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Verwirrende Töne

Vor Regierungsbildung in Islamabad: Unklarheiten über die Fortsetzung des pakistanisch-indischen Friedensdialogs

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In Indien ist man zumindest verwundert über die jüngsten Töne aus Islamabad. So sehr sich Neu-Delhi einen Nachbarn mit stabilen demokratischen Strukturen wünscht, so sehr ist es aber auch an einem berechenbaren Partner für die Gestaltung des bilateralen Verhältnisses interessiert. Auf Alleinherrscher General Pervez Musharraf traf das weitgehend zu. Auch wenn Indien mit dessen außenpolitischem Kurs oft nicht einverstanden war, blieb er berechenbar – und das zu einem gewissen Grad auch bei der Behandlung des diffizilsten Problems zwischen den beiden Nachbarn, dem Kaschmir-Konflikt.

Jetzt aber nimmt in Islamabad eine Koalitionsregierung aus der Pakistanischen Volkspartei und der Pakistanischen Muslimliga von Nawaz Sharif Gestalt an. Am Montag (17. März) soll endlich, fast vier Wochen nach den Wahlen, die konstituierende Sitzung des Parlaments stattfinden. Noch steht nicht fest, wer der neue Premier wird. Klar ist nur, daß ihn die PPP stellt. Deren Chef Asif Ali Zardari hat sich selbst als Kandidat ins Gespräch gebracht. Doch er muß erst bei Nachwahlen kandidieren und einen Sitz im Parlament gewinnen. In der Zwischenzeit soll ein Interimspremier die Regierungsgeschäfte führen.

Das läßt sich nicht gerade als idealer Start für einen demokratischen Neuanfang bezeichnen, zumal die Lösung handfester Probleme ansteht: die ausufernde Gewalt eindämmen – seit Januar wurden rund 600 Menschen durch Sprengstoffanschläge und andere Gewaltakte getötet – und sich den miserablen Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit widmen. Zirka 80 Prozent der Pakistaner müssen mit einem Tagesverdienst von höchstens einem Dollar auskommen. Von den ökonomischen Wachstumsraten um sieben Prozent und den neun Milliarden Dollar Investitionen und Überweisungen der Auslandspakistaner profitieren Mittelklasse und Oberschicht, nicht die Arbeitslosen und Armen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei knapp 64 Jahren, die Rate der Schreib- und Lesekundigen unter den 164 Millionen Einwohnern bei etwa 50 Prozent.

Da wird vom Interimspremier kaum zu erwarten sein, daß er das »heiße Eisen« Kaschmir-Konflikt und insgesamt die Beziehungen zu In­dien anpackt. Ohnehin scheint keine Klarheit in Islamabad zu bestehen, wie es mit dem nahezu eingeschlafenen pakistanisch-indischen Friedensdialog weitergehen soll. Zardari selbst trug maßgeblich zu Verwirrung und Unsicherheit bei. Erst äußerte er gegenüber dem Fernsehsender CNN-IBN, das Kaschmir-Problem dürfe nicht die bilaterale Zusammenarbeit auf anderen Gebieten blockieren. Damit bestätigte er indirekt Neu-Delhis Position. Als er deswegen schwer in die Kritik pakistanischer Medien geriet, ruderte Zardari flugs zurück und erklärte, er wolle die Bevölkerung Kaschmirs nicht betrügen; so wie Indien dieses Gebiet als »integralen Teil« seines Territoriums beansprucht, besteht auch Pakistan darauf als »integralem Teil«. Das hatte selbst Musharraf in der hitzigsten Phase des Dialogs mit Indien nie behauptet.

* Aus: junge Welt, 14. März 2008


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