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Kampf um die "Rote Moschee"

Pakistan: Auseinandersetzungen mit radikalen Koranschülern - Konfrontation kam nicht überraschend

Von Hilmar König, Delhi *

Die Zeitung »Dawn« nannte die jüngsten Auseinandersetzungen in der pakistanischen Hauptstadt »die vermutlich schwersten und die blutigsten« Straßenschlachten in der Geschichte Islamabads. Seit Dienstag waren im Kampf um die »Rote Moschee« 21 Menschen ums Leben gekommen.

»Wir sind mit unserer Geduld am Ende.« So rechtfertigte am Mittwoch der stellvertretende pakistanische Innenminister Zafar Iqbal Warraich den Einsatz von Militär und Polizei gegen die Revolte islamischer Studenten in Islamabad. »Jene, die Pakistan und den Islam beleidigen«, warnte er, würden dafür zur Rechenschaft gezogen.

Seit Dienstag waren bei blutigen Auseinandersetzungen um die Lal Masjid (Rote Moschee) und die beiden angeschlossenen Koranschulen, in denen männliche und weibliche Studierende zwischen 10 und 30 Jahren unterrichtet werden, 24 Menschen getötet worden. Rund 200 erlitten Verletzungen.

Am Mittwoch stellte die Regierung den etwa 2000 Koranschülern ein Ultimatum: Übergabe aller Waffen und Aufgabe des Widerstands oder Stürmung der Gebäude. »Wer sich ergibt, wird nicht behelligt. Unsere Sicherheitskräfte werden das Feuer nicht zuerst eröffnen«, erklärte Regierungssprecher Anwar Mahmud. Präsident Pervez Musharraf bot jedem Schüler, der die Waffen niederlegt, umgerechnet 60 Euro für die Reise in die Heimat an. Rund um den Moschee- und Schulkomplex herrschte Ausgangssperre, alle Straßenzugänge waren abgeriegelt, die Stromversorgung unterbrochen und gepanzerte Fahrzeuge in Stellung gebracht worden.

Die Konfrontation kam nicht überraschend. Seit Januar testeten die islamischen Studenten, wie weit sie den Staat herausfordern können. Sie verlangen, die islamische Gesetzgebung Scharia zur alleinigen Richtschnur der Justiz zu erklären, und drohen mit Heiligem Krieg, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Sie verstehen sich als »Retter« der Religion und treten als rigorose Glaubenshüter auf. Anfang dieses Jahres begannen die in schwarze Burkas gekleideten Studentinnen den Widerstand mit der Besetzung einer Bücherei für Kinder. Im März setzten sie drei Frauen fest, denen sie unmoralischen Lebenswandel vor-warfen. Im Mai nahmen Studenten vier Polizisten als Geiseln. Im Juni stürmten sie einen »Massagesalon« und brachten sieben Chinesinnen in ihre Gewalt, die dort angeblich als Prostituierte arbeiteten. Abdul Aziz Ghazi, der gemeinsam mit seinem Bruder Abdul Rashid die Moschee leitet, drohte schon im April mit Selbstmordanschlägen.

Die Behörden hielten sich lange zurück, weil Präsident Musharraf offenbar befürchtete, hartes Vorgehen gegen die Koranschüler könnte landesweiten Aufruhr auslösen. Doch als am Dienstag etwa 100 Studenten ein Regierungsgebäude in Brand setzten und einen Polizeiposten attackierten, setzten die Ordnungshüter nach eigenen Angaben zunächst Tränengas ein. Welche Seite zuerst schoss, bleibt ungeklärt. Immerhin waren die Leute auf dem Moscheegelände nicht nur mit Stöcken und Steinen bewaffnet. Sie heizten die Konfrontation über Lautsprecher an und riefen die Bevölkerung von den Minaretten zum Eingreifen und zur Solidarität mit den »Mudschaheddin« auf.

Wenn auch nicht in Islamabad, so doch in anderen Landesteilen fiel dieser Appell auf fruchtbaren Boden. In verschiedenen Städten protestierten tausende Mitglieder islamischer Organisationen gegen den »Überfall auf die Lal Masjid«. Während Abdul Rashid Ghazi seine Schüler nach eigenen Angaben ermutigt, nach Afghanistan zu gehen und dort gegen die westlichen Truppen zu kämpfen, befürchtete Qazi Hussain Ahmed, Chef der aus islamischen Parteien bestehenden, oppositionellen Allianz »Muttahida Majlis-e-Amal«, die Schüsse in Islamabad könnten der Nation »Desaster und Anarchie« bringen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2007


Unter Druck von allen Seiten

General Pervez Musharraf und die politische Krise Pakistans **

Pakistans Präsident General Pervez Musharraf ist nicht zu beneiden. Er sieht sich nicht nur mit dem Problem der militanten Koranschüler in Islamabad konfrontiert, sondern mit wachsendem Druck von allen Seiten – von den Islamisten, den Juristen, der politischen Opposition, den USA und Afghanistan. Die tiefe politische Krise äußert sich auf vielfache Weise.

