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Tanz auf dem Pulverfaß

Nach dem Sturm auf die Rote Moschee: Machtkampf zwischen Gotteskriegern und Washingtons Lobby in Pakistan dauert an. Geheimdienstexperten warnen vor weiterer Eskalation

Von Rainer Rupp *

Der pakistanische Präsident, General Pervez Musharraf, tanzt auf einem Pulverfaß, an das er selbst die Lunte gelegt hat. Bereits Tage vor der blutigen Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad mit offiziell mehr als 100 Toten war es insbesondere in den halbautonomen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan und in der Nordwestlichen Grenzprovinz zu schweren Unruhen gekommen. Mittlerweile schickte die Regierung eine ganze Armeedivision, bis zu 20000 Soldaten, in das dortige Swat-Tal, um gegen Verbündete der Roten-Moschee-Fundamentalisten und Mitglieder anderer Pro-Taliban-Organisationen bereit zu stehen. Zugleich gibt es Meldungen über die Vorbereitung einer massiven Militäroperation in den Stammesgebieten in Nord-Waziristan. Im nordwestlichen Bajaur protestierten Presseberichten zufolge Anfang der Woche über 20000 Stammesangehörige, viele davon maskiert und bewaffnet. Zuvor waren dort vier Mitglieder der pakistanischen Sicherheitskräfte entführt worden. Mit den Geiseln sollte freies Geleit für die in der Roten Moschee Eingeschlossenen erpreßt werden.

Der frühere Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, General Hamid Gul, sprach in der Asia Times von einem Machtkampf zwischen »zwei Interessengruppen«. Auf der einen Seite stünden die Dschihadis, die Gotteskrieger, und auf der anderen die Lobby Washingtons. Laut Gul, der vor Jahren dem US-Geheimdienst CIA beim Aufbau der afghanischen Taliban geholfen hatte, fing der Ärger für Musharraf damit an, daß er nach dem 11. September 2001 »ein Spiel der Täuschung« begann und unter dem Druck Washingtons die verbündeten Islamisten fallen ließ. Durch die gewaltsame Beendigung der Konfrontation in der Roten Moschee in dieser Woche werde es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Verschlechterung der Lage in Pakistan kommen. Durch das Blutbad würden die anderen religiösen Zentren im Land mobilisiert, so Gul. In Pakistan gebe es gut 250000 Moscheen und man müsse sich vorstellen, »was passiert, wenn all diese Zentren radikalisiert werden«. Wie zum Beweis hat der »Vater der Taliban«, Maulana Sami ul-Haq, Politiker und zugleich Direktor einer berühmten Koranschule in der Nordwestprovinz, nun Selbstmordattentate im ganzen Land angekündigt.

Der neue geistliche Führer der Roten Mosche wähnt Pakistan bereits einer islamischen Revolution nahe. Maulana Abdul Aziz sagte am Donnerstag beim Totengebet für seinen Bruder und bisherigen Chef des Gotteshauses, Abdul Rashid Ghazi: »Pakistan wird bald eine islamische Revolution haben. Das Blut der Märtyrer wird Früchte tragen.«

Der stellvertretende Al-Qaida-Chef Ajman Al Sawahri rief Agenturberichten zufolge die Pakistaner zum Heiligen Krieg auf. »Wenn ihr euch nicht wehrt, wird Musharraf euch vernichten«, warnte er in einer im Internet verbreiteten Botschaft. Den Tod Ghazis nannte Sawahri ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, »das nur mit Reue oder Blut abgewaschen werden kann«.

