62 pakistanische Rupien kostete, müssen heute 97 auf den Tisch gelegt werden. Die ohnehin bescheidenen Reserven der Staatsbank schrumpften binnen zwölf Monaten von 15,5 auf zehn Milliarden Dollar und werden Ende Juni nur noch 7,9 Milliarden betragen. Gleichzeitig wenden sich die Anleger ab. Die gesamten Investitionen betrugen zuletzt gerade mal 12,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Vor fünf Jahren war es doppelt soviel. Dem Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Macro Economic Insights in Islamabad, Sakib Sherani, zufolge »befinden sich die einheimischen privaten Investitionen auf einem Rekordtiefstand«. Am Leben gehalten wird der Laden zu einem beträchtlichen Teil durch jene Milliarde Dollar, die die in den Golfstaaten, Nordamerika und Großbritannien lebenden Gastarbeiter jeden Monat nach Hause schicken.

Auch der von Christine Lagarde geleitete Währungsfonds sieht die Ursache für diesen Zustand nicht in einer vorübergehenden konjunkturellen Schwäche. Sie lägen in »tiefsitzenden strukturellen Problemen und einer schwachen makroökonomischen Politik«. Ein entscheidendes Hindernis für das Wirtschaftswachstum ist der Energiesektor. »Wir haben zehn bis zwölf Stunden am Tag keinen Strom«, klagt der Vorstandsvorsitzende des Industriekonzerns Saigol in Lahore, Azam Saigol. Der Bau neuer Kraftwerke wird durch Mißwirtschaft und Korruption blockiert. 700 Millionen Dollar wurden etwa für zwei Wasserkraftwerke ausgegeben, die 950 Megawatt produzieren und bereits vor zwei Jahren ans Netz gehen sollten. Bis heute wurde keine einzige Kilowattstunde erzeugt. Die chinesischen Baufirmen sind längst entnervt in die Volksrepublik zurückgekehrt.

Die grassierende Korruption hat einen simplen Grund: Die Staatskassen sind leer und werden auf absehbare Zeit auch nicht voller. Pakistan ist eine Steueroase der besonderen Art. Nur 0,9 Prozent der der Einwohner zahlen Einkommenssteuer. Im benachbarten Indien sind es immerhin 4,7 und im ordentlichen Kanada sogar 80 Prozent. Da gut ein Viertel der spärlichen Einnahmen in die Aufrüstung des Militärs fließt, blieben für das Gesundheitswesen im vergangenen Fiskaljahr mickrige 0,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes übrig. Nicht viel besser steht es um den Bildungssektor: 45 Prozent der Bewohner sind Analphabeten, was Karachi auf lange Zeit zu einem Dasein als Produzent simpler Billigwaren verdammt.

An Ideen, wie der Staat wieder flüssig gemacht werden kann, mangelt es den Angestellten des zentralen Federal Board of Revenue nicht. 1700 Anhaltspunkte für das Vorhandensein steuerpflichtiger Einkommen haben die findigen Beamten entwickelt. Neben dem Besitz von Eigenheimen und Autos gehören auch Auslandsreisen und der Besitz eines Waffenscheins dazu. Doch die aufgrund dieser Indi­zien losgeschickten, schlecht entlohnten Steuerprüfer vor Ort lassen sich allzu oft durch Bestechung ruhig stellen. Überdies sind Gewinne aus landwirtschaftlichen Unternehmen, dank des politischen Einflusses der Großgrundbesitzer, ohnehin steuerfrei.

Mit Blick auf die im Mai anstehenden Parlamentswahlen plant die regierende Volkspartei PPP von Präsident Asif Zardari außerdem eine Amnestie für Steuerhinterzieher. Die sollen sich mit der Zahlung von umgerechnet 400 Euro von allen Verpflichtungen freikaufen können. Nach Einschätzung des an der London School of Economics lehrenden Professors Ehtisham Ahmad spült das bestenfalls einmalig 0,5 Prozent des BIP in die Kassen. Wie viele Angehörige der Mittel- und Oberschicht davon Gebrauch machen, ist ohnehin fraglich. Denn in der Regel lohnt sich das Warten auf die nächste Amnestie. Die ist nämlich in der Regel noch günstiger.

Kein Wunder, daß die öffentlichen Haushalte immer mehr unter Druck geraten. Das Defizit wird den Vorhersagen zufolge bis Ende des Jahres auf 7,2 Prozent steigen. Zwar beträgt die Gesamtverschuldung erst knapp 60 Prozent des BIP und entspräche damit den berühmt-berüchtigten Maastricht-Kriterien. Doch selbst diese Summe wird bei der katastrophalen Einnahmesituation zum Problem. Eigentlich unnötig, denn Pakistan ist ein reiches Land. Es verfügt über Kupfer-, Eisenerz-, Kohle-, begrenzte Erdöl- sowie umfangreiche Erdgasvorkommen, ist nicht nur Lebensmittelselbstversorger, sondern exportiert auch große Mengen an Lebensmitteln.

Eine dauerhafte Stabilisierung des wichtigsten Stützpfeilers der USA in der Region ist nicht absehbar. »Die Regierung hofft, daß der IWF ihr mit einem neuen Kredit aus der Klemme helfen wird«, schätzt Wirtschaftsforscher Sherani. Allerdings werde der IWF bis zum Amtsantritt einer neuen Regierung warten, um dieser dann ihre Bedingungen diktieren zu können. Daß es dem Währungsfonds auf diesem Wege gelingt, dem westlichen Imperialismus zu einem soliden Verbündeten in der umkämpften Region zu verhelfen, darf jedoch getrost bezweifelt werden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. März 2013


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