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Regierung auf Abruf

Pakistans Regierung verliert immer mehr an Rückhalt

Von Thomas Berger *

Kann Pakistans gegenwärtige Regierung einen Rekord aufstellen? Sie wäre die erste in der Landesgeschichte, die eine volle Legislaturperiode durchsteht, sollte ihr es gelingen, bis zu den nächstes Jahr anstehenden Wahlen im Amt zu bleiben. Dies wird allerdings immer ungewisser, denn die Koalition unter Führung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) von Präsident Asif Ali Zardari steht von mehreren Seiten unter Druck. Partner kommen ihr abhanden, mit den Spitzen der nationalen Justiz liegt sie im Clinch, radikale Separatisten und islamistische Fanatiker machen ihr das Leben schwer. Zudem haben die PPP und ihr Spitzenpersonal ihr Ansehen bei der Bevölkerung weitgehend verspielt.

Neues Ungemach kam erst vor wenigen Tagen durch ein weiteres Urteil des Supreme Court, mit dem die oberste gerichtliche Instanz das Kräftemessen mit der Regierung einmal mehr verschärft hat. Es geht um den Parlamentssitz von Innenminister Rehman Malik, den dieser im Senat, der zweiten Kammer, innehat und nun verlieren könnte. Ihm wird vorgeworfen, falsche Angaben zu seiner britischen Staatsbürgerschaft gemacht zu haben, womit er sich nach Ansicht der obersten Richter für eine Kandidatur disqualifiziert habe.

Malik gilt als rechte Hand des Präsidenten. Somit scheint auch mit diesem Vorgehen indirekt das Staatsoberhaupt das eigentliche Ziel zu sein. Denn der Supreme Court will unbedingt erreichen, daß alte Korruptionsermittlungen gegen Zardari, der unter dem Spitznamen »Mr. Zehn Prozent« bekannt ist, wieder aufgenommen werden. Der frühere Regierungschef, Yousouf Raza Gilani, hatte wegen dieses Streits bereits sein Amt verloren.

Zunehmend zeigen sich auch Risse in der regierenden Koalition. Das Muttahida Qaumi Movement (MQM) hat der PPP ein Ultimatum bis Freitag gestellt. Werden ihre Forderungen bis zu diesem Tag nicht erfüllt, wolle sie dem Bündnis auf nationaler Ebene den Rücken kehren, hatte die Partei am Dienstag gedroht. Hintergrund ist ein Streit in der südlichen Provinz Sindh, wo unterschiedliche Auffassungen zu einem Gesetz über eine lokale Verwaltungsneuordnung bereits die dort regierende Allianz zerrüttet und mehrere PPP-Partner zum Austritt aus der Regionalregierung getrieben haben.

Die pakistanische Regierung hat es bisher weder geschafft, islamistische Gruppen wirksam zurückzudrängen, noch die Gewalt in den verschiedenen Ecken des Landes einzudämmen. Erst vorige Woche hatte sich Nawaz Sharif mit einem Appell an die Hindus gewandt, Pakistan nicht den Rücken zu kehren. Das Land gehöre den Minderheiten ebenso wie der muslimischen Bevölkerungsmehrheit, so der Spitzenmann der oppositionellen Muslimliga-Nawaz (PML-N).

Die Angehörigen verschiedener Minoritäten fühlen sich immer stärker bedroht. Das betrifft vor allem Hindus und Christen, aber auch die Schiiten, die gegenüber der sunnitischen Glaubensrichtung in der Minderzahl sind und immer wieder das Ziel von politisch-religiös motivierten Anschlägen werden.

Allein in Karachi, der größten Metropole Pakistans, sind laut jüngsten Statistiken zwischen Januar und August etwa 1700 Menschen ermordet worden – 1345 dieser Fälle haben nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskommission einen politischen Hintergrund.

Verschlimmert hat sich die Situation während der letzten drei Jahre auch in der westlichen Provinz Belutschistan. 2006 hatte die Armee dort den Separatistenführer Nawab Akbar Bugti getötet. Das hatte jene Kräfte, die für mehr Autonomie oder einen eigenen Staat kämpfen, aber nur kurzzeitig zurückgeworfen. Mindestens vier separatistische Gruppierungen agieren in der 7,8 Millionen Einwohner zählenden Provinz. Mindestens 711 Tote einschließlich bei Kämpfen umgekommene Soldaten soll es 2011 in Belutschistan gegeben haben.

Ein vernichtendes Urteil über die derzeitigen Zustände in der Provinz hat die Nationale Menschenrechtskommission in einem kürzlich vorgelegten Bericht gefällt. Die Autoren konstatieren, daß Belutschistan das Armenhaus des Landes ist. Hinsichtlich der Gewalt gegen Minderheiten und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung habe es im Vergleich zu den Vorjahren keine Verbesserung gegeben – die Regierung habe auf Forderungen und Empfehlungen nicht reagiert.

Die Staatslenker in Islamabad scheinen derzeit nicht zu wissen, welcher Front sie die höchste Priorität einräumen sollen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. September 2012


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