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Die Waffenschmiede der Paschtunen

Die autonomen Stammesgebiete Pakistans sind für Ausländer meist unzugänglich, obwohl Gastfreundschaft zu den traditionellen Tugenden ihrer Bewohner zählt ...

Von Fabian Lambeck *

Auf den ersten Blick wirkt das Städtchen Darra wie ein verschlafenes Nest. Verloren und vergessen vom Rest der Welt, irgendwo in den Ausläufern des Hindukusch. Ein paar mobile Obst- und Gemüsestände, die obligatorischen Teestuben in einstöckigen Zweckbauten und träge wirkende Händler, die vor ihren bescheidenen Geschäften auf Kundschaft warten.

Doch die scheinbare Idylle trügt. Ein bärtiger Alter, der die Straße überquert, müht sich nicht etwa mit Einkaufstüten ab, sondern trägt ein schweres Maschinengewehr zu seinem Geländewagen. Dicht gefolgt von einem Jungen, der mehrere großkalibrige Schrotflinten auf seiner Schulter trägt. »Willkommen in Darra!«, bemerkt unser Begleiter Hussein lakonisch.

Langsam fahren wir die Hauptstraße hinunter, und immer öfter sehen wir Männer, die mit irgendeiner Feuerwaffe unterwegs sind. Auch Schüsse sind zu hören. Doch hier tobt kein blutiger Bürgerkrieg, im Gegenteil, der Krach ist Ausdruck florierender Geschäfte. Denn die Einwohner von Darra sind in ganz Pakistan berühmt für ihre Kunstfertigkeit auf einem ganz speziellen Gebiet – der Herstellung von Schusswaffen.

Angehörige paschtunischer Stämme aus der ganzen Nordwestprovinz pilgern in die kleine Stadt an der afghanischen Grenze, um sich mit Waffen jedweden Kalibers einzudecken. Innerhalb der selbstverwalteten Stammesgebiete ist den Paschtunen das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit gestattet. Und von diesem Privileg machen die stolzen Krieger ausgiebig Gebrauch. Um genau zu sein: Große Teile der Nordwestprovinz Pakistans unterstehen nicht der Jurisdiktion der Zentralregierung in Islamabad. Schon die britischen Kolonialherren gewährten den Paschtunen weit gehende Autonomie – im Gegenzug für die Garantie freien Verkehrs auf den Hauptstraßen. Nach der Gründung Pakistans im Jahre 1947 war an eine Rücknahme dieser Privilegien nicht mehr zu denken. Darra Adam Khel, so der offizielle Name der Stadt, wurde Verwaltungszentrum des Stammesgebietes Orakzair.

Ausländern ebenso wie Pakistanern aus anderen Provinzen ist der Besuch des Gebietes normalerweise untersagt. Uns gelingt es mit Hilfe einiger Schutzmaßnahmen, landestypische Kleidung und Bakschisch-Zahlungen eingeschlossen, das Verbot zu umgehen. Schwarze Gaze vor den Fenstern des Wagens bewahrt uns vor den Blicken pakistanischer Polizisten, die die Zufahrtswege überwachen. Innerhalb der Stammesgebiete unterliegen Verwaltung und Rechtsprechung den jeweiligen Stammesoberhäuptern. Die Bewohner von Darra sind Angehörige des Stammes der Afridi, Adam Khel heißt ein Clan des Stammes. Man duldet hier keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Ein strenger Moral- und Gesetzeskodex, Paschtunwali genannt, regelt das Miteinander seit Jahrhunderten.

»Paschtunwali ruht auf vier Grundpfeilern: Gastfreundschaft, Rache, Vergebung und Ehre. Meistens geht es bei den Streitigkeiten zwischen einzelnen Sippen um ›zan‹, ›zar‹ und ›zamin‹, Frauen, Gold und Erde«, erklärt uns Hus-sein beim Tee in einer kleinen Lehmhütte im Herzen der Stadt, während um uns ein akustisches Inferno tobt, verursacht von den schießwütigen Kunden benachbarter Waffenhändler.

Schon der antike Geschichtsschreiber Herodot wusste von der Kampfeslust der Paktianer. Den britischen Kolonialtruppen brachten sie empfindliche Verluste bei, auch die sowjetische Armee musste im Krieg gegen paschtunische Milizen in Afghanistan einen hohen Blutzoll entrichten. Die Häuser der Paschtunen wirken wie Festungen. Hohe, mit rotem Lehm verputzte Mauern umgeben die Höfe, schwere Stahltore sichern die Zugänge gegen ungebetene Gäste. Im Ernstfall müssten die pakistanischen Streitkräfte jedes einzelne Anwesen belagern und stürmen. Eingedenk der Tatsache, dass die Besitzer der Höfe bis an die Zähne bewaffnet sind, ist die Zurückhaltung der pakistanischen Regierung verständlich. Und so wurde die Provinz im Laufe der Zeit zum Refugium für islamische Gotteskrieger aus dem benachbarten Afghanistan, die Verschwiegenheit und Gastfreundschaft der Paschtunen zu schätzen wissen.

Die Anwesenheit der Islamisten in den Stammesgebieten – man vermutet auch Osama Bin Laden unter ihnen – sorgt mittlerweile für Missstimmung auf diplomatischer Ebene. USA-Präsident Bush drohte den Pakistanern bereits mit Aktionen seiner Streitkräfte, sollten entschlossene Maßnahmen zur Bekämpfung der Taliban-Kämpfer weiterhin unterbleiben.

