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Wachablösung in Pakistan

Schwere Niederlage für den regierenden Bhutto-Klan

Von Hilmar König *

Nawaz Sharifs Muslimliga machte das Rennen bei den Parlamentswahlen in Pakistan. Sharif will die Beziehungen zu den USA überprüfen. »Saubermann« Imran Khan kam auf Platz zwei. Der bisher regierende Bhutto-Klan erlitt eine schwere Niederlage.

Trotz Verzögerungen, Einschüchterung, Gewalt und Temperaturen über 40 Grad beteiligten sich die Pakistaner am Sonnabend in Massen an den Wahlen zum Parlament und zu den vier Provinzversammlungen. Wahlkommissar Fakharuddin Ebrahim verkündete, rund 60 Prozent der 86 Millionen Stimmberechtigten hätten ihr Votum abgegeben, 2008 waren es nur 44 Prozent. Zwar gab es allein am Wahltag laut pakistanischer Zeitung »The News« 50 Tote und Dutzende Verletzte, doch Ebrahim sprach von »freien und fairen Wahlen« - unter schwierigen Bedingungen.

Die Pakistanische Muslimliga - Nawaz (PML-N) wurde ihrer Favoritenrolle gerecht. Am Sonntagnachmittag waren noch nicht alle Stimmen ausgezählt, aber die Partei des früheren Premiers Nawaz Sharif lag mit 123 Parlamentssitzen bereits weit in Front. Sharif hatte das Abschneiden seiner Partei schon in der Nacht als »Sieg des kleinen Mannes und der armen Leute« bezeichnet. Freilich stand da noch nicht fest, ob es für die PML-N zur absoluten Mehrheit und zur Alleinherrschaft reichen wird. Falls eine Koalitionsregierung erforderlich wird, erwartet man Angebote Sharifs, der zu den religiös-konservativen Rechten gezählt wird, an kleinere religiös orientierte Parteien. Sharif hatte Verhandlungen mit Rebellen, die mit den Taliban in den nordwestlichen Stammesgebieten kollaborieren, im Wahlkampf nicht ausgeschlossen. Allerdings äußerte er in seiner ersten Ansprache den Wunsch nach Kooperation mit allen Parteien, damit die »Nation den Fluch der Stromabschaltungen, der Inflation und der Arbeitslosigkeit los werden kann«.

Die ökonomische Lage hatte Sharif während seiner Wahlkampagne als »Schlamassel« bezeichnet. Der 63-jährige Industrielle will die Wirtschaftsprobleme durch mehr Marktwirtschaft, Privatisierungen, Kürzung der Staatsausgaben und stärkere Dollarspritzen des IWF angehen. Die Losung »Starke Wirtschaft - Starkes Pakistan« fand offensichtlich Anklang in der Wählerschaft.

Nawaz Sharif forderte das Militär auf, sich aus der Politik herauszuhalten. Die Beziehungen zu den USA will er revidieren. Besonders kritisierte er deren tödliche Drohnenangriffe auf pakistanisches Gebiet. Aufmerksamkeit erregte seine Ankündigung, sich für gute Beziehungen zu Indien einzusetzen, was Außenminister Salman Khurshid in Delhi ausdrücklich begrüßte. Als erster ausländischer Politiker beglückwünschte er Sharif noch vor Bekanntgabe des offiziellen Wahlresultats.

Als »zweiter Sieger«, wenn auch abgeschlagen, ging die Pakistanische Gerechtigkeitsbewegung (PTI) des Kricketstars Imran Khan durchs Ziel. Am Sonntagnachmittag wurden ihr vorerst 31 Mandate zugesprochen. Die PTI, die für ein »neues Pakistan« ohne Korruption und ohne Einmischung durch Washington antrat, drängte sich erstmals als »dritte Kraft« zwischen die traditionellen Rivalen, die PML-N und die Pakistanische Volkspartei (PPP). Vor allem vielen jugendlichen Wählern gilt Khan als Hoffnungsträger. Sie sehen in ihm einen Saubermann unter den Politikern. Seine Beteiligung an einer Koalitionsregierung ist unwahrscheinlich.

Die Volkspartei (PPP) als Aushängeschild der Bhutto-Zardari-Familie muss eine ihrer bittersten Niederlagen hinnehmen. Für sie waren am Sonntagmittag erst 26 Sitze im Parlament ausgezählt. »The News« fällte ein vernichtendes Urteil: Die PPP habe »Pakistan durch Korruption und schlechtes Regieren ruiniert.« Ihre Hausmacht hat die Partei jedoch in der Provinz Sindh. Dort wird sie auch die Regierung stellen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 13. Mai 2013


Armee regiert mit

Nach der Wahlniederlage der pakistanischen Regierungskoalition besteht die Führung der Streitkräfte auf »Krieg gegen den Terror«

Von Knut Mellenthin **


Pakistan steht vor einem Regierungswechsel. Aus der Parlamentswahl am Sonnabend ging erwartungsgemäß die von Nawaz Sharif geführte Muslim-Liga (PML-N) als klare Siegerin hervor. Das Endergebnis stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Vermutlich wird es zu einer absoluten Mehrheit für die nationalistisch-konservative Partei nicht reichen, so daß Sharif auf Koalitionspartner angewiesen sein wird. Es wäre die dritte Amtszeit des 63jährigen, der schon von November 1990 bis Juli 1993 und von Februar 1997 bis Oktober 1999 Premierminister war. Seine erste Amtszeit endete mit der Entlassung durch den Staatspräsidenten. Er konnte diese zwar erfolgreich vorm Obersten Gerichtshof anfechten, aber die Armeeführung zwang daraufhin beide Politiker zum Rücktritt. 1999 wurde Sharif durch einen von General Pervez Musharraf geführten unblutigen Putsch gestürzt und mußte ins Exil gehen, das er in Saudi-Arabien und Großbritannien verbrachte.

