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Prima Klima dank Unterwerfung

Unter neuem Regierungschef Sharif herrscht zwischen Pakistan und USA eitel Sonnenschein. Gemeinsames Feindbild ist Iran

Von Knut Mellenthin *

Ganz neue Töne waren zum Jahresende aus Islamabad zu vernehmen: Der seit Juni amtierende Premier Nawaz Sharif warnte davor, daß anhaltende Proteste gegen US-amerikanische Drohnenangriffe zur »Isolierung« seines Landes und zur »Entfremdung von der internationalen Gemeinschaft« führen könnten. In einer »globalisierten Welt« könne sich Pakistan »keine Isolation auf irgendeinem Gebiet« leisten. Als Oppositionspolitiker hatte der Chef der konservativen PML-N auch schon mal nationalistische Töne angeschlagen und der regierenden PPP vorgeworfen, sie trete nicht energisch genug auf, um in Washington die Einstellung der völkerrechtswidrigen Mordoperationen durchzusetzen. Seit seine Partei bei der Wahl vom 11. Mai einen Erdrutschsieg errang und über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt, hat Sharif jedoch dafür gesorgt, daß das Verhältnis zu den USA so herzlich ist wie schon lange nicht mehr.

Das ist nicht überraschend. Erstens hat der jetzt 64jährige Politiker schon in seinen beiden früheren Amtszeiten von 1990 bis 1993 und von 1997 bis 1999 eng und problemlos mit den USA zusammengearbeitet. Zweitens ist Sharif dem saudischen Regime geschäftlich, politisch und durch persönliche Freundschaften verbunden. Saudi-Arabien hatte ihm auch Asyl gewährt, als er im Oktober 1999 durch einen Staatsstreich des Militärs gestürzt wurde und sein Land verlassen mußte. Im Ziel, die traditionell recht guten Beziehungen Pakistans zum Nachbarland Iran zu beschädigen, decken sich saudische und US-amerikanische Interessen. Der neue Premier hat es innerhalb weniger Monate geschafft, eine Eiszeit zwischen Islamabad und Teheran herbeizuführen.

Noch vor zwei Jahren befand sich das amerikanisch-pakistanische Verhältnis auf einem Tiefpunkt. Vor allem drei Ereignisse waren 2011 dafür prägend gewesen. Im Januar tötete der CIA-Agent Raymond Davis in Lahore zwei Männer auf offener Straße durch Pistolenschüsse, weil er sich angeblich von ihnen bedroht gefühlt hatte. Mit Drohungen erreichte Präsident Barack Obama schließlich im März dessen straflose Freilassung. Am 2. Mai folgte die Kommandoaktion in Abbottabad, bei der angeblich Osama bin Laden erschossen wurde. Die Killertruppe war ohne Absprache mit der Regierung oder dem Militär Pakistans mit Hubschraubern eingeflogen worden.

Der schwerste Zwischenfall ereignete sich am 26. November 2011: Bei einem US-amerikanischen Luftangriff auf zwei pakistanische Grenzstellungen wurden 24 Soldaten getötet und elf weitere verletzt. Zur Begründung hieß es, daß zuvor eine aus US-Soldaten und Pakistanern bestehende Kampfgruppe von pakistanischer Seite aus beschossen worden sei. Als Washington jedes Wort der Entschuldigung verweigerte, reagierte Pakistan mit der Schließung der Transitwege, über die vom Hafen Karatschi aus militärischer Nachschub für den NATO-Krieg in Afghanistan transportiert wird. Die Sperrung wurde erst im Juli 2012 wieder aufgehoben. Während Islamabad anfangs eine umfassende Neugestaltung der Beziehungen zwischen beiden Staaten und eine angemessene finanzielle Vergütung für die Nutzung der Transitwege gefordert hatte, war zuletzt nur noch eine »Entschuldigung« der USA für die Attacke vom 26. November verlangt worden. Am Ende langte es nicht einmal dazu.

Sharif ist offensichtlich bemüht, derartige Konfrontationen von vornherein zu vermeiden. Die verbalen Protesterklärungen seines Außenministeriums zu den Drohnenangriffen sind mittlerweile zur bedeutlungslosen Routine verkommen. Selbst der Wortlaut ist jedes Mal exakt derselbe: Die Operationen seien kontraproduktiv, gefährdeten das Leben von Zivilpersonen und hätten »menschenrechtliche und humanitäre Implikationen«. In der letzten Oktoberwoche dieses Jahres besuchte Sharif – als erster pakistanischer Regierungschef seit fünf Jahren – Washington. Zur Feier des Tages gab die Obama-Administration bekannt, daß 1,5 Milliarden Dollar Militär- und Finanzhilfe für Pakistan, die seit 2011 »eingefroren« waren, nun freigegeben würden.

Die »Milliarden der amerikanischen Steuerzahler«, die angeblich seit Jahren nach Pakistan fließen, »ohne daß wir viel an Gegenleistung sehen«, sind ein populistisches Dauerthema von Hardlinern aus beiden großen Kongreßparteien in den USA. In Wirklichkeit ist Pakistans Beteiligung am US-geführten »Krieg gegen den Terror« ein zentraler Grund für seine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialprobleme. Maximal 20 Milliarden Dollar Aufwandsentschädigung, die das Land seit 2001 aus den USA erhalten haben soll, stehen rund 70 Milliarden gegenüber, die es durch diesen Krieg verloren hat. Außerdem verschiebt die US-Regierung die Zahlung längst vereinbarter Finanzmittel immer wieder, um Islamabad je nach Lage zu bestrafen oder zu belohnen. Der Kongreß hat vor drei Wochen den Verteidigungshaushalt mit einem entsprechenden Zusatz versehen: Danach soll Pakistan nur noch Geld bekommen, wenn das US-Außenministerium ausdrücklich bestätigt, daß die Transitwege frei sind und Pakistan weitere »konkrete Schritte« zur »Aufrechterhaltung der Sicherheit« unternommen hat.

Unterdessen werden die Blockadeaktionen gegen den NATO-Nachschub im Nordwesten Pakistans immer schwächer. Sie waren ohnehin im wesentlichen nur von der stärksten Oppositionspartei, der PTI, organisiert, von den meisten anderen Parteien aber giftig angefeindet worden. Unmittelbarer Auslöser war ein Drohnenangriff am 1. November, bei dem der Führer des größten pakistanischen Taliban-Netzwerks, Hakimullah Mehsud, getötet wurde. Einen Tag später hätten Vorgespräche für Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der Regierung beginnen sollen. Mehsud war an solchen Kontakten grundsätzlich interessiert. Sein Nachfolger lehnt sie schärfstens ab. Genau darauf hatte Barack Obama bei seinem Mordbefehl vermutlich spekuliert.

Seither liegen die Gesprächspläne auf Eis. Sharif hatte im Wahlkampf versprochen, sich für eine Lösung des bewaffneten Konflikts mit nichtmilitärischen Mitteln einzusetzen. Das entspricht dem Wunsch der Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung. Der Premier scheint jedoch nicht allzu traurig, daß die Chancen dafür derzeit verschüttet sind. Immer häufiger betont er die Notwendigkeit, »als allerletztes Mittel« doch wieder das Militär einzusetzen. Das ist allerdings ohnehin permanent dabei, in verschiedenen Teilen der sogenannten Stammesgebiete kleine, eng begrenzte Aktionen gegen die Aufständischen durchzuführen. Bei mehrtägigen Operationen in der Region Nordwasiristan, die am 19. Dezember begannen, wurden nach gut dokumentierten Berichten aus der Bevölkerung Dutzende von Nichtkombattanten durch Sicherheitskräfte getötet. Unter ihnen waren zahlreiche Lkw-Fahrer, die wegen der Verhängung der Ausgangssperre in einem Hotel übernachteten, ebenso wie Frauen und Kinder, die beim Beschuß ihrer Häuser ums Leben kamen. Das Militär streitet alles ab. Angaben zu zivilen Opfern der Kriegsführung werden grundsätzlich nicht gemacht. Journalisten und Vertreter von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen dürfen die Kampfzonen nicht betreten.

Nordwasiristan ist die einzige Region der Stammesgebiete, in der es in den vergangenen Jahren keine Großoffensive des Militärs gab. Die US-Regierung hatte schon 2008 und 2009 offen und penetrant eine solche Kampagne gefordert. Sie mußte sich aber den Argumenten der pakistanischen Militärführung geschlagen geben, daß die Streitkräfte nach den schweren Kämpfen im Swat-Tal während des Frühjahrs 2009 und nach den Angriffen in Südwasiristan zwischen Oktober und Dezember 2009 dringend eine Ruhepause bräuchten. Nicht gerade im jetzigen Winter, aber im Frühjahr 2014 könnten verstärkte Militärangriffe in Nordwasiristan erneut auf die Tagesordnung kommen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 31. Januar 2013


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