Kein Wunder also, dass die Paschtunen über eine eigene Waffenproduktion verfügen. Die Handwerker von Darra bringen es darin zu wahrer Meisterschaft. Das Angebot der Büchsenmacher ist von erstaunlicher Vielfalt, wie ein Besuch in einem der Waffenläden beweist. Von der originalgetreuen Kopie einer chinesischen Pistole bis zum täuschend echten Nachbau eines USamerikanischen Sturmgewehrs – dem zahlungskräftigen Kunden steht eine reichhaltige Auswahl an Tötungsinstrumenten zur Verfügung.

Normalerweise benötigt man für die Herstellung solcher Waffen moderne Industriebetriebe. In den Ausläufern des Hindukusch gibt es eine derartige industrielle Infrastruktur jedoch nicht. Nachdem Hus-sein die örtlichen Autoritäten mit einem kleinen Geldbetrag gnädig gestimmt hatte, gewährte man uns Einblick ins Allerheiligste: die Werkstätten der Waffenbauer von Darra!

Ein enger Hof unter freiem Himmel, umgeben von zahlreichen offenen Werkstätten – das ist alles. Mehr benötigen die Paschtunen nicht, um technologische Spitzenleistungen zu vollbringen. Da wird gebohrt, gefeilt und gesägt, bis aus Holz und Stahl tödliche Präzisionswaffen entstanden sind. Die jungen Mitglieder des Afridi-Stammes sind oft mit einfachen Aufgaben betraut, sie bedienen die wenigen, oft schon recht betagten Maschinen. Den älteren Handwerkern obliegen die Feinarbeiten. Ein Herr fortgeschrittenen Alters ist gerade damit beschäftigt, Gewehrkolben per Hand zu schleifen. Man sieht ihm Hingabe und Begeisterung an. Fast zärtlich führen seine Hände das Schleifpapier über den Schaft einer vermeintlichen Kalaschnikow. Auf die Frage, wie viele Schäfte er denn im Laufe seines Lebens schon bearbeitet habe, antwortet der Mann verschmitzt: »Ich nehme mir jeden Morgen vor, endlich mit dem Zählen zu beginnen, doch am Abend habe ich es wieder vergessen.«

Doch nicht alle hier begegnen uns mit Wohlwollen. Viele beäugen uns misstrauisch oder ignorieren uns einfach. Etliche Stammesgenossen kämpfen schließlich in Afghanistan gegen die NATOSoldaten der ISAF-Schutztruppe. Ungezählte haben in diesen Kämpfen ihr Leben gelassen. Wir könnten immerhin auch Amerikaner sein, die sich irgendwie in den Besitz eines deutschen Passes gebracht haben. Doch der mit einem Sturmgewehr bewaffnete Stammespolizist und ein unauffälliger Herr in Schwarz, der uns in diskretem Abstand folgt, verhindern Schlimmeres.

Wir werden in einen dunklen Raum geführt, in dem ein bärtiger Mittvierziger den Lauf eines großkalibrigen Gewehrs bearbeitet – mit einer Feile! An der Rückwand seiner primitiven Werkstatt lehnen bereits ein paar fertige Exemplare. Jetzt wird auch sichtbar, was der gute Mann dort in kleinen Stückzahlen anfertigt: Pump-Guns, das Lieblingswerkzeug US-amerikanischer Actionfilm- Darsteller. Maschinen kommen nur selten zum Einsatz bei der Herstellung der Waffen. Lediglich zum Drehen der Läufe, zum Stanzen der Magazine und für diverse Bohrungen benutzt man die altersschwache Technik.

Und wie ist es um die Treffgenauigkeit dieser unter abenteuerlichen Umständen fabrizierten Waffen bestellt? »Am besten, ihr schießt einfach selbst, dann werdet ihr schon sehen, ob unsere Gewehre was taugen«, schlägt der praktisch denkende Polizist vor. Die Wahl der Waffen bleibt uns überlassen. Wir entscheiden uns für eine Kalaschnikow aus paschtunischer Produktion. Als taugliches Ziel wird ein markant geformter Stein auf einem nahen Berg auserkoren. Da wir für die Munition bezahlen müssen, werden schnell noch die Patronen gewechselt. »Die Geschosse aus unser Produktion sind weniger zuverlässig, oft explodieren sie im Lauf des Gewehrs«, gibt der Polizist zu. »Darum verwenden wir im Ernstfall russische Munition.« Die Frage, welcher Art diese Ernstfälle seien, verkneife ich mir. Im Laufe des Tages begegnete uns bereits ein Paschtune, der ein US-amerikanisches Militärkäppi trug – offensichtlich ein Souvenir aus dem benachbarten Afghanistan.

Das Probeschießen überstehen wir jedenfalls unbeschadet, die Waffe ebenso. Und so nutzen wir die Gunst der Stunde, um uns wort- und gestenreich von unseren Gastgebern zu verabschieden. Der sichtlich bekiffte Chauffeur wartet bereits ungeduldig auf seine Fahrgäste. Kaum dass wir im Fond seines Wagens Platz genommen haben, gibt er Gas, und im Staub, den die Reifen aufwirbeln, entschwindet Darra, die Waffenschmiede der Paschtunen, langsam unseren Blicken.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Oktober 2006


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