Die USA und ihre westlichen Verbündeten sorgen sich denn auch, wie lange sich Musharraf noch halten kann und wer bzw. was nach ihm kommt. Pakistan habe sich zum »Hauptzentrum des globalen Terrorismus« gewandelt, warnte erst kürzlich Barnett Rubin von der New York University bei einer Anhörung des US-Senats. Durch die Schlacht um die Rote Moschee wurde dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf dramatische Weise unterstrichen. Zugleich wird durch diese Entwicklung jedoch die US-Kampagne gegen Iran, der als Hauptquelle für Instabilität und Gewalt im Mittleren Osten diffamiert wird, nachhaltig konterkariert.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2007

Reaktion: General Musharraf erklärt sich

Pakistans Staatschef Pervez Musharraf setzt auf eine »neue Strategie« im »Kampf gegen den Terror«. In einer Fernsehansprache am Donnerstag abend (nach jW-Redaktionsschluß) wollte er nach offiziellen Angaben darlegen, warum die Armee am Dienstag mit dem Sturm auf die Rote Moschee und eine benachbarte muslimische Mädchenschule begonnen hatte.

Offiziellen Angaben zufolge kamen während der Belagerung und Erstürmung der Roten Moschee insgesamt 106 Menschen ums Leben, darunter elf Soldaten. Bis zum Beginn des Sturms wurden demnach 24 Menschen getötet, davon zwei Soldaten, während der Kämpfe am Dienstag und Mittwoch 82 Menschen. Ein Augenzeuge widersprach den offiziellen Opferzahlen. Der pakistanischen Tageszeitung Dawn sagte der Mann, er habe gesehen, daß das Gelände am Mittwoch mit Leichen, die in weiße Tücher eingehüllt waren, übersät gewesen sei. Er habe die Leichen nicht zählen können, es seien jedoch Hunderte gewesen.

Die in der Roten Moschee gefundenen Raketenwerfer, Maschinengewehre, Sprengstoffgürtel und Wehranlagen ließen Vizeinformationsminister Tarik Azeem von einer »Festung« sprechen. Der Vorsitzende der Anwaltskammer von Pakistans Oberstem Gerichtshof, Munir Malik, sprach vom bislang »größten Versagen« des Geheimdienstes. Fest stehe, so AFP weiter, daß der festgenommene Imam Abdul Aziz und sein bei der Erstürmung der Moschee erschossener Bruder Abdul Rashid Ghazi Kontakte zum Geheimdienst ISI pflegten. »Beide Seiten kamen sich näher, als der Vater der beiden Islamisten-Anführer die Moschee leitete. Als Unterstützer des antisowjetischen Dschihads im besetzten Afghanistan (1979–1989) waren die drei dem Geheimdienst willkommen. Später unterstützten sie den Aufstieg der Taliban im Nachbarland. Teile des ISI protegierten Aziz und Ghazi auch noch, als sie aus ihrer Feindschaft gegen Musharraf und dessen prowestlichen Kurs keinen Hehl mehr machten.«



Ende der Machtbalance

Pakistan droht anhaltende Instabilität und Bürgerkrieg in den Grenzprovinzen

Von Rainer Rupp **


Die Schlacht um die Rote Moschee hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die langjährige Verbindung der pakistanischen Militärregierung und ihres Geheimdienstes ISI mit den islamischen Fundamentalisten gelenkt. Letztere bieten den Al-Qaida-Gruppierungen und den Taliban sichere Zuflucht. Die pakistanischen Sicherheitskräfte schauen gemäß der Vereinbarungen, die Präsident Pervez Musharraf Ende 2006 mit den Stammesältesten der halbautonomen Regionen an der Grenze zu Afghanistan getroffen hatte, weg. Die Gegenleistung: Al Qaida und Taliban operieren nicht auf pakistanischem Boden, sondern nur jenseits der Grenze. Da sie in Afghanistan immer aktiver werden und immer mehr NATO-Soldaten töten, hatte Wa­shington Musharraf vor die Alternative gestellt, entweder resolut gegen die »islamistischen Terroristen« vorzugehen, oder den USA freie Hand zu geben, den »Job« auf pakistanischem Boden selbst zu erledigen.

