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Mord mit System

US-Regierung greift mit Drohnen in Machtkämpfe pakistanischer Taliban ein

Von Knut Mellenthin *

Die USA haben zum Jahresbeginn ihre Drohnenangriffe gegen Pakistan verstärkt. Am Sonntag morgen wurden im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südwasiristan mindestens 17 Menschen von den Raketen unbemannter Flugkörper getötet. Nach Berichten aus der Region waren vier Drohnen im Einsatz, die mit insgesamt zehn Raketen drei Häuser völlig zerstörten. Die Gebäude wurden angeblich von einer bewaffneten Gruppe um Qari Imran genutzt, der in enger Verbindung mit der Organisation von Hafis Gul Bahadur stehen soll.

Der etwa 50jährige Bahadur ist einer der »regierungsfreundlichen« pakistanischen Taliban, die sich auf die Unterstützung der Aufständischen im benachbarten Afghanistan konzentrieren. Er lehnt Anschläge im eigenen Land ab und hat mehrfach Waffenstillstands- und Friedensabkommen mit den pakistanischen Sicherheitskräften und Behörden geschlossen. Seine Organisation trägt gelegentlich bewaffnete Konflikte mit der bekanntesten Formation der einheimischen Taliban, der Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) von Baitullah Mehsud, aus. Den Auseinandersetzungen liegt unter anderem die Rivalität zwischen den beiden bedeutendsten Stämmen Wasiristans, den Wasiris und den Mehsuds, zugrunde. Bahadur gehört einem Wasiri-Clan an.

Am vergangenen Mittwoch war Maulwi oder Mullah Nasir, ein Stammesgenosse und enger Verbündeter Bahadurs, bei einer amerikanischen Drohnenattacke ums Leben gekommen. Insgesamt starben bei offenbar genau koordinierten Angriffen auf verschiedene Ziele in Wasiristan zehn Menschen, darunter angeblich auch die beiden Stellvertreter Nasirs.

Der 37jährige hatte eine gleichfalls »regierungsfreundliche« Taliban-Organisation im Westen von Südwasiristan geleitet. Der für die Einsätze unbemannter Flugkörper verantwortliche amerikanische Auslandsgeheimdienst, die CIA, hatte zuvor zweimal vergeblich versucht, Nasir zu töten. Zudem überlebte er Ende November 2012 verletzt einen Selbstmordanschlag, der von einem höchstens 15 Jahre alten Jungen ausgeführt wurde. Einen Monat zuvor war einer seiner Brüder bei einem Drohnenangriff getötet worden.

Neben der TTP hatte sich Nasir auch mit den »ausländischen Kämpfern« in seinem Machtbereich angelegt und zeitweise, angeblich mit Unterstützung des pakistanischen Militärs, für deren Vertreibung aus Südwasiristan gesorgt. Es handelt sich dabei um Hunderte oder Tausende ehemaliger Rebellen, die hauptsächlich aus Usbekistan sowie aus Tschetschenien, Dagestan und anderen Teilen des russischen Kaukasus schon vor Jahren nach Pakistan kamen. Inzwischen verfolgen sie zumeist keine politischen Ziele mehr, sondern leben von Bandenkriminalität wie Drogenschmuggel und Auftragsmorden.

Berichten pakistanischer ­Medien zufolge arbeiten sie dabei mit der TTP zusammen. Diese hat sich in den letzten Jahren für zahlreiche Verbrechen gegen Zivilpersonen, darunter die Ermordung von Mitarbeitern einheimischer Hilfsorganisationen, »verantwortlich« erklärt. Im vergangenen Jahr starben mehrere hundert pakistanische Schiiten bei Anschlägen auf Moscheen, Pilgerbusse und Basare in überwiegend von Schiiten bewohnten Orten und Stadtvierteln. Die TTP bekämpft diese Strömung des Islam, die etwa ein Fünftel der pakistanischen Bevölkerung ausmacht, als »Ungläubige«.

Mit ihren gezielten Angriffen auf führende Vertreter der »regierungsfreundlichen« Taliban will die US-Regierung diese zum Bruch ihrer Stillhaltepakte mit dem pakistanischen Militär treiben. Gleichzeitig soll das Kräfteverhältnis zwischen »gemäßigten« und überwiegend provokatorisch agierenden Taliban zugunsten der letzteren verschoben werden.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Januar 2013


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