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Scharia im Swat-Tal

Abkommen in Nordwestpakistan geschlossen

Im Nordwesten Pakistans wird auf Druck islamischer Extremisten das Scharia-Recht eingeführt.

Peshawar (AFP/ND). Die nordwestliche Provinzregierung teilte am Montag in der pakistanischen Stadt Peshawar mit, für das umkämpfte Swat-Tal ein Abkommen mit Islamisten zur Einführung der Scharia geschlossen zu haben. Die Scharia ist das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht des Islam.

Die Vereinbarung gilt demnach für den Bezirk Malakand, in dem auch das Swat-Tal liegt. »Das Recht wird künftig gemäß der Scharia gesprochen«, sagte der Informationsminister der Region, Mian Iftikhar Hussain. »Alle Gesetze, die gegen die Scharia verstoßen, werden abgeschafft.« In der betroffenen Region leben rund drei Millionen Menschen. Ein ranghoher Vertreter des regionalen Islamistenführers Soofi Mohammad, der das Abkommen ausgehandelt hatte, kündigte ein Ende der Gewalt an. Sobald die Scharia eingeführt sei, sollten die Kämpfer ihre Waffen niederlegen, sagte er.

Das Swat-Tal war einst ein beliebtes Erholungsziel für pakistanische Stadtbewohner, dort befindet sich das einzige Skigebiet des Landes. Im Herbst 2007 übernahmen Islamisten um den Geistlichen Maulana Fazlullah die Kontrolle über den Landstrich. Fazlullah unterhält enge Verbindungen zu den pakistanischen Taliban.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009


Doppeltes Spiel in Pakistan

Teile des Militärs widersetzen sich der Kooperation mit Washington

Von Rainer Rupp **

Am Montag (16. Feb.) starben bei einem weiteren Angriff fliegender US-Killerroboter auf ein pakistanisches Dorf im Grenzgebiet zu Afghanistan wieder 31 Menschen. Bereits am Samstag (14. Feb.) hatte eine US-Drohne vom Typ »Predator« (Raubtier) in einem anderen Dorf 30 Bewohner getötet. Die Opfer sind hauptsächlich Frauen und Kinder. Der Takt der Angriffe beschleunigt sich. Während Barack Obama seine Drohung wahrmacht und den Krieg auf pakistanisches Territorium ausweitet, erhöht sich nicht nur die Zahl der zivilen Opfer, sondern auch die Wut. Zunehmend militante antiamerikanische Großdemonstrationen drohen die ohnehin bereits angeschlagene Regierung des proamerikanischen Präsidenten Asif Ali Zardari weiter zu schwächen.

Zugleich widersetzen sich innerhalb des pakistanischen Militärs und des mächtigen Geheimdienstes ISI starke Kräfte der Kooperation der zivilen Zardari-Regierung mit Washington. Sie mißtrauen den US-Absichten in der Region, zumal viele glauben, daß sich Washington im Kampf um Einfluß und Macht auf dem asiatischen Subkontinent auf die Seite Indiens geschlagen hat. Laut einem jüngsten Bericht der International Herald Tribune sehen nicht wenige »strategische Planer« ihr Land sogar von den USA bedroht. Als Beweis wird angeführt, daß Obama Anfang Februar erklärt hatte, daß es sein zentrales Ziel sei, das nuklear bewaffnete Pakistan davon abzuhalten, Afghanistan zu destabilisieren. Folglich sehen viele Pakistaner in der Aufstockung der US-Streitkräfte in Afghanistan und in den vermehrten US-Drohnenangriffen eine Strategie Washingtons, um ihr Land zu destabilisieren, um so die Voraussetzungen zur Neutralisierung der pakistanischen Atomwaffen zu schaffen.

Behauptungen führender pakistanischer Politiker wie Hasham Baber von der Awami National Party im pakistanischen Fernsehen letzte Woche, daß große Teile der Führung des pakistanischen Militärs und des ISI u.a. mit den Taliban in Pakistan und Afghanistan zusammenarbeiteten, sind daher ernst zu nehmen. Dies mag auch die »Mißerfolge« des pakistanischen Militärs bei der Bekämpfung einheimischer, gegen die Politik der Zardari-Regierung gerichteten, islamistischer Aufständischer erklären, wie z. B. gegen die nur 160 Kilometer von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad im Swat-Tal operierenden »Taliban« der Tehrik Nifaz-i-Shariat Muhammadi (TNSM). Überraschend meldeten pakistanische Medien am Montag, daß die Zardari-Regierung mit den TNSM ein Waffenstillstandsabkommen und die Einführung des islamischen Rechts in der Swat-Region vereinbart habe.

Für eine weitere Überraschung hat die Äußerung der Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses des US-Senats, Diane Feinstein, gesorgt, welche die Zardari-Regierung bis in ihre Grundfesten erschüttert. Die Senatorin hatte bei einer Anhörung erklärt: »Soweit ich weiß, sind diese Drohnen (die US-»Raubtiere«, die pakistanische Dörfer angreifen) auf einer Basis in Pakistan stationiert.« Die Zardari-Regierung, die bisher die US-Roboter-Angriffe stets verurteilt hatte, dementierte vehement. Ohne Erfolg. Inzwischen wirft die pakistanische Presse der Regierung vor, »Komplize« bei den US-Angriffen zu sein und konstatiert, daß sie »jegliche Glaubwürdigkeit verloren« habe.

