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Terror gegen Verbündete

Wie Washington die Souveränität eines Partnerlandes respektiert: Die USA bombardieren regelmäßig den Nordwesten Pakistans

Von Knut Mellenthin *

Immer wieder greifen die US-Armee oder der Geheimdienst CIA Dörfer im Nordwesten Pakistans mit Raketen eines unbemannten Flugzeugs (Drohne) an. Die jüngste Attacke am Donnerstag war der zwölfte Militärschlag dieser Art in den vergangenen zwei Monaten; außerdem gab es eine Bodenoperation. Nachdem Regierung und Parlament Pakistans gegen die Verletzung der Souveränität ihres Landes mehrfach protestiert und die Angriffe als kontraproduktiv verurteilt hatten, war spekuliert worden, daß die USA diese Militäraktionen einstellen würden. Eine Reihe von US-amerikanischen Politikern und Militärs war nach Islamabad geeilt, um dort öffentlich zu versprechen, daß man selbstverständlich die Souveränität und territoriale Integrität Pakistans respektieren werde. Aber daß diese Begriffe je nach Interessenlage unterschiedlich ausgelegt werden, weiß man spätestens seit der völlig unterschiedlichen Behandlung Serbiens (Kosovo) einerseits, Südossetiens und Abchasiens andererseits. Insgesamt hat es in diesem Jahr bereits mehr als 20 solcher Angriffe gegeben. 2007 waren es lediglich drei. Die USA haben diese Aktionen drastisch gesteigert, seit ihr Günstling, der als Präsident regierende Militärdiktator Pervez Musharraf, nicht mehr an der Macht ist. Nach UN-Berichten sind mittlerweile mehr als 190000 Menschen auf der Flucht.

Im Folgenden eine Zusammenstellung von US-Angriffen der vergangenen zwei Monate.
  • 20. August: Vermutlich von einer Drohne abgefeuerte Raketen zerstören das Haus eines Stammesältesten in Sari Nur in Südwasiristan, einer Region an der Grenze zu Afghanistan. Sechs Menschen werden getötet, drei verletzt.
  • 30. August: Raketenangriff durch eine Drohne oder ein Kampfflugzeug auf ein Haus im Gebiet von Korsai in Südwasiristan. Nach lokalen Berichten wurden vier Menschen getötet und zwei verletzt. Unter den Toten sollen zwei Kanadier arabischer Abstammung gewesen sein.
  • 3. September: Erste bekannt gewordene Aktion am Boden durch Soldaten einer US-Spezialeinheit, die mit Hubschraubern eingeflogen wurden. Die Angreifer stürmten drei Häuser, schossen auf Flüchtende und richteten ein Massaker an. Die pakistanische Presse sprach von 20 oder 21 Toten, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Allein in einem der Häuser wurden zehn Menschen ermordet, darunter drei Kinder und zwei Frauen. Ziel des Angriffs war ein kleines Dorf in der Nähe von Angur Adda – das Massaker wird jetzt meist mit diesem Namen in Verbindung gebracht – in Südwasiristan. Sprecher der US-Regierung verteidigten die Ermordung der Frauen mit der Behauptung, sie hätten »die Al-Qaida-Kämpfer unterstützt«. Den Grund für die Tötung der Kinder ließen sie offen. In erster Linie war es dieses Blutbad, das dazu führte, daß zahlreiche pakistanische Militärs und Politiker erklärten, man werde sich künftig gegen alle Angriffe verteidigen. Die US-Presse berichtete, daß Präsident George W. Bush schon im Juli einen Befehl unterzeichnet hatte, mit dem erstmals solche Aktionen freigegeben wurden.
  • 4. September: Raketenangriff einer Predator-Drohne auf ein Haus im Dorf Achar Khel in Nordwasiristan. Sechs Menschen werden getötet, darunter angeblich vier örtliche Stammeskrieger und zwei Männer arabischer Herkunft. Diese werden in der US-Propaganda automatisch mit der Phantomgruppe »Al-Qaida« gleichgesetzt. Tatsächlich haben sich aber infolge des von den USA finanzierten und gesteuerten Dschihad gegen die Sowjettruppen in Afghanistan schon vor vielen Jahren zahlreiche ausländische Mudschaheddin im pakistanischen Grenzgebiet niedergelassen, dort geheiratet und Familien gegründet.
  • 5. September: Raketenangriff einer Drohne auf zwei Häuser im Dorf Garwek in Nordwasiristan. Nach lokalen Angaben sterben sieben Männer, drei Kinder und zwei Frauen.
  • 8. September: Zwei Predator-Drohnen schießen sieben Raketen auf ein kleines Dorf in der Nähe von Miranschah in Nordwasiristan ab. 25 Menschen, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder, werden getötet. Es soll sich um Familienangehörige von Jalaluddin Haqqani gehandelt haben, der nach US-Ansicht ein wichtiger Taliban-Kommandeur in Afghanistan ist.
  • 12. September: Ein weiterer Drohnen-Angriff in der Umgebung von Miranschah. Nach örtlichen Angaben werden in dem grenznahen Dorf Tolkhel 14 Menschen getötet und mindestens zwölf weitere verletzt. Angriffsziel soll ein ehemaliges Schulgebäude gewesen sein, in dem Kämpfer der »pakistanischen Taliban« mit ihren Familienangehörigen gelebt hatten.
  • 17. September: Drohnen-Angriff mit vier Raketen auf das Dorf Baghar Schina in Südwasiristan. Nach örtlichen Angaben kommen sieben Menschen ums Leben, mindestens drei weitere werden verletzt. Die US-Regierung behauptet, das Ziel sei eine »Munitionsfabrik der Taliban« gewesen. Wenige Stunden vor dem Angriff hatte US-Generalstabschef Michael Mullen in Islamabad versichert, man respektiere die Souveränität Pakistans.
  • 30. September: Raketen-Angriff einer Drohne auf ein Haus in der Nähe des Ortes Mir Ali in Nordwasiristan. Nach örtlichen Angaben werden mindestens sechs Menschen getötet. Als Angriffsgrund wird vermutet, daß Stammeskrieger zuvor Schüsse auf die Drohne abgegeben hatten, die schon seit Tagen in der Gegend kreiste.
  • 3. Oktober: Drohnen-Angriff auf ein Haus in Mohammed Khel in Nordwasiristan. Einschließlich der Schwerverletzten, die später im Krankenhaus sterben, werden 24 Menschen getötet.
  • 9. Oktober: Angriff mit zwei Drohnen auf ein Haus im Dorf Ghundai in Nordwasiristan. Nach örtlichen Angaben sterben neun Menschen, von denen fünf als »Zivilisten« bezeichnet werden. Das angegriffene Haus gehörte einem Mann, der in Verbindung zu einer regierungstreuen Stammesmiliz stehen soll. Drei getötete Kinder und zwei Frauen sollen Angehörige dieses Mannes gewesen sein.
  • 11. Oktober: Drohnen-Angriff auf ein Haus in der Umgebung von Miranschah in Nordwasiristan. Fünf Menschen werden getötet, zwei verletzt. Nach Angaben eines Behördensprechers gehörte das Haus einem Mitglied der Taliban.
  • 16. Oktober: Eine Drohne schießt mehrere Raketen auf zwei Häuser im Dorf Sam in Südwasiristan ab. Nach ersten Angaben sterben sechs Menschen, fünf weitere werden verletzt.
* Aus: junge Welt, 18. Oktober 2008

