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Unruhen in Pakistans "Schmelztiegel"

42 Tote in Karatschi nach schweren Zusammenstößen rivialisierender Gruppen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Schwere Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung erschütterten am Wochenende die Hafenstadt Karatschi. In der pakistanischen 15-Millionen-Metropole waren insgesamt 42 Menschen getötet und über 50 verletzt worden. Die Unruhen brachen aus, weil der von Präsident General Pervez Musharraf am 9. März »suspendierte« Chefrichter Iftikhar Chaudhry am Samstag in der Stadt auf einem Meeting vor Amtskollegen sprechen wollte. Doch zu dem Treffen kam es wegen der Zusammenstöße nicht. Am Vorabend waren rund 800 politische Aktivisten festgenommen worden, weil die Behörden Unruhen befürchteten.

Am Montag legte ein landesweiter Streik das öffentliche Leben lahm. Nahezu die gesamte Justiz protestiert seit Wochen, unterstützt von der politischen und religiösen Opposition, gegen Musharrafs willkürliche Entscheidung, Chaudhry aus dem Amt zu jagen. Sie wirft dem General vor, die Verfassung verletzt und seine Doppelfunktion als Staatsoberhaupt und Militärchef mißbraucht zu haben. An Chaudhrys Stelle amtiert gegenwärtig als dienstältester Chef des Höchsten Gerichtshofes Rana Bhagwandas, der der hinduistischen Minderheit angehört. Seine Einsetzung stieß auf energischen Widerstand fundamentalistischer islamischer Gruppen.

Es wird spekuliert, daß der Staatspräsident in Uniform die schwere politische Krise absichtlich inszeniert haben könnte, um eventuell das Kriegsrecht auszurufen und damit die für Ende des Jahres angekündigten Parlaments-, Provinz- und Präsidentschaftswahlen zu verzögern. Jedenfalls gelang es ihm bislang nicht, die aufmüpfige »juristische Bruderschaft« zum Schweigen oder zum Nachgeben zu zwingen. 14 Richter haben bislang ihr Amt niedergelegt. Die Anhörung im Fall von Chefrichter ­Iftikhar Chaudhry, dem Musharraf Amtsmißbrauch vorwirft, mußte am Montag ausfallen, weil einer der Richter des Höchsten Gerichts sich weigerte, weiterhin an dem Verfahren teilzunehmen. Für ihn sollte am Montag Ersatz gefunden werden. In das Bild paßt, obwohl noch keine Details bekannt wurden, die Ermordung des hohen Justizbeamten Syed Hamid Raza am Montag in seiner Wohnung in Islamabad.

Am Wochenende hatten 15000 Polizisten in Karatschi Mühe, einer immer größer werdenden gewaltbereiten Menschenmenge mit Tränengas und Schlagstöcken Herr zu werden. Am Sonntag war befohlen worden, ohne Warnung auf Randalierer zu schießen. Ein Mob hatte Autos angezündet, Geschäfte geplündert, Straßen blockiert. Rivalisierende Gruppen attackierten sich. Es gab erste Anzeichen dafür, daß die Zusammenstöße einen ethnischen Akzent bekommen, was für den »Schmelztiegel« Karatschi verheerende Folgen haben könnte. Paschtu und Urdu sprechende Gruppen versuchten angeblich, das zeitweilige Chaos zur Begleichung offener Rechnungen zu nutzen.

* Aus: junge Welt, 15. Mai 2007


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