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Misstrauen statt Kooperation – Pakistan, ein unzuverlässiger Bündnispartner im Kampf gegen den Terrorismus?

Ein Beitrag von Andreas Flocken in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):

Zunächst .. zum Tod von Osama bin Laden. Die Erleichterung, ja die Freude in den USA, über die riskante Kommando-Aktion mit dem Decknamen Geronimo ist groß. Doch nach dem Tod des Al Qaida-Chefs stellen sich auch immer mehr Fragen. Viele betreffen die Rolle Pakistans bei der Terrorbekämpfung. Denn aufgespürt wurde Bin Laden unweit von Islamabad, in der Garnisonsstadt Abbottabad. Das Anwesen, in dem Bin Laden seit Jahren unbehelligt lebte, liegt in unmittelbarer Nähe einer Militärakademie. Und der pakistanische Sicherheitsapparat will davon keine Kenntnis gehabt haben. Aussagen, die nicht nur für den Anti-Terror-Berater der US-Regierung, John Brennan, unglaubwürdig sind.

O-Ton Brennan (overvoice)
„Es ist undenkbar, dass es für Bin Laden kein Unterstützungssystem gegeben hat - in einem Land, das es ihm ermöglichte, sich dort für einen längeren Zeitraum aufzuhalten. Ich möchte nicht darüber spekulieren, inwieweit dieses System eine ‚offizielle Basis‘ in Pakistan hatte, also im Staatsapparat.“

Ins Zwielicht geraten sind insbesondere die militärische Führung und der pakistanische Geheimdienst ISI. Immer wieder ist zu hören, es gebe dort einflussreiche Personen, die Bin Laden und andere terroristische Gruppen unterstützen. Der Kenner der Region, Peter Scholl-Latour, im ARD-Fernsehen:

O-Ton Scholl-Latour
„Dieser pakistanische Geheimdienst ist keine ganz einheitliche Gruppe. Er hat einen Flügel, der proislamistisch ist, und sich auf Seiten der Taliban sehr stark engagiert. Da gibt es keinen Zweifel. Ich habe den früheren Befehlshaber dieses ISI getroffen, General Hamed Gul. Der macht kein Geheimnis daraus, wo seine Sympathien stehen. Und ich nehme an, das hat auch ein bisschen auf einige seiner Nachfolger abgefärbt.“

Das wissen auch die Amerikaner. Immer wieder haben sie sich darüber beklagt, dass die pakistanischen Behörden bei der Terrorbekämpfung viel zu zögerlich seien. Gegenseitiges Misstrauen prägt die Zusammenarbeit. Es heißt, dass die Fahnder bei ihrer Suche nach Bin Laden erst vorangekommen sind, nachdem die USA CIA-Agenten und Spezialkräfte ohne Kenntnis der pakistanischen Sicherheitsdienste im Land eingesetzt haben. In die Operation Geronimo war Pakistan daher auch nicht eingeweiht gewesen. Man befürchtete, dass der Al Qaida-Führer andernfalls möglicherweise Kenntnis von der Kommando-Aktion bekommen hätte. Die Spezialkräfte flogen mit Hubschraubern direkt vom benachbarten Afghanistan ein - ohne Anmeldung. Das war mehr als ein Affront. Manche sprechen sogar von einer Demütigung für das pakistanische Militär. Eine Operation, die nicht ungefährlich war. Der US-Anti-Terror-Berater, John Brennan:

O-Ton Brennan (overvoice)
„Wir haben die Pakistaner erst kontaktiert, nachdem unsere Leute und Maschinen nicht mehr im pakistanischen Luftraum waren. Zu dem Zeitpunkt begannen die Pakistaner auf die Aktion in Abbottabad zu reagieren. Wir waren besorgt, sie könnten Kampfflugzeuge oder andere Kräfte alarmieren. Denn sie hatten keine Ahnung, wer dort unterwegs war. Also, wir sahen zu und versuchten alles, damit unsere Kräfte in der Lage waren, schleunigst den pakistanischen Luftraum zu verlassen. Und glückerlicherweise kam es zu keiner Auseinandersetzung mit den pakistanischen Streitkräften.“

Für viele Amerikaner ist inzwischen längst klar, dass Pakistan ein unzuverlässiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus ist – trotz Finanzhilfen von mehr als 20 Milliarden Dollar seit den Anschlägen vom 11. September. Die Stimmen werden immer lauter, die Unterstützung jetzt zu stoppen. Der Republikaner Peter King, Mitglied im Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses im Fernsehsender Fox News:

O-Ton King (overvoice)
„Ich habe mit hochrangigen Regierungsvertretern gesprochen. Und die waren sehr besorgt und der Meinung, Pakistan müsse begreifen, dass Kongressmitglieder sich ernsthaft fragten, warum wir Pakistan jedes Jahr mit drei Milliarden Dollar unterstützen, obwohl das Land nicht in der Lage ist, den berüchtigtsten Terroristen der Welt zu fassen, der dort unmittelbar unter den Menschen lebt.“

Doch die US-Regierung scheut den Bruch mit dem unzuverlässigen Bündnispartner. Man sieht keine Alternative - ist auf die Zusammenarbeit mit der Atommacht Pakistan angewiesen. Der Obama-Berater John Brennan:

O-Ton Brennan (overvoice)
„Es gibt zwar Meinungsverschiedenheiten mit der pakistanischen Regierung über die Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus - wie man Vorgehen sollte und wie nicht... Aber trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen glauben wir, dass die Partnerschaft ganz entscheidend ist, um Al Qaida auszuschalten und die ihr nahestehenden Terrorgruppen zu besiegen.“

Die USA wollen sich aber in erster Linie auf die eigenen Fähigkeiten verlassen, wenn es um die nationale Sicherheit geht. Völkerrechtliche Regeln spielen für Washington dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Sprecher des Weißen Hauses betonte diese Woche: Sollte Islamabad „unfähig oder nicht willens“ sein, gegen Terrornetzwerke vorzugehen, würden die USA jederzeit wieder so handeln. Die Operation Geronimo – sie ist daher zugleich eine Warnung an Pakistan, aber auch an andere Staaten.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 7. Mai 2011; www.ndrinfo.de


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