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"Die Erwartungen sind hoch"

Aktivistin Musarrat Qadeem über die politische Lage in Pakistan nach dem Machtwechsel *


Musarrat Qadeem leitet in Pakistan die Frauenrechtsorganisation PAIMAN. Neben Friedens- und Bildungsarbeit steht die Unterstützung von Müttern im Mittelpunkt, deren Söhne sich radikal-islamischen Gruppen angeschlossen haben. In ihrer Heimatprovinz Khyber-Pakhtunkhwa war sie vor den jüngsten Wahlen zudem Ministerin in der Übergangsregierung. Stefan Mentschel hat mit ihr für »nd« gesprochen.


Seit gut 100 Tagen ist in Pakistan eine neue Regierung an der Macht. Premierminister Nawaz Sharif kann sich dabei im Parlament auf eine deutliche Mehrheit stützen. Welche Erwartungen haben die Menschen?

Pakistan durchläuft eine schwierige Phase seiner Geschichte. Vor allem ökonomisch und sicherheitspolitisch hatten wir in den vergangenen Jahren große Probleme. Deshalb sind die Erwartungen an Nawaz Sharif und seine Regierung auch besonders hoch. Die Pakistaner hoffen, dass er mit Hilfe seines klaren Mandats endlich dringend notwendige Veränderungen auf den Weg bringt.

Ist die angespannte Sicherheitslage dabei die größte Herausforderung?

Ja, fehlende Sicherheit wirkt sich direkt auf die wirtschaftliche und damit die soziale Lage im Land aus. Durch die Gewalt von (radikal-islamischen) Extremisten und deren Folgen hat Pakistan in den vergangenen Jahren Milliarden Dollar verloren. Unsere Wirtschaft liegt am Boden. Industrie, Handel und Gewerbe konnten sich nicht entwickeln. Potenzielle Investoren aus dem Ausland wurden abgeschreckt.

Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit ...

Gewalt und Extremismus werden wegen der damit verbundenen ökonomischen Probleme inzwischen von vielen Pakistanern als ernsthafte Bedrohung der Gesellschaft wahrgenommen. Das war früher nicht so. Wir brauchen deshalb eine allumfassenden Gegenstrategie, die Sharif auf den Weg bringen muss. Die Arbeit daran hat innerhalb der Regierung meines Wissens bereits begonnen.

Wie soll die genau aussehen?

Terroristen, die Pakistan Schaden zufügen, müssen weiterhin konsequent verfolgt und bestraft werden. Militäraktionen reichen aber nicht aus. Gleichzeitig müssen wir die Wirtschaft wieder in Schwung bringen, damit nicht Armut und Perspektivlosigkeit immer mehr junge Leute in die Arme der Extremisten treiben. Wirtschaftliche Anreize wie Ausbildungs- und Arbeitsplätze könnten zudem Menschen den Weg zurück in die Gesellschaft ebnen, die der Gewalt abschwören wollen.

Reicht das aus, um die Probleme zu lösen?

Nein. Extremistisches Gedankengut hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen der Gesellschaft breitgemacht. Dem müssen wir auch intellektuell etwas entgegensetzen und schlagkräftige Argumente entwickeln. Dafür brauchen wir einen offenen und konstruktiven Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte. Regierung und Zivilgesellschaft müssen Hand in Hand gehen. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die wir nach einem so konfliktreichen Jahrzehnt nicht über Nacht bewältigen können.

In der Vergangenheit wurde die Politik in Pakistan immer wieder vom Militär beeinflusst. Besteht diese Gefahr weiterhin?

Die Armeeführung ist in den letzten fünf Jahren politisch gereift. Selbst als unsere staatliche Souveränität (durch die Tötung von Terroristenchef Osama bin Laden in Pakistan durch US-Truppen im Mai 2011, d. Red.) massiv bedroht war, hat sich das Militär zurückgehalten. Ich hoffe, dass das auch in Zukunft so sein wird.

Pakistan liegt in einer Krisenregion. Welche Rolle kann das Land künftig spielen?

Die Regierung wird auch in Zukunft die nationalen Interessen Pakistans wahren. Doch Premier Sharif hat mehrfach erklärt, dass Pakistan friedliche Beziehungen mit seinen Nachbarn anstrebt, vor allem mit Indien und Afghanistan. Wir haben eine Menge zu bieten, deshalb müssen wir vor allem im wirtschaftlichen Bereich die Möglichkeiten der Kommunikation und Zusammenarbeit in der Region verbessern. Von offenen Märkten und freiem Handel könnten alle profitieren.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat unlängst um Pakistans Unterstützung für direkte Verhandlungen mit den Taliban geworben. Wie realistisch ist das?

Mit wem will Karsai verhandeln? Es gibt in der Region rund 40 verschiedene Gruppen, die sich Taliban nennen. Wer soll die vertreten? Und ganz abgesehen davon: Die Extremisten wollen der afghanischen Regierung bereits vor möglichen Verhandlungen ihre Bedingungen diktieren. Eigentlich sollte das umgedreht sein. Deshalb glaube ich nicht, dass in naher Zukunft ein Dialog zustande kommt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. September 2013


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