Die jetzt bevorstehende Rückkehr Sharifs an die Macht ist keine Überraschung. Sie folgt einer langjährigen Tradition des regelmäßigen Rollenwechsels zwischen den beiden Hauptparteien, der Muslimliga und der Volkspartei (PPP), die im allgemeinen Bewußtsein immer noch mit der 2007 ermordeten Benazir Bhutto und ihrem Vater Zulfikar Ali Bhutto verbunden ist, der 1979 nach einem Militärputsch hingerichtet wurde. Die ehemals sozialdemokratisch auftretende Partei gleicht inzwischen, vor allem hinsichtlich der Korruptheit ihrer Politiker, weitgehend der PML-N. Wenn die pakistanische Bevölkerung von der einen Partei genug hat, übernimmt wieder die andere die Regierungsführung. 1997, als Benazir Bhutto wegen ihrer gemeinsam mit Ehemann Asif Ali Zardari betriebenen illegalen Bereicherung abgesetzt wurde, sackte die PPP bei den Neuwahlen auf nur noch 18 Abgeordnete ab, während die PML-N mit 137 Mandaten triumphierte. Fünf Jahre später konnten die Nationalkonservativen nur noch 19 Abgeordnete ins Parlament bringen.

Möglicherweise wird die PPP jetzt sogar von der PTI Imran Khans überflügelt und wäre dann nur drittstärkste Partei. Gemessen an den Umfrageergebnissen und den allgemeinen Erwartungen ist der Wahlausgang für die PTI trotzdem eher enttäuschend. Die Partei existiert schon seit 1996, war aber bis vor etwa zwei Jahren bedeutungslos. Seither hatte sie sich jedoch zur führenden Hoffnungsträgerin entwickelt. Khan, als ehemaliger Kapitän der pakistanischen Kricketmannschaft schon lange populär, ist heute der beliebteste Politiker des Landes und ein Volkstribun mit einer von sonst niemand erreichten Mobilisierungsfähigkeit. Er verbindet sein Bekenntnis zum Islam mit dem Eintreten für religiöse Toleranz und Gleichberechtigung der Geschlechter, für eine fortschrittliche Sozialpolitik und die Verfünffachung der Bildungsausgaben. Zugleich fordert er, sich aus der finanziellen und militärischen Abhängigkeit von den USA zu lösen und den Bürgerkrieg durch eine Politik der »nationalen Versöhnung« zu beenden, statt ihn immer mehr zu eskalieren. In die gleiche Richtung hat sich auch Wahlsieger Sharif in letzter Zeit geäußert.

Das dürfte allerdings an der Führung der Streitkräfte scheitern, deren Einfluß traditionell sehr groß ist. Kurz vor der Wahl wies Armeechef Ashfaq Parvez Kayani in einer Rede am »Märtyrertag« am 30. April jede Kritik am »Krieg gegen den Terror« scharf zurück und behauptete, dieser sei »Pakistans eigener Krieg«. »Es darf keinen Platz für Zweifel geben, wenn es um die Behandlung einer Rebellion gegen den Staat geht.«

Kayani war im Oktober 2004 vom Militärdiktator Musharraf zum Leiter des Geheimdienstes ISI und im November 2007 zum Armeechef gemacht worden. Wesentliche Teile seiner Ausbildung hat er an US-amerikanischen Militärakademien in Fort Leavenworth und Fort Benning absolviert. Pakistans nächste Regierung muß mit der latenten Drohung eines von der PPP und anderen Wahlverlierern unterstützten Militärputsches rechnen.

** Aus: junge welt, Montag, 13. Mai 2013


Grenzenloses Hoffen

Von Hilmar König ***

Überschwänglich feiern Medien in Islamabad und im Ausland den Wahlsieg der Pakistanischen Muslimliga unter dem reichen Industriellen Nawaz Sharif als »historischen Meilenstein«. Der 63-Jährige, der zum dritten Mal Premier werden kann, sprach gar von einem »Sieg des kleinen Mannes und der armen Leute«.

Was war historisch an dieser Wahl? Vielleicht, dass sich eine junge Partei, die Gerechtigkeitsbewegung des Sportidols Imran Khan, zwischen die traditionellen Kontrahenten schob. Doch kann sie als dritte Kraft auf dem politischen Parkett wirklich etwas bewegen?

Erstmals in der Geschichte Pakistans hatte eine regulär gewählte Zivilregierung ihre fünfjährige Amtszeit ohne Eingreifen des allmächtigen Militärs überstanden. Das ist in der Tat historisch. Ihr folgt erstmals nach einer trotz heftiger Gewaltausbrüche als »frei und fair« deklarierten Wahl eine weitere Zivilregierung. Was sie will und kann, muss sich jedoch erst zeigen. Ebenso, welchen Weg dieser Meilenstein markieren soll. Schiebt Sharif dem Extremismus und dem Terror einen Riegel vor? Wird er mit den Streitkräften in Konflikt geraten? Wie agiert seine Regierung nach dem Abzug der NATO aus Afghanistan? Arrangiert sie sich mit den Taliban? Wird die Atommacht Pakistan stabiler und berechenbarer? Und was werden die »siegreichen« kleinen und armen Leute von der Wachablösung in Islamabad haben? Deren Hoffnungen auf ein menschenwürdiges Leben sind grenzenlos.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 13. Mai 2013 (Kommentar)


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