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Vorwand Terrorismusverdacht

Pakistan: Tausende Menschen von Militär verschleppt. Viele von ihnen verschwinden für immer

Von Ashfaq Yusufzai, Peshawar (IPS)

Wegen seiner angeblichen Beteiligung an einem versuchten Mordanschlag auf den damaligen pakistanischen Staatspräsidenten General Pervez ­Musharraf 2003 wurde Adnan Khan vor zwei Jahren gemeinsam mit sieben Mitangeklagten unter zweifelhaften Umständen von einem Militärgericht verurteilt.

»Mein Bruder ist kein Terrorist. Er wurde 2004 von Sicherheitskräften festgenommen, die behaupteten, er stehe in Verbindung mit dem Terrornetzwerk Al-Qaida und den Taliban«, sagt Abdul Qadoos, der in Khyber, einem der sieben Verwaltungsbezirke der pakistanischen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (­FATA), lebt.

Erst nach Jahren gelang es den Verwandten herauszufinden, wo Khan festgenommen wurde. »Im Februar 2005 reichten wir eine Petition beim Hohen Gericht in Peschawar ein. Die Sicherheitskräfte stritten jedoch ab, daß er in ihrem Gewahrsam war. Der Fall wurde dann zu den Akten gelegt.«

Nachdem die Familie des 20jährigen im Juni jenes Jahres eine weitere Petition eingereicht habe, sei ihr bekannt geworden, daß Adnan vor ein Kriegsgericht gestellt worden sei, berichtet der Bruder. »In solchen Fällen gibt es keine Gerechtigkeit. Meinem Mandanten ist vor dem Militärgericht kein fairer Prozeß gemacht worden«, erklärt Khans Strafverteidiger Habibur Rehman Afridi.

Andere Familien haben nie wieder etwas von ihren insgesamt 8000 vermißten Angehörigen gehört. Nach Angaben des Juristen Arif Jan, der 60 Fälle von Verschleppungen untersucht, wurden in Pakistan kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington zahlreiche Menschen von den Geheimdiensten festgenommen. Die meisten stammten aus den FATA, der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa sowie aus Belutschistan und Sindh. »In einem Großteil der Fälle stritten die Geheimdienste ab, daß sie Vermißte in ihrem Gewahrsam hatten. Amina Janjuas Ehemann Masood wird seit dem 30. Juli 2005 vermißt. Sie gründete daraufhin die Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte in Pakistan (DHRP), die eine Kampagne gegen Verschleppungen vorantreibt. »Wir haben bisher 4000 Fälle von Personen, die wir wiederfinden wollen, vor Gericht gebracht«, erläutert die Mutter von drei Kindern. 1700 Vermißte stammen demnach aus Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und den FATA. »Mein Mann hatte niemals etwas mit Al-Qaida und den Taliban zu tun«, betont sie.

Die Aktivistin geht davon aus, daß viele Verschleppte in von den USA verwalteten Gefangenenlagern in Bagram oder Herat im Westen des Nachbarlandes Afghanistan festgehalten werden. Laut der Pakistanischen Menschenrechtskommission sind die meisten illegal Festgenommenen nationalistischen Parteien in Sindh und in Belutschistan zuzuordnen. Es handele sich um überzeugte politische Gegner der ehemaligen Militärregierung von Musharraf.

Afia Siddiqui, der die USA Verbindungen zu Al-Qaida vorwerfen, wurde 2003 verschleppt. Später fand man heraus, daß auch sie von den US-Streitkräften festgehalten wurde. Das Oberste Gericht Pakistans, das Hohe Gericht von Lahore und das Hohe Gericht in Peshawar haben bis jetzt erreicht, daß etwa 2000 Menschen aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte entlassen wurden. Es gibt keine Hinweise, ob die weiterhin Vermißten noch am Leben sind. Im September 2007 erklärte die Menschenrechtsorganisation »Amnesty International«, daß pakistanische Geheimdienstbeamte Menschen entführten, obwohl es für deren Verbindungen zu Al-Qaida kaum oder gar keine Beweise gebe. Sie würden dann an die USA »verkauft«.

Javid Iqbal, der Vorsitzende der von der Regierung eingesetzten Kommission, die sich mit Verschwundenen befaßt, bezifferte die Gesamtzahl der in Pakistan vermißten Personen mit derzeit 460. Amina Janjua hält diese Angabe aber für entschieden zu niedrig.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. September 2013


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