Gebührenfreier Transit
Trotz Vereinbarungen kommt der Nachschub via Pakistan für den NATO-Krieg in Afghanistan nur langsam wieder in Gang
Von Knut Mellenthin *
Vertreter Pakistans und der USA haben gestern ein Abkommen über die Militärtransporte nach Afghanistan unterzeichnet. Die Regierung in Islamabad hatte den Transit am 26. November vorigen Jahres unterbrochen, nachdem bei einem amerikanischen Luftangriff 24 pakistanische Grenzsoldaten getötet worden waren. Die Wiederaufnahme der Transporte war schon am 3. Juli bekanntgegeben worden, ist allerdings seither kaum in Gang gekommen. Nach wie vor liegen Hunderte von Fahrzeugen und Containern fest.
Die Organisationen der Transportunternehmer ebenso wie die der LKW-Fahrer verlangen von der Regierung zunächst einmal eindeutige Sicherheitsgarantien und -maßnahmen. Aufständische haben gewaltsame Aktionen angekündigt, falls die Transporte wieder aufgenommen würden. Vor einer Woche wurde ein Fahrer bei einem Überfall erschossen. Die Unternehmer fordern außerdem eine Entschädigung für ihre Einnahmeverluste und Sonderausgaben durch die siebenmonatige Blockade.
Hinzu kommt, daß Torkham am Khyberpaß, der nördliche und bei weitem bedeutendere der beiden Grenzübergänge, über die der Transit nach Afghanistan normalerweise läuft, seit Donnerstag wieder für die Nachschubtransporte gesperrt ist. Die Maßnahme wurde von den zuständigen örtlichen Behörden veranlaßt. Als Voraussetzung für die Freigabe der Route verlangen sie einen Sicherheitsplan der Regierung. Nach ihren Angaben haben sie schon vor zwei Wochen eine entsprechende Aufforderung nach Islamabad geschickt, aber bisher keine Antwort erhalten.
Das am Dienstag unterzeichnete amerikanisch-pakistanische »Memorandum of Understanding« (MOU) regelt die künftigen Bedingungen für die Nachschubtransporte. Es soll die bisherigen Vereinbarungen ersetzen, die nach pakistanischen Pressemeldungen nur in mündlichen Absprachen bestanden, deren Inhalt weitgehend unbekannt ist. Das neue Rahmenabkommen gilt bis Ende 2015 und kann anschließend unbegrenzt verlängert werden, sofern beide Regierungen zustimmen. Andere Staaten können dem MOU, das zunächst nur die US-amerikanischen Transporte regelt, beitreten.
Soweit bisher bekannt wurde, bestätigt das neue Abkommen die schon früher gemeldete vollständige Niederlage der pakistanischen Regierung im Streit mit den USA. Vor allem ist Islamabad mit seiner Forderung nach angemessenen Transitgebühren gescheitert. Nach dem MOU zahlen die USA nur noch an die beteiligten Transport- und Sicherheitsunternehmen, aber nichts darüber hinaus. Offen bleibt, wer für die Reperaturen der stark beschädigten Straßen aufkommt. Die Lieferungensind auf sogenannte nicht-letale Güter beschränkt, hauptsächlich Treibstoff und Lebensmittel. Allerdings war das nach amerikanischen Angaben auch bisher schon so. Auch der Transport von Waffen und Munition ist jedoch gestattet, sofern diese laut Deklarierung für die afghanischen Streitkräfte bestimmt sind.
Am heutigen Mittwoch beginnt ein dreitägiger Besuch des Generaldirektors des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Zaheer-ul Islam, in Washington. Es ist seine erste offizielle Reise in die USA, seit er im März das Amt übernahm. Sein wichtigster Gesprächspartner wird CIA-Chef David Petraeus sein. Es wird erwartet, daß Islam die bekannte Forderung nach Einstellung der amerikanischen Drohnenangriffe wiederholen wird. Bei über 300 solcher Operationen wurden seit 2004 mehr als 2500 Menschen getötet, zuletzt am Sonntag neun bei einem Angriff in Nordwasiristan.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 1. August 2012
Drehkreuz Uljanowsk
NATO nutzt jetzt russischen Umschlagplatz **
Russland erleichtert den Abzug der
NATO aus Afghanistan: Das Bündnis
darf fortan einen Umschlagplatz an
der Wolga nutzen. Russland hofft dadurch
auch auf hohe Einnahmen.
In einem historischen
Schritt darf die NATO
erstmals eine Stadt des früheren
Gegners Russland als Drehkreuz
für Transporte im Afghanistaneinsatz
nutzen.
Staatspräsident Wladimir Putin
lobte das Logistikzentrum in Uljanowsk
als Teil der nationalen Interessen.
Russland sei an Stabilität
in Afghanistan interessiert und
unterstütze die NATO bei ihrem
Einsatz, sagte Putin bei einem Besuch
in der Wolgastadt nach Angaben
der Agentur Interfax vor
Soldaten und Veteranen.
Zugleich forderte der russische
Staatschef das westliche Militärbündnis
zu einem längeren Einsatz
am Hindukusch auf. »Sie haben
sich verpflichtet und sollten
den Weg bis zum Ende gehen«,
sagte Putin. Es sei schade, dass alle
beteiligten Nationen nur darüber
nachdächten, wie sie aus Afghanistan
wieder herauskommen.
Die NATO will ihren Kampfeinsatz
spätestens im Jahre 2014
beenden. Russland engagiert sich
militärisch nicht in dem Krisenland.
Bislang erlaubte Moskau der
Allianz nur Eisenbahntransporte
und Überflüge. Künftig bringt die
NATO ihr Material von der Wolga
auf der Schiene an die Ostsee.
Russlands KP kritisiert die Entscheidung.
Uljanowsk, rund 800
Kilometer südöstlich von Moskau,
ist der Geburtsort Lenins.
Präsident Putin betonte unterdessen,
es handele sich nicht um
eine NATO-Basis. Russische Firmen
erhoffen sich von dem Umschlagplatz
Millioneneinnahmen
durch Logistikhilfen.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. August 2012
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