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Riskantes Spiel

Pakistan: Taliban gefährden durch Terrorwelle Verhandlungen mit Regierung

Von Knut Mellenthin *

Pakistans Regierung hat den einheimischen Taliban mit dem Abbruch der Friedensgespräche gedroht, die in der vorigen Woche aufgenommen worden waren. Den Aufständischen müsse klar sein, daß es keine Verhandlungen geben könne, wenn gleichzeitig die Terroraktionen fortgesetzt werden, sagte Innenminister Chaudhry Nisar Ali Khan am Donnerstag. Die von der konservativen PML-N geführte Regierung wird von den meisten Oppositionsparteien scharf dafür kritisiert, daß sie die Gespräche mit den Taliban begonnen hat, ohne die Einstellung der Gewalttaten zur Vorbedingung zu machen.

Nach Angaben oppositioneller Politiker wurden seit dem Start des »Dialogprozesses« Ende Januar bei 20 Terrorakten mehr als 120 Menschen getötet. Das bedeutet einen starken Anstieg. Die meisten Opfer sind Schiiten oder Angehörige anderer religiöser Minderheiten, Lehrer, medizinische Helfer und Sozialarbeiter. Die Regierung hat es vor diesem Hintergrund schwer, ihren Gesprächsversuch öffentlich zu rechtfertigen.

Außerdem wächst die Ungeduld der militärischen Führung, die in Pakistan seit der Staatsgründung 1947 traditionell eine bestimmende Stellung hat und mehrmals direkt die Macht übernahm. Die Militärs sehen die Verhandlungen – und deren voraussehbares Scheitern – in erster Linie als Schaffung der politischen Voraussetzungen für eine Großoffensive gegen die von den Taliban beherrschten Gebiete im Nordwesten. Vor zwei Wochen hatten pakistanische Medien detailliert, aber ohne präzise Quellenangaben gemeldet, daß Premier Nawaz Sharif der Militärspitze am 24. Januar während eines Geheimtreffens bereits grünes Licht gegeben habe. Allerdings wäre ein Feldzug mit Bodentruppen erst nach Ende des Winters, vermutlich frühestens Anfang April, möglich.

Am Donnerstag vor einer Woche waren die Vertreter von Regierung und Aufständischen zum ersten Mal zusammengetroffen. Die Taliban lassen sich in den Verhandlungen von bekannten Persönlichkeiten vertreten. Von anfangs fünf Personen, die sie für diese Gruppe nominiert hatten, sind aber nur noch zwei fundamentalistische Kleriker übriggeblieben, die ihnen sehr nahestehen, ohne daß man sie mit ihnen identifizieren könnte. Die politische Linie wird den beiden Klerikern von einem neunköpfigen Ausschuß der Aufständischen vorgegeben, dessen Mitglieder nicht öffentlich bekannt sind. Dieser wiederum untersteht der Aufsicht der Schura, einer Art Ältesten- und Kommandantenversammlung. Die größte pakistanische Taliban-Organisation, die TTP, ist genaugenommen nur ein Dachverband, der Dutzende von lokalen Gruppen unter einen Hut zu bringen versucht.

Entsprechend schwierig ist die politische Zuordnung und Einschätzung der Terroranschläge der letzten Wochen. Von zwei Bombenattentaten auf Kinos in Peschawar – zuletzt am Dienstag mit 13 Toten und mindestens 19 Verletzten – hat sich die TTP offiziell distanziert. Diese Anschläge scheinen auf das Konto einer örtlichen Gruppe zu gehen, die aber Teil der TTP ist. Unklar ist, wie weit die zentrale Leitung der Taliban hinter Videos steht, die in den letzten Tagen im Internet auftauchten. Darin werden die religiöse Minderheit der Ismailiten und ein ganz kleiner, etwa 3500 Menschen zählender Volksstamm, der seinen Ursprung auf den Feldzug Alexanders von Makedonien zurückführt, mit physischer Vernichtung bedroht, falls sie nicht zur sunnitischen Richtung des Islam übertreten.

Die Geduld der Regierung, des Militärs und einer breiten Bevölkerungsmehrheit wird auch durch den im Namen der TTP verbreiteten 15-Punkte-Plan für die Friedensgespräche strapaziert. Gefordert werden unter anderem die Einführung der Scharia als allein maßgebliche Gesetzgebung, die Schaffung eines »islamischen Erziehungssystems« an allen Schulen und die »Ersetzung des demokratischen Regierungssystems durch das islamische System«. Der Plan wurde von einem der Kleriker verbreitet, durch die sich die Aufständischen vertreten lassen. Ein TTP-Sprecher kommentierte, man habe keine Differenