Pakistan im Wahlchaos
Auch mit neuem Präsidenten vor einer ungewissen Zukunft
Von Hilmar König, Delhi *
Am Sonnabend (6. September) wählen die Abgeordneten des Senats, der Nationalversammlung und der Parlamente der vier Provinzen Pakistans ein neues Staatsoberhaupt. Die Begleitumstände dieses Votums könnten chaotischer kaum sein.
Wenige Tage nachdem Pakistans Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani und hohe Pentagon-
Offiziere auf einem US-Flugzeugträger im Indik Meinungen zum »Kampf gegen den internationalen
Terrorismus« austauschten, überfielen US-amerikanische Soldaten am Mittwoch ein vermutetes
»Taliban-Nest« im Dorf Angur Adda anderthalb Kilometer tief auf pakistanischem Gebiet und töteten
15 Menschen, darunter mindestens sieben Zivilisten. Während das Pentagon eine offizielle
Stellungnahme verweigerte, verurteilten das Militär und das Außenministerium in Islamabad die
völkerrechtswidrige Attacke als »grobe Verletzung der territorialen Integrität Pakistans«. Solche
Aktionen seien »konterproduktiv« und würden mit Sicherheit dem gemeinsamen Kampf gegen
Terrorismus nicht dienlich sein, erklärte der Sprecher des Außenamtes. »Im Gegenteil, sie
unterminieren direkt die Basis der Zusammenarbeit und könnten das Feuer des Hasses und der
Gewalt nur anfachen, das wir zu löschen versuchen. Außerdem ist jeder Angriff auf pakistanisches
Gebiet inakzeptabel und stellt eine grobe Provokation dar.«
Gleichfalls am Mittwoch eröffneten Scharfschützen auf einen Fahrzeugkonvoi des Regierungschefs
in der Nähe des Airports von Islamabad das Feuer. Premier Jusuf Raza Gilani befand sich in keinem
der Autos. Verletzt wurde niemand. Doch ein Taliban-Sprecher bezeichnete den Überfall als
»Revanche« für die pakistanischen Militäroperationen im Grenzgebiet zu Afghanistan und kündigte
weitere Attentatsversuche auf pakistanische Politiker an. Am Wochenbeginn hatte das Militär
allerdings bereits einseitig in der Bajaur-Region seine Aktivitäten gegen Stammesmilizen für die
gesamte Zeit des Fastenmonats Ramadan eingestellt. Ohne Zutun der Streitkräfte forderten
unterdessen Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten um die Vorherrschaft im nordwestlichen
Kurram-Stammesgebiet in den vergangenen zwei Wochen über 400 Todesopfer.
Unangenehme Begleitmusik für die Präsidentenwahl sind auch die erst kürzlich bekannt
gewordenen »Ehrenmorde« in der Provinz Belutschistan. Fünf Frauen und Mädchen waren bereits
im Juli von Stammeskriegern hingerichtet oder lebendig verscharrt worden. Drei von ihnen hatten
sich gegen eine Zwangsheirat gewehrt. Als eine Abgeordnete im Senat den jetzt veröffentlichten
Zeitungsbericht zur Sprache brachte, fiel ihr ein »Volksvertreter« aus Belutschistan schroff ins Wort:
Man solle sich über den Fall nicht aufregen. Das sei eben Stammestradition. Ähnlich reagierte der
amtierende Senatschef, ein Mitglied der regierenden Volkspartei (PPP). Über den Fall und die
Haltung beider Politiker dazu empörten sich nicht nur Frauen- und Menschenrechtsorganisationen.
Die Umstände für die Präsidentenwahl sind also schlecht. Als Favorit unter den drei Bewerbern geht
der PPP-Kovorsitzende Asif Ali Zardari ins Rennen, obwohl dessen mit Korruptionsvorwürfen
belastete Vorgeschichte alles andere als makellos ist. In den letzten Tagen vor der Wahl veranlasste
er die Wiedereinsetzung eines Teils der unter Musharraf geschassten Richter. Doch die
Muslimliga(N), die bis Ende August in der Koalitionsregierung mitarbeitete und dann verärgert über
den Kurs der PPP ausscherte, ließ sich davon nicht beeindrucken. Wie Nawaz Sharif, der
Vorsitzende der Muslimliga(N) erklärte, habe er sein Vertrauen in Zardari verloren. Der werde keines
seiner Versprechen einlösen. Für Skepsis und Unruhe sorgt zudem, dass das Nationale
Antikorruptionsbüro der Regierung schlummernde Fälle gegen Sharif und dessen Bruder Shabaz
(Chefminister der Provinz Punjab) ausgraben lässt.
Am Vorabend der Wahl breitet sich so unter der Bevölkerung die Ansicht aus, man habe Ähnliches
bereits mehrmals in der Vergangenheit erlebt. Überall die bekannten Gesichter in der PPP und der
PML(N), die ihre demokratischen Mandate wegen persönlicher Raffsucht und Inkompetenz verloren,
verspielten oder vom Militär entfernt wurden. Jedenfalls keine rosigen Aussichten, egal wer am
Samstag gewinnt.
* Aus: Neues Deutschland, 5. September 2008
Pakistan bestellt US-Botschafterin ein
Islamabad. Nach dem Tod von 15 Menschen bei einem Angriff internationaler Truppen im Nordwesten Pakistans hat die Regierung in Islamabad die US-Botschafterin einbestellt. Das pakistanische Außenministerium habe gegenüber der US-Diplomatin seinen »sehr starken Protest« zum Ausdruck gebracht, sagte Außenamtssprecher Mohammed Sadiq am Donnerstag (4. September). Nach pakistanischen Angaben töteten internationale Truppen aus Afghanistan am Mittwoch (3. Sept.) im pakistanischen Stammesbezirk Süd-Wasiristan 15 Menschen, darunter Frauen und Kinder. Nach Angaben des Fernsehsenders n-tv haben hochrangige Pentagon-Mitarbeiter den Angriff bestätigt. Sie wollten namentlich aber nicht genannt werden, da das US-Verteidigungsministerium bislang keine offizielle Stellungnahme abgegeben hat. (AFP/jW)
* Aus: junge Welt, 5. September 2008
Siehe zu dem Vorgang auch:
NATO greift in Pakistan an
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