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Bombenterror in Pakistan

Polizeihauptquartier gesprengt / Luftwaffe jagt Rebellen *

Pakistan ist erneut von mehreren Anschlägen erschüttert worden. Die Luftwaffe bombardierte unterdessen Stellungen islamistischer Rebellen.



Im Nordwesten des Landes wurden nach offiziellen Angaben durch einen ferngezündeten Sprengsatz am Donnerstag mindestens zehn Menschen in den Tod gerissen, darunter drei Schulkinder. Außer den Schulkindern starben in dem Bezirk Upper Dir vier Polizisten und drei Gefängnishäftlinge.

Die getöteten Häftlinge hätten in einem Transporter von Anhörungen in einem Gericht zurück ins Gefängnis gebracht werden sollen, als der Sprengsatz in dem Bezirk Upper Dir per Fernzündung zur Explosion gebracht worden sei, sagte ein Vertreter der örtlichen Behörden. Ein Schulbus mit den Kindern fuhr zu dem Zeitpunkt nach Polizeiangaben ebenfalls an dem Ort des Anschlags vorbei.

Bei einem Angriff auf das Hauptquartier der Polizei in Islamabad wurden sieben Menschen verletzt. »Wir nehmen an, dass es sich um einen Selbstmordattentäter in einem Auto handelt«, sagte der Polizeichef von Islamabad, Ashgar Gardezi. Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheißen, durch die Detonation auf dem Gelände des Hauptquartiers seien acht Menschen getötet worden.

Kurz vor dem Anschlag habe eine Gruppe von Polizisten die Anlage verlassen, sagte Polizeikommandeur Ehsan Khan. Dadurch sei Verwirrung über die Zahl der Opfer entstanden. Demnach hielten sich zum Zeitpunkt des Anschlags nur wenige Polizisten in dem Komplex auf. Das dreistöckige Gebäude wurde durch die Explosion schwer beschädigt. In dem Hauptquartier befinden sich neben Trainingsanlagen auch Wohnungen für Polizisten.

Im Swat-Tal im Nordwesten des Landes bombardierte die pakistanische Luftwaffe ein Rebellenlager und tötete dabei nach Angaben aus Sicherheitskreisen zahlreiche islamistische Aufständische. Mit Helikoptern und Kampfflugzeugen seien Stellungen in dem Dorf Piochar bombardiert worden, sagte ein Sicherheitsbeamter, der seinen Namen nicht nennen wollte. Dabei seien den Rebellen »schwere Verluste« beigebracht worden; Erkenntnisse über die Zahl der Todesopfer lägen jedoch nicht vor.

Bei einem weiteren Gefecht im Swat-Tal wurden einem Sicherheitsbeamten zufolge fünf Zivilisten getötet, darunter Frauen und Kinder. Bei den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen im Bezirk Matta habe ein Geschoss ein Wohnhaus getroffen. Demnach ist unklar, von welcher Seite das Geschoss abgefeuert wurde.

Das ehemals als Touristenziel geltende Swat-Tal gehört zu den unruhigsten Regionen Pakistans. Seit der radikalislamische Geistliche Maulana Fazlullah versucht, die Gegend unter streng islamisches Recht zu stellen, ereigneten sich in der Region zahlreiche Anschläge und gewaltsame Auseinandersetzungen.

Die pakistanische Armee hatte bereits am Mittwoch mindestens 20 Kämpfer der radikal-islamischen Taliban in den Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze getötet. Stellungen der Rebellen in der halbautonomen Region Bajaur seien von Kampfhubschraubern unter Dauerbeschuss genommen worden, teilte ein Armeesprecher mit. In der Gegend hat Anfang August eine Großoffensive von Militärs und Paramilitärs gegen Taliban-Kämpfer und Qaida-Terroristen begonnen.