Seit Musharraf am 9. März den Chefrichter Iftikhar Chaudhry wegen angeblichen Amtsmissbrauchs »suspendierte«, haben der Jurist und die starke pakistanische Anwaltschaft eine beeindruckende Oppositionsbewegung auf die Beine gestellt. Immer lauter wurde deren Ruf, der General solle als Staatsoberhaupt abtreten. Überhaupt müsse die Militärherrschaft ein Ende haben. Erstmals seit Musharrafs Putsch im Oktober 1999 erlebte Pakistan Mitte Mai einen politisch motivierten Generalstreik. Und die Demonstrationen für Chaudhry in allen großen Städten Pakistans waren die ersten, hinter denen nicht religiös-fundamentalistische Kräfte standen. Kenner sahen darin eine neue Qualität des Widerstands, dem sich inzwischen etliche Parteien angeschlossen haben. Faruk Tarik, Generalsekretär der Labour Party Pakistans (LPP), glaubt Musharraf so schwach wie nie zuvor. Seine politischen Tage seien gezählt. Doch die militärischen Machtstrukturen sind stabil wie eh und je.

Aber Wirkung hat die Protestbewegung gezeigt. Musharraf reagierte nervös. Anfang Juni verpasste er den Medien einen Maulkorb. Die Anordnung berechtigte den Staat, Journalisten festzunehmen, Redaktionsbüros zu versiegeln, Ausrüstungen zu beschlagnahmen und privaten Fernsehkanälen Arbeitslizenzen zu entziehen. Offenbar hatte der Präsident jedoch den Widerstand der Journalisten unterschätzt, die nicht nur auf die Straße gingen, sondern ihren Protest sogar lauthals von der Pressegalerie des Parlaments verkündeten. Das hatte es in Pakistan noch nicht gegeben. Eine Woche später zog der General, der seine Uniform als »zweite Haut« bezeichnet und die Doppelfunktion als Staatsoberhaupt und Armeechef genießt, die Anordnung zurück.

In verzwickter Lage befindet sich das Staatsoberhaupt gegenüber islamischen Extremisten vom Schlage der Taliban und der Al Qaida. Deren Einfluss ist nicht auf die Gebiete der paschtunischen Stämme an der afghanisch-pakistanischen Grenze beschränkt, sondern reicht tief in die Gesellschaft. Auch in der Revolte der Koranschüler spiegelt er sich wider. Die USA und Afghanistan werfen der pakistanischen Regierung vor, nicht genug gegen die Extremisten zu tun, ihnen sogar Unterschlupf in den Grenzgebieten zu gewähren. Immerhin betrachtet Washington Musharrafs Regime als Schlüsselverbündeten im »Feldzug gegen den internationalen Terrorismus«. Der General aber verweist auf hunderte des Terrorismus Verdächtigte, die er an die USA ausgeliefert hat, und auf 700 pakistanische Soldaten, die in Gefechten mit Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern gefallen sind.

Sorgen bereiten Musharraf zudem die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die sich immer wieder in tödlicher Gewalt entladen. Ein Mittel dagegen fällt ihm nicht ein. Er weiß auch nicht so recht, wie er mit den ehemaligen Premiers Benazir Bhutto und Nawaz Sharif umgehen soll, die er nach seinem Putsch ins Exil verbannt hatte. Kommt er mit ihnen noch vor den Präesidenten- und den Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres ins Geschäft? Und muss er tatsächlich die Uniform ausziehen, um noch einmal zum Präsidenten gewählt zu werden? Unterdessen schwelt die Krise weiter und der dringliche Kampf gegen die verbreitete Armut gerät ins Hintertreffen.

H.K.

Lexikon

Koranschulen. In Pakistan gibt es nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 10 000 und 30 000 Koranschulen (Medresen), in denen mindestens 1,5 Millionen junge Leute ausgebildet werden. Diese kostenlosen Schulen sollten ursprünglich dazu beitragen, auch Kindern aus mittellosen Familien eine islamische Bildung zu ermöglichen. Längst nicht alle Medresen predigen den Heiligen Krieg, doch heißt es, religiöse Rechtfertigungen für Terror seien überall zu hören. Manche Einrichtungen sollen enge Kontakte zu verbotenen extremistischen Gruppen unterhalten. Den beiden Schulen an der Roten Moschee in Islamabad werden Kontakte zu den Taliban und zu Al Qaida, aber auch langjährige Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst nachgesagt.



** Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2007


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