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Protest der Opfer

Islamabad: Demonstrationen gegen die US-amerikanischen Drohnenangriffe in Pakistan. Obama hat den unerklärten Krieg gegen die Stammesgebiete erheblich ausgedehnt

Von Knut Mellenthin *

Bombing on tribes: Obama’s first gift to Pakistan« hieß es auf einem Transparent in englischer Sprache. »Bombardieren der Stämme: Obama’s erstes Geschenk an Pakistan«. In Islamabad wird seit mehreren Tagen gegen die US-amerikanischen Drohnenangriffe auf die sogenannten Stammesgebiete im Nordwesten demonstriert. Mehrere hundert Bewohner Nordwasiristans, darunter viele, die bei den illegalen Attacken verletzt wurden oder Angehörige verloren, haben in der pakistanischen Hauptstadt ein Protestlager errichtet. Im laufenden Jahr lagen 91 Prozent der Drohnen-Ziele in Nordwasiristan.

Die Demonstrationen werden organisatorisch vor allem von der gemäßigt-fundamentalistischen Partei Jamaat-e-Islam (JI) unterstützt, die an der Regierungskoalition beteiligt ist. Parlamentarier der meisten Parteien haben sich mit den Protesten solidarisiert. Einige wie der Senator S. M. Zafar fordern von der Regierung, die Nachschublieferungen für den NATO-Krieg in Afghanistan zu unterbrechen, um eine Einstellung der Mordflüge zu erreichen. Der bekannte Anwalt Mirza Shehzad Akbar bereitet im Namen einer täglich wachsenden Zahl von Bewohnern Nordwasiristans eine Klage gegen den Stationschef der CIA in Islambad, Jonathan Banks, Kriegsminister Robert Gates und CIA-Chef Leon Panetta vor.

Washingtons unerklärter Krieg gegen die Stammesgebiete stellt eine permanente Verletzung internationalen Rechts und der Souveränität Pakistans dar. Die USA behaupten, für ihre Angriffe das heimliche Einverständnis der Regierung in Islamabad zu haben, auch wenn diese offiziell immer wieder dagegen protestiert. In den letzten Monaten sind die Erklärungen des Ministerpräsidenten Yousaf Raza Gilani und des Außenministeriums jedoch zunehmend eindeutiger und schärfer geworden. Nachdem US-Hubschrauber Ende September einen Grenzposten beschossen und zwei pakistanische Soldaten getötet hatten, war der Übergang Torkham am Khyberpaß zehn Tage lang für den NATO-Nachschub gesperrt.

Präsident Barack Obama hat die Drohnen-Angriffe gegen Pakistan, für die formal der Auslandsgeheimdienst zuständig ist, nach seinem Regierungsantritt im Januar 2009 zur Chefsache gemacht und ihre Zahl massiv gesteigert. Während es in der gesamten Amtszeit von George W. Bush 41 solche Attacken gab, ließ Friedensnobelpreisträger Obama im laufenden Jahr bereits 108mal zuschlagen.

CIA und US-Regierung machen über Zweck und Folgen der einzelnen Angriffe niemals Angaben. Aus den Meldungen der englischsprachigen Me­dien Pakistans, die über jeden einzelnen Angriff möglichst genau zu berichten bemüht sind, ergibt sich, daß neben vielen Unbeteiligten mehrheitlich sogenannte low-level fighters getötet und verletzt werden. Also örtliche Stammeskrieger, die selbst bei maximaler Ausdehnung des Begriffs keine Kombattanten des Gegners im »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« und schon gar nicht »legitime Ziele« für ein Mordprogramm sind. Daß diese Praxis eine gewaltige Rekrutierungsmaschine für die Aufständischen ist, kann mittlerweile als Anfängerwissen für jede Counterinsurgency-Strategie gelten.

* Aus: junge Welt, 13. Dezember 2010


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