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"Krieg ums Überleben"

Pakistans Präsident Zardari: Hauptfeind steht im Innern

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Islamabad hat in den vergangenen drei Tagen Militäreinheiten von der Grenze zu Indien abgezogen und zur Verstärkung der Armeeoffensive gegen die Taliban im Swat-Tal nach Nordwesten verlagert. Mit dieser aufsehenerregenden Entscheidung ging die pakistanische Regierung zugleich auf eine immer nachdrücklichere Forderung des Westens ein. Beim Treffen mit den Präsidenten Pakistans, Asif Ali Zardari, und Afghanistans, Hamid Karsai, vorige Woche in Washington hatte US-Präsident Barack Obama wiederholt an Islamabad appelliert, Indien nicht mehr als den Hauptfeind zu betrachten, sondern konzentriert gegen die rebellischen Taliban und radikalen Extremisten im Innern vorzugehen. Am Samstag ging Zardari erstmals darauf ein. Er äußerte, Indien stelle keine Bedrohung für Pakistan dar, die Gefahr komme von den Terroristen innerhalb des Landes. Er betrachte In­dien als Nachbarn, mit dem es kalte und manchmal sehr harte Zeiten gegeben habe, zu dem er jedoch das Verhältnis normalisieren möchte. Demokratien würden stets versuchen, die Beziehungen zueinander zu verbessern. »Pakistan unter einem demokratischen System habe niemals Krieg mit Indien geführt«, betonte er. Zardari bestätigte, daß bereits Armee-Einheiten von der indischen Grenze abgezogen worden sind und daß man dies – je nach Erfordernissen – fortsetzen werde.

Die massive Offensive der pakistanischen Streitkräfte in Swat und in den benachbarten Distrikten Dir und Buner dauerte auch über das Wochenende an. Mindestens 200 Militante wurden getötet. Allein im Swat-Tal sollen 4000 bewaffnete Taliban kämpfen. Dort setzten die Behörden am Sonntag morgen eine Ausgangssperre aus, um der Zivilbevölkerung die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Nach ersten Meldungen sollen mehr als 100000 Zivilisten diese Möglichkeit genutzt haben. Bereits vor waren aus den drei Distrikten rund 500000 Menschen geflohen. Ihre Versorgung erweist sich als höchst kompliziert. Auf einen solchen Exodus war Pakistans Regierung nicht vorbereitet. Premier Jusuf Raza Gilani erklärte am Samstag: »Das ist kein normaler Krieg. Es ist ein Guerilla-Krieg. Das ist unser Krieg, in dem es ums Überleben des Landes und um die Zukunft der Nation geht.« Es handele sich um eine »offene Rebellion von staatsfeindlichen Elementen«, die Pakistans Verfassung und die staatlichen Institutionen nicht respektieren. Er rief alle Pakistaner auf, Militär und Regierung in dieser Schlacht zu unterstützen.

Mitte Februar hatte die Regierung der Nordwest-Grenzprovinz mit den Taliban ein »Friedensabkommen« geschlossen, dem später Präsident Zardari zustimmte. Die Taliban sollten ihre Kämpfe in Swat einstellen und ihre Waffen abgeben. Im Gegenzug sollte die islamische Scharia-Gesetzgebung wieder eingeführt werden, wie sie dort traditionell vor der Gründung Pakistans im Jahre 1947 gültig war. Doch die Taliban hielten sich nicht an den vom Westen mit größter Skepsis betrachteten Pakt. Sie weiteten im Gegenteil ihre Präsenz nach Dir und Buner aus und standen damit nur noch etwa 100 Kilometer vor den Toren Islamabads. Da zeigten sich die Provinzregierung in Peshawar, Parlament und Regierung in Islamabad sowie die Militärführung alarmiert. Zugleich wuchs von außen der Druck, entscheidend zu handeln. In Indien wie im Westen befürchtet man, die Nuklear­installationen könnten in die Hände der militanten Extremisten fallen.

Ziel der Militäroffensive ist jetzt, die Infrastruktur der Taliban zu zerstören, so viele wie möglich von ihnen zu eliminieren und die Region wieder unter Regierungskontrolle zu bringen. Ob das der erste Schritt ist, anschließend mit gleichem Engagement die Schlupfwinkel der Al-Qaida im pakistanischen Nord- und Südwasiristan und der im Grenzgebiet operierenden afghanischen Taliban ins Visier zu nehmen, bleibt zunächst offen.