Hintergrund: Neuer US-Stützpunkt in Pakistan? **

Ein lange verzögerter Plan der US-Regierung soll »in einigen Wochen« endlich anlaufen, verkündete Generalstabschef Michael Mullen (Foto) im September gegenüber der Los Angeles Times. Es geht um die Entsendung von »mehreren Dutzend« Ausbildungsoffizieren, die pakistanische Streitkräfte, vor allem Sondereinheiten, in der Aufstandsbekämpfung trainieren sollen. Washington hatte schon seit Monaten auf dieses Projekt gedrängt. Die pakistanische Ablehnung war vermutlich vor allem mit der Rücksicht auf die Landesbevölkerung begründet, die es in ihrer großen Mehrheit ablehnt, in die Aggressionskriege der USA und der NATO hineingezogen zu werden. Auch war das Verlangen Washingtons, ein Übungsgelände ausgerechnet in der Nähe Peschawars, der Hauptstadt der unruhigen Stammesgebiete, zur Verfügung zu stellen, ein Stein des Anstoßes.

Mullen drückte es diplomatisch so aus: Der Plan sei nicht zu verwirklichen gewesen, weil die Pakistaner die Anlage bei Peschawar nicht schnell genug hätten bauen können. Deshalb habe man sich darauf geeinigt, einen Stützpunkt nördlich der Hauptstadt Islamabad als Trainingszentrum zu nutzen.

Nach Informationen von Asia Times online vom 11. Oktober soll das Übungsgelände bei der Kleinstadt Hasanpur liegen. Sie ist sechs Kilometer von Tarbella entfernt, wo sich ein Hauptquartier der pakistanischen Special Operation Task Force befindet. Asia Times zufolge lassen die örtlichen Baumaßnahmen allerdings darauf schließen, daß in Hasanpur mehr als nur ein Ausbildungszentrum geplant ist. So sei die Landebahn von Hasanpur in den letzten Wochen zur »Kriegsbereitschaft« erweitert und hergerichtet worden. Neue Hangars für Militärflugzeuge, unterirdische Bunker und Tunnel seien gebaut worden. Nach der Ankunft eines amerikanischen Vorauskommandos sei auch britisches Militärpersonal eingetroffen und habe die Verwaltung der Militäranlagen übernommen. Außerdem seien im September 300 US-Amerikaner nach Tarbella gekommen, wo Mitte der 1990er Jahre schon einmal eine CIA-Einheit stationiert gewesen sei.

(km)

** Aus: junge Welt, 18. Oktober 2008




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