Beide Optionen wären für Musharraf jedoch einer Selbstentmachtung gleichgekommen. Denn der General, der sich 1999 an die Staatsspitze geputscht hatte, stützte sich seinerzeit neben dem Militär auf die fundamental-islamistischen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft. Mit fatalen Folgen: Die Islamisten gewannen an Einfluß und stellten in den Krisenprovinzen sogar die regionalen Regierungen. Aus purer Selbsterhaltung konnte Musharraf daher dem US-Befehl, gegen die Taliban und einheimischen Islamisten vorzugehen, nicht nachkommen. Er hätte sich eines Teils seiner noch verbliebenen Machtbasis berauben müssen und zugleich ganze Provinzen in bürgerkriegsähnliche Zustände gestürzt. Andererseits konnte er dem US-Militär auch nicht erlauben, unabhängig in Pakistan zu operieren. Mit der Aufgabe der nationalen Souveränität hätte er sich die Armee sowie große Teile der Bevölkerung zum Feind gemacht. Ohnehin wird Musharraf vielfach vorgeworfen, ein amerikanischer Lakai zu sein, weil er seit dem 11. September 2001 Hunderte von ausländischen Al-Qaida-Verdächtigen an die CIA ausgeliefert hat. Die Taliban aber, die von den paschtunischen Stämmen auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Berg­region kommen, blieben bisher weitgehend unbehelligt.

Um den Druck auf Pakistan zu erhöhen, hatte der US-Senat Anfang des Jahres weitere US-Militärhilfe davon abhängig gemacht, daß Islamabad bei der Bekämpfung von Al Qaida und Taliban echte Fortschritte macht. Die pakistanische Nationalversammlung reagierte prompt mit einer Resolution, die mit dem Ende der Kooperation drohte, falls die USA eine unfreundliche Haltung einnähmen. Nachdem US-Vizepräsident Dick Cheney im Februar bei einem Besuch in Islamabad erneut gewarnt hatte, die Wirtschafts- und Militärhilfe einzustellen, falls Musharrafs Regierung nicht resoluter gegen die militanten Islamisten vorginge, konterten die Gescholtenen, »Pakistan läßt sich von niemandem angekündigt diktieren«. Washington aber machte weiter Druck. Im April erschien mit viel Mediengetöse ein vermutlich von der CIA gesponsertes Buch mit der Kernbotschaft: »Um den Terrorismus zu besiegen, muß Pakistan aufgeteilt werden.« In einer regelrechten Kampagne wurde der Inhalt des Buches tagtäglich in den für Pakistan bestimmten CNN-Sendungen diskutiert.

Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, daß unter dem Druck von außen das delikat ausbalancierte Verhältnis zwischen der Regierung in Islamabad einerseits und den islamischen Fundamentalisten und den Taliban andererseits aus dem Gleichgewicht gekommen ist und zur Schlacht in der Roten Moschee geführt hat. Beide Seiten hatten sich offensichtlich in eine Konfrontationsposition manövriert, aus der sie, ohne zu kämpfen, nur noch mit vernichtendem Gesichtsverlust hätten herausfinden können. Aber weder für Musharraf und die USA noch für die ganze Region verheißt das vorläufige Resultat etwas Gutes: Die Islamisten haben mit dem Blutbad neue Märtyrer und blasen zum Kampf gegen die Regierung. Musharraf hat einen wichtigen Pfeiler seiner Macht verloren und war noch nie so schwach. Zugleich droht dem Atomwaffenland Pakistan eine längere Periode politischer Instabilität, möglicherweise mit bürgerkriegsartigen Zuständen in den Grenzprovinzen. Dadurch dürften die USA geneigt sein, gezielte Militäroperationen auf pakistanisches Territorium auszudehnen, was den Taliban nur noch mehr Zulauf aus den Koranschulen bescheren würde, die alljährlich Zehntausende potentielle Dschihadisten hervorbringen.

Pakistans Nachbar ist besorgt. Die US-Pläne für Pakistan könnten »ganz Asien gefährden« titelte Ende April die indische Tageszeitung Central Chronical. Ein »instabiles Pakistan« sei »noch nie in Indiens Interesse« gewesen, zumal Islamisten aus Pakistan auch hinter den Terroranschlägen in Kaschmir stecken.

** Aus: junge Welt, 13. Juli 2007


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