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Offensive geplant

USA drängen Pakistan zu Angriff »gegen Terroristen« im Nordwesten des Landes

Von Knut Mellenthin *

In Pakistan verdichten sich die Anzeichen für eine kurz bevorstehende Militäroffensive in Nordwasiristan. Das ist die einzige Region der sogenannten Stammesgebiete, in der sich die pakistanischen Streitkräfte bisher mit Operationen zur Aufstandsbekämpfung zurückgehalten haben. Die Regierung in Islamabad steht schon seit langem unter starkem US-amerikanischen Druck, endlich auch dort militärisch aktiv zu werden. Angeblich befinden sich in Nordwasiristan Stützpunkte des von Washington so bezeichneten »Haqqani-Netzwerks«, dem die USA automatisch alle größeren Anschläge in Afghanistan zurechnen, ohne dafür bisher auch nur ein bescheidenes Indiz präsentiert zu haben.

Am Montag meldete sich Ehsanullah Ehsan, der regelmäßig als Sprecher des bedeutendsten pakistanischen Taliban-Bündnisses TTP auftritt, mit einer Mailbotschaft bei mehreren Medien. Er teilte darin mit, daß seine Organisation, die Tehreek-e-Taliban Pakistan, im Besitz eines »exklusiven Geheimdienstberichts« sei, der Details über die geplante Offensive enthalte. Die TTP habe das Dokument durch ihre »Quellen« im Armee-Hauptquartier erhalten. Um seine Behauptung glaubwürdig zu machen, nannte Ehsan die Regimenter und Einheiten, die an den Operationen teilnehmen sollen, sowie den voraussichtlichen Leiter des Feldzugs. Beginnen solle dieser am 26. August und etwa einen Monat dauern. Gleichzeitig kündigte der Sprecher an, daß die TTP sich auf Gegenwehr vorbereitet habe und die Armee mit Bombenanschlägen »willkommen heißen« werde.

Während die politische und militärische Führung Pakistans bisher keine Informationen über Ort und Zeitpunkt geplanter Operationen bekannt geben will, bestätigte der Gouverneur der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa, Masood Kousar, am Montag, daß die Vorbereitungen für eine Offensive gegen Nordwasiristan »vollständig abgeschlossen« seien. Diese Aktionen seien unbedingt notwendig. Pakistan werde sie selbstständig und nicht unter irgendeinem ausländischen Druck durchführen. Khyber-Pakhtunkhwa ist die frühere Nordwest-Provinz, die direkt an die Stammesgebiete grenzt.

Das neokonservative Wall Street Journal hatte bereits am 5. August berichtet, daß Islamabad und Washington sich in Diskussionen über »gemeinsame« Anti-Terrorismus-Operationen in Afghanistan und Pakistan befänden, deren Hauptziel das »Haqqani-Netzwerk« sei. Das Thema sei bei einem Treffen in Islamabad zwischen dem Oberkommandierenden der NATO-Truppen in Afghanistan, John Allen, und dem pakistanischen Armeechef Ashfaq Parvez Kayani erörtert worden. Auch beim Besuch des pakistanischen Geheimdienstchefs Zareehul Islam in Washington habe es auf der Tagesordnung gestanden. Am 13. August verkündete US-Verteidigungsminister Leon Panetta in offenbar bewußt undiplomatischer und provokatorischer Weise vor Journalisten, daß Pakistans Militär »bald« eine »Operation gegen Terroristen« im Nordwesten des Landes beginnen werde.

Dieses amerikanische Vorgehen hat die Sache für die pakistanische Führung selbstverständlich nicht leichter gemacht. Armeechef Kayani bemühte sich am vorigen Freitag, den politischen Schaden zu begrenzen, indem er beteuerte, alle Entscheidungen würden ganz allein von Pakistan getroffen. Außerdem sei es wichtig, zwischen »koordinierter Aktion« und »gemeinsamer Operation« zu unterscheiden. Letzteres würde den Einsatz ausländischer Truppen auf der pakistanischen Seite der Grenze einschließen. Das aber sei »unannehmbar für das Volk und die Streitkräfte Pakistans«; »dies ist immer unsere eindeutig gezogene rote Linie gewesen.«

Washington hat daraufhin zu dem Mittel gegriffen, mit dem es immer wieder gern seine Ungeduld über das pakistanische Verhalten demonstriert: Am Wochenende schlugen dreimal Raketen unbemannter Flugkörper in Nordwasiristan ein – einmal am Sonnabend und zweimal am Sonntag. Alle Ziele lagen im Bezirk Shawal. Insgesamt wurden mindestens 15 Menschen getötet. Eine Gruppe saß gerade beim traditionellen Festessen zum Ende des Fastenmonats Ramadan.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. August 2012


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