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Pakistan sucht neuen Präsidenten

Mamnoon Hussain von der regierenden Muslimliga-Nawaz geht als Favorit ins Rennen

Von Hilmar König, Delhi *

In einem Klima der Gewalt finden heute (30. Juli) in Pakistan Präsidentenwahlen statt. Noch am Freitag waren in einem nordwestlichen Stammesgebiet durch zwei Sprengstoffanschläge 53 Menschen auf einem Basar getötet und über 160 verletzt worden.

Zur heutigen Wahl treten nur zwei Kandidaten an. Das Votum war vom 8. August auf den 30. Juli vorgezogen worden, weil das Ereignis sonst mit dem Ende des Fastenmonats Ramadan und zahlreichen religiösen Verpflichtungen der Abgeordneten kollidiert wäre. Die Pakistanische Volkspartei (PPP) als stärkste Oppositionskraft und etliche kleinere Parteien boykottieren deshalb den Urnengang. »Uns blieb nur der Wahlboykott. Sie haben uns nicht genug Zeit zur Vorbereitung gegeben. Es war eine einseitige Entscheidung des Höchsten Gerichtshofes«, begründete PPP-Senator Raza Rabbani die Absage seiner Partei. Er wäre sonst der Herausforderer Mamnoon Hussains von der regierenden Pakistanischen Muslimliga-Nawaz (PML-N) gewesen.

Damit treten nur Hussain und der Kandidat der oppositionellen Gerechtigkeitspartei (Tehrik-i-Insaaf), der pensionierte Richter Wajihuddin Ahmed, gegeneinander an. Da die PML-N bei den Parlamentswahlen im Mai einen deutlichen Sieg errungen hat und das Parlament sowie die Volksvertretung der Punjab-Provinz dominiert, dürfte es am Durchmarsch Hussains kaum etwas zu rütteln geben. Nochpräsident Asif Ali Zardari, dessen Amtszeit eigentlich erst am 8. September endet, verzichtete schon nach der PPP-Niederlage bei den Parlamentswahlen auf eine neuerliche Kandidatur.

Das Staatsoberhaupt wird nicht direkt vom Volk gekürt, sondern von einem »Wahlkollegium«. Es besteht aus den Abgeordneten beider Häuser des Parlaments und denen der Volksvertretungen der vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa. Der Wahl am 30. Juli sollen am 22. August Nachwahlen zu 47 Sitzen im Parlament und in den Provinzvertretungen folgen.

Mit Hussains wahrscheinlichem Sieg erhält Pakistan eine Doppelspitze der Muslimliga. Der andere Akteur ist Premier Nawaz Sharif, der dieses Amt bereits von 1990 bis 1993 und von 1997 bis 1999 bekleidete. Die PML-N hat einen Neuanfang mit besonderer Hinwendung zu den Problemen des kleinen Mannes versprochen und vor allem damit die Wahlen im Mai gewonnen. Vieles liegt im Argen. Eine Energiekrise lähmt das Land. Es gibt Stromabschaltungen bis zu 20 Stunden am Tag, unter denen vor allem der arme Teil der Bevölkerung leidet, der sich weder Dieselgeneratoren noch Solaranlagen oder Batteriegeräte leisten kann.

Eine Energiereform ist unvermeidlich: Wasserkraft, Sonnenenergie und Kohle sowie Indien als Stromlieferant müssen stärker in Betracht gezogen, das verbreitete illegale Anzapfen von Stromleitungen unterbunden werden. Die Industrie wird von der Energieknappheit schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Tiefrot markiert ist die Zahlungsbilanz. Das 180-Millionen-Volk leidet unter heftigen Preissteigerungen und verbreiteter Arbeitslosigkeit, von der besonders die akademisch gebildete Jugend betroffen ist. Ganz schmerzlos wird der Neuanfang gewiss nicht ablaufen. So ist eine Steuerreform erforderlich, denn nur knapp ein Prozent der Bevölkerung zahlt bisher Steuern.

Zudem erschüttern fast täglich blutige Gewaltausbrüche zwischen islamischen Sekten sowie Terroranschläge der Taliban die Gesellschaft – abgesehen von tödlichen Drohnenangriffen der im benachbarten Afghanistan stationierten NATO-Truppen. Das Vertrauen in die Geheimdienste und die Streitkräfte ist erschüttert. Anfang Juli sickerten Teile des Berichts einer Kommission durch, die die Kommandoaktion einer US-Spezialeinheit am 2. Mai 2011 mitten in Pakistan zur Beseitigung von Osama bin Laden untersucht hat. Dieser hatte sich neun Jahre lang unentdeckt und unbehelligt in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad eingeigelt.

In dem sehr kritischen Report blieb offen, ob es sich um reine Inkompetenz oder um Kollaboration der pakistanischen Seite handelte. Jedenfalls wurde dem Militär und den Geheimdiensten, der Polizei und den Verwaltungsorganen »kollektives Versagen« angekreidet. Die Verantwortung für dieses unrühmliche Kapitel jüngerer pakistanischer Geschichte trugen Präsident Zardari und wechselnde Premierminister der PPP. Deshalb kann sich Nawaz Sharif jetzt bei den Enthüllungen der Kommission entspannt zurücklehnen, denn seine Partei war zu jener Zeit in der Opposition.

Der Premier, dem als Industriellen mit exzellenten Verbindungen zum Big Business Kompetenz in Wirtschaftsfragen bescheinigt wird, kann den aufgelaufenen Kahn allein mit nationalen Anstrengungen nicht flott machen. Ohne ausländische Hilfe lassen sich seine Versprechen nicht einlösen. Man glaubte, seine erste Reise würde deshalb nach Saudi-Arabien führen, wo er nach seinem Sturz durch das Militär von 1999 bis 2007 im Exil lebte. Saudisches Öl zu günstigen Zahlungsbedingungen könnte beispielsweise die Energiekrise mindern.

Doch der Premier flog zunächst nach Peking, um die »Allwetterfreundschaft« zu bekräftigen und die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu intensivieren. Auf die Partner in Peking konnte sich Pakistan, auch im militärischen Bereich, bisher stets verlassen. Sie stellten keine Bedingungen, egal wer in Islamabad am Ruder war, ob die Armee sich mehr aus dem Hintergrund oder direkt wie unter General Pervez Musharraf politisch einmischte. Sie bleibt der eigentliche Machtfaktor – auch unter dem neuen Präsidenten, der laut Verfassung als ziviler Oberbefehlshaber des Militärs fungiert.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. Juli 2013


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