** Aus: junge Welt, 17. Februar 2009


Es geht um Frieden

Einigung zwischen Regierung und Taliban in Nordwestpakistan

Von Knut Mellenthin ***

Die »Einführung der Scharia«, also einer am Koran orientierten islamischen Rechtssprechung, in einem Teil Nordwestpakistans hat für aufgeregte, tendenziöse Meldungen in westlichen Mainstreammedien gesorgt. So kommentierte Matthias Gebauer am 16. Februar in Spiegel Online unter der Überschrift »Islamabad beugt sich den Taliban«: »Aufgerieben von der Gewalt der Militanten gegen Regierung und Armee ist Islamabad bereit, den Dschihadis weitgehende Zugeständnisse zu machen. (...) Das Abkommen, das in Wa­shington und Europa nicht gut ankommen wird, illustriert, wie bedroht die pakistanische Regierung mittlerweile im eigenen Land ist. Nach monatelangen Militäroperationen im Swat-Tal, einer unzugänglichen Bergregion im Nordwesten des Landes, kapituliert Islamabad endgültig. Anstatt die Taliban weiter zu bekämpfen, beugt sich der Staat um des Friedens Willen den Wünschen der Radikalen.«

Tatsächlich jedoch bestätigt das am Montag unterzeichnete Abkommen zwischen der Regierung der Nordwest-Grenzprovinz (NWFP) und der Tehrik-e-Nifaz-e-Scharia-e-Mohammadi (TNSM) im wesentlichen nur frühere Vereinbarungen und verpflichtet beide Seiten zu ihrer Durchsetzung. Die 1992 von Sufi Muhammad gegründete TNSM hatte eine entsprechende Provinzgesetzgebung schon 1994 erreicht. Allerdings gab es immer wieder Streit um die Durchführung, auch nach der Neufassung des Gesetzes 1999. Im Jahr 2003 verkündete die damalige Provinzregierung der NWFP, die von der islamistischen Allianz Muttahida Majlis-e-Amal (MMA) geführt wurde, den Vorrang der Scharia vor allen anderen Gesetzen, und zwar für die gesamte Provinz. Seit den Wahlen im Februar 2008 wird die NWFP jedoch von der Awami National-Partei (ANP) regiert, die sich als säkular versteht und den Islamismus bekämpft.

Das jetzt geschlossene Abkommen bezieht sich, wie schon das von 1994, nur auf die Region Malakand, die ungefähr ein Drittel der NWFP einnimmt, sowie auf den angrenzenden Bezirk Kohistan. Zu der Region gehört das seit Herbst 2007 heftig umkämpfte Swat-Tal, früher ein auch international frequentiertes Ski- und Tourismus-Gebiet. Swat sowie zwei andere Distrikte von Malakand wurden erst 1969 voll in den pakistanischen Staat integriert. Zuvor standen sie unter der Herrschaft von Fürsten, die weitgehende Verwaltungsautonomie hatten und eine eigene Rechtssprechung ausübten.

Die Scharia wird außerhalb der islamischen Welt vor allem mit drastischen Strafen verbunden. Das ergibt sich jedoch keineswegs zwangsläufig. Die konkrete Anwendung des islamischen Rechts unterscheidet sich, insbesondere aufgrund kultureller, sozialer und nationaler Traditionen, sehr stark. Wesentliche Diskussionspunkte in der NWFP betrafen prozedurale Fragen, wie etwa das Berufungsrecht und die Zeitspannen, in denen bestimmte Rechtsstreitigkeiten vom Gericht behandelt werden müssen.

Teil der Einigung in der NWFP ist ein Friedensschluß und die Entwaffnung militanter Gruppen. Die herrschenden Politiker in der Provinz und in Islamabad hoffen, daß Sufi Muhammad, der Gründer der TNSM, seinen Schwiegersohn Maulana Fazlullah, den derzeitigen Führer der Organisation, dazu bewegen kann, sich diesem Teil des Abkommens zu unterwerfen. Die Provinzgesetzgebung bedarf, soweit es die Praktizierung der Scharia angeht, der Zustimmung durch den pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari. Und der hat sofort angekündigt, daß er seine Unterschrift erst geben wird, wenn in Malakand und insbesondere im Swat-Tal wirklich Frieden eingekehrt ist.

Ob die Taliban des Gebiets auf dieser zerbrechlichen Grundlage bereit sein werden, ihre Waffen abzugeben, ist fraglich. Immerhin beherrschen sie derzeit den größten Teil des Swat-Tals und haben ihre kulturellen Vorstellungen, die weit über die jetzt erreichte Einigung hinausgehen, de facto durchgesetzt. Die Rechtssprechung liegt in Swat schon jetzt bei den von ihnen eingesetzten Scharia-Gerichten. Einstweilen haben sowohl die Taliban als auch die Armee angekündigt, sie würden auf Offensivoperationen verzichten und sich nur gegen Angriffe verteidigen.

*** Aus: junge Welt, 18. Februar 2009


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