Bei heftigen Gefechten kamen in den vergangenen zwei Monaten mindestens 1000 Aufständische und etwa 25 Soldaten, aber auch zahlreiche Zivilisten ums Leben. Mehr als 250 000 Menschen wurden vertrieben. Von den Stammesgebieten aus überqueren Aufständische die Grenze und verüben Anschläge auf die US-geführten Truppen in Afghanistan.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Oktober 2008


Massenvertreibung

Zehntausende afghanische Flüchtlinge werden aus Pakistan hinausgejagt – Islamabads Beitrag zum "Krieg gegen den Terror"

Von Knut Mellenthin **

Pakistan ist seit Ende voriger Woche dabei, Zehntausende afghanische Flüchtlinge und deren Nachkommen gewaltsam aus dem Land zu treiben. Die brutale Aktion, die international weithin ignoriert wird, gilt als pakistanischer Beitrag zum »Krieg gegen den Terror«.

Am Morgen des 3. Oktober – Freitag voriger Woche – hatten die regionalen Behörden alle im Bezirk Bajaur lebenden Menschen afghanischer Herkunft aufgefordert, Pakistan innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Die Frist lief am Sonntag abend ab. Bis dahin hatten nur 15000 von schätzungsweise 50000 bis 80000 Betroffenen »freiwillig« den Weg nach Afghanistan angetreten. Die meisten zu Fuß in langen Zügen, mit wenigem Eigentum und zusammen mit ihrem Vieh. Seit Montag (6. Okt.) wird die Vertreibung mit offenem Zwang intensiviert und beschleunigt.

Bajaur ist die kleinste, aber am dichtesten besiedelte Verwaltungseinheit unter den sieben sogenannten Agenturen der Bundesstaatlich Verwalteten Stammesgebiete (FATA) im Nordwesten Pakistans. Bajaur ist seit über zwei Monaten Schauplatz extremer Formen der Aufstandsbekämpfung, mit denen die pakistanische Regierung sich dem zunehmenden Interventionsdruck der US-Regierung zu entziehen versucht. Auch die Vertreibung der Afghanen wird nun mit der unbewiesenen Behauptung gerechtfertigt, viele von ihnen würden bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte unterstützen.

Die meisten dieser Menschen stammen ursprünglich aus der angrenzenden afghanischen Provinz Kunar. Sie flüchteten in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor dem Bürgerkrieg nach Pakistan, sind dort inzwischen längst seßhaft geworden und haben Familien gegründet, viele von ihnen betreiben kleine Läden. Es handelt sich um Menschen, die in die übrige Bevölkerung integriert leben, denn die letzten Flüchtlingslager wurden in Bajaur schon 2005 aufgelöst. Nicht wenige sind durch Heirat mit pakistanischen Familien verbunden.

Die jetzt eingeleitete Massenvertreibung muß daher auch mit Gewaltmaßnahmen gegen die pakistanische Bevölkerung durchgesetzt werden. Schwere Strafen drohen allen Pakistanis, die Wohnungen oder Läden an Afghanen vermietet haben und die jetzt nicht bei deren Vertreibung mitwirken, sowie überhaupt allen, die jetzt noch den aus Afghanistan stammenden Menschen Unterschlupf gewähren, sie verstecken oder mit ihnen Geschäfte machen. Alle Läden im Besitz von Afghanen wurden inzwischen versiegelt. Viele Betroffene wurden in Abschiebehaft genommen. Die verlassenen und geräumten Häuser werden mit Bulldozzern zerstört, um eine Rückkehr der Bewohner zu verhindern. In Peschawar, der Hauptstadt der nordwestlichen Grenzregion, wurden Ausnahmeregelungen und scharfe Polizeimaßnahmen angeordnet, um Vertriebene fernzuhalten. An allen nach Peschawar führenden Straßen wurden zusätzliche Kontrollstationen eingerichtet. Die Polizei der Stadt macht Jagd auf Afghanen, die sich angeblich illegal dort aufhalten.

Darin deutet sich bereits an, daß Bajaur vermutlich kein Einzelfall bleiben wird, sondern als Modell dienen soll. Der Minister für die Grenzregionen, Nadschmuddin Khan, forderte am Dienstag die »internationale Gemeinschaft« auf, Pakistan bei der »Repatriierung« der Flüchtlinge aus Afghanistan zu helfen, deren aktuelle Zahl er mit drei Millionen angab. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, hat allerdings nur 1,8 Millionen Afghanistan-Flüchtlinge in Pakistan registriert.

** Aus: junge Welt, 10.Oktober 2008


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