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"Mr. Zehn Prozent" ganz oben

Pakistan: Asif Ali Zardari zum Staatspräsidenten gewählt. Millionen Arme warten auf die "Früchte der Demokratie"

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Es waren schreckliche Donnerschläge, die die Präsidentenwahl am Samstag in Pakistan begleiteten. In Peshawar, der Hauptstadt der Nordwest-Grenzprovinz (NWFP), raste ein mit Sprengstoff beladener Kleinlaster in einen Polizeiposten. Bei der Explosion wurden mindestens 35 Menschen getötet, über 70 erlitten Verletzungen. Ebenfalls in der NWFP kamen am selben Tag im Gebiet Matta bei Gefechten zwischen den Streitkräften und Talibanmilizen 24 Menschen ums Leben. Die meisten waren Zivilisten.

Auf die von Polizei und Militär abgesicherte Präsidentenwahl hatte die Gewalt keine Auswirkungen. Hier lief alles wie geplant ab. Asif Ali Zardari wurde zum 14. Staatsoberhaupt Pakistans gewählt. Der 53 Jahre alte Bhutto-Witwer, Vater dreier Kinder, tritt die Nachfolge von General a. D. Pervez Musharraf an, der am 18. August zurücktrat und damit einem Amtsenthebungsverfahren zuvorkam. Zardari wurde von den Abgeordneten des Senats, der Nationalversammlung und der Parlamente der vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Nordwest-Grenzprovinz gewählt. 479 Parlamentarier stimmten für ihn. Das waren 69 Prozent. Damit besteht die Chance, daß Zardari seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen »Mr. 10 Prozent«, der wegen dubioser Provisionsgeschäfte bis heute an ihm haftet, gegen »Mr. 69 Prozent« eintauschen kann.

Von vornherein stand angesichts der zahlenmäßigen Stärke der Volkspartei (PPP) in den Parlamenten fest, daß die Gegenkandidaten Said-us-Saman Siddiqui, von der oppositionellen Muslimliga (N) nominiert, und Mushahid Hussain Syed, Generalsekretär der Muslimliga (Q), keine Chance haben werden. Eine PPP-Sprecherin gab sich zuversichtlich, daß unter dem neuen Staatschef »das demokratische und parlamentarische System Pakistans gestärkt wird«. Zardari erlebte nach Benazir Bhuttos Ermordung dank des Rufs seiner Frau einen kometenhaften Aufstieg in der Politik. Über Nacht wurde er wie auch sein Sohn Bilawal Bhutto Zaradri, der gegenwärtig in Oxford studiert, Kovorsitzender der PPP. Nach dem Sieg seiner Partei bei den Parlamenswahlen im Februar schmiedete er mit dem Rivalen Nawaz Sharif von der Muslimliga (N) zunächst eine –inzwischen zerbrochene – Allianz und bewirkte Musharrafs Abgang. Nun hat er den Höhepunkt erreicht, steht aber immer noch im Schatten seiner Gattin: »Benazir Zindabad« schallten am Samstag die Rufe nach seinem Wahlsieg. »Es lebe Benazir«.

Für den Westen ist von ausschlaggebender Bedeutung, ob Pakistan auch unter dem neuen Präsidenten ein Hauptverbündeter im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« bleibt. Zardari, der als Freund der USA gilt, hat daran in den letzten Monaten bei mehreren Anlässen keinen Zweifel gelassen. Allerdings kann er diese Partnerschaft mit Washington nur behutsam pflegen, weil der islamische Klerus und der größte Teil der Bevölkerung dagegen ist.

Innenpolitisch sieht sich das Präsidenten-Premier-Duo mit komplizierten Aufgaben konfrontiert. Die Gewalt hat auch nach dem Abtreten Musharrafs von der politischen Bühne nicht nachgelassen. In den Monaten der Ungewißheit seit Februar sanken die Wirtschaftswachstumsrate, die Investitionsbereitschaft und die Auslandsreserven. Die Rupie erlitt eine Abwertung von 20 Prozent. Inflation und Teuerung nahmen zu. Das Leben der Armen ist noch miserabler geworden. Sie warten auf die versprochenen »Früchte der Demokratie«.

* Aus: junge Welt, 8. September 2008


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