* Aus: junge Welt, 11. Mai 2009


Pakistan sieht sich im Krieg

Schwere Kämpfe im Nordwesten / Hunderttausende auf der Flucht ** Die pakistanische Armee geht weiter gegen Aufständische im Swat-Tal vor. Präsident Zardari erklärte, derzeit herrsche dort "Krieg".

Bei ihrer großangelegten Offensive gegen die Taliban im Swat-Tal hat die pakistanische Armee nach eigenen Angaben bis zu 200 Aufständische getötet. Binnen 24 Stunden hätten die Truppen in dem Gebiet im Nordwesten Pakistans zwischen 180 und 200 »Schurken« getötet, erklärte die Armee am Sonntag (10. Mai) in Islamabad. Am Sonnabend (9. Mai) hatten die Truppen verkündet, sie hätten die Taliban-Kämpfer zurückgedrängt.

»Sie sind auf der Flucht«, teilte das pakistanische Militär in einer Erklärung mit. Doch nannte die Armee keine Einzelheiten zum Fortschritt ihrer Offensive, sondern machte lediglich Angaben zu getöteten Taliban. Demnach griffen Kampfhubschrauber am Morgen Stellungen der Rebellen im Skiort Minogra an und töteten Aufständische. Die Armee habe bei den Angriffen auch ein Hauptquartier der Taliban zerstört.

Am Sonntag setzte die Regierung für sieben Stunden die Ausgangssperre im Swat-Tal aus, um mehr als 100 000 Zivilisten die Flucht aus dem Kampfgebiet zu ermöglichen. Nach Angaben des UNFlüchtlingshilfswerks sind im Nordwesten Pakistans bereits bis zu eine Million Menschen auf der Flucht.

In der pakistanischen Nordwestprovinz, in der auch das Swat-Tal liegt, sind rund 15 000 Soldaten und Sicherheitskräfte stationiert. »Das ist eine Offensive, das ist Krieg«, sagte Präsident Asif Ali Zardari, der sich derzeit zu einem USA-Besuch in Washington aufhält, am Freitag dem Fernsehsender PBS. Mit Blick auf die Ziele der Offensive ergänzte er, dass »Eliminieren« der Extremisten bedeute, sie zu töten. »Eliminieren heißt genau das, was es bedeutet«, sagte der Präsident.

Bei einem mutmaßlichen US-Drohnenangriff wurden am Sonnabend in dem südlich des Swat-Tals gelegenen Stammesgebiet Süd-Waziristan sechs Aufständische getötet und zehn weitere verletzt, wie Behördenvertreter Azmat Jamal gegenüber AFP sagte. Pakistanische Sicherheitsvertreter bestätigten einen Raketenangriff auf ein mutmaßlich von Aufständischen genutztes Gelände nahe eines Dorfs des halbautonomen Stammesgebiets im Nordwesten des Landes. Süd-Waziristan an der Grenze zu Afghanistan ist die Hochburg des pakistanischen Talibankommandeurs Baitullah Mehsud, den die Behörden für zahlreiche blutige Anschläge verantwortlich machen.

Die US-Streitkräfte bestätigen die Angriffe in der Regel nicht. Sie und der Geheimdienst CIA sind aber in der Region die einzigen, die über Drohnen verfügen. Insgesamt gab es seit August 2008 im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet mindestens 39 Bombardierungen durch Drohnen, dabei kamen rund 370 Menschen ums Leben, unter ihnen zahlreiche Zivilisten. Trotz Protesten aus Islamabad setzen die USA ihre Luftangriffe auf das pakistanische Grenzgebiet fort, von dem aus Taliban- und Qaida-Kämpfer ihre Angriffe auf Afghanistan führen.

Die Europäische Union plant nach Berichten aus EU-Kreisen erstmals ein Gipfeltreffen mit Pakistan. Wie am Sonnabend aus Kreisen der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Prag verlautete, soll mit dem für den 17. Juni geplanten Treffen die »zivile Regierung« des Landes durch eine Geste der »starken Unterstützung auf höchster Ebene« gestärkt werden. Die EU wolle mit dem Treffen zudem die Bedeutung der Beziehungen zwischen der EU und Pakistan unterstreichen. Auf der Tagesordnung stehen demnach der Kampf gegen den Terrorismus in Pakistan und im Nachbarland Afghanistan, die Zusammenarbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit und die Handelsbeziehungen.

Die EU-Außenminister hatten Pakistan bereits im Dezember einen Ausbau der bilateralen Beziehungen und verstärkte Finanzhilfen in Aussicht gestellt. Laut EU-Kommission hat die Europäische Union dem Land seit 1976 rund 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, allein von 2007 bis 2010 sollten demnach 50 Millionen Euro fließen.

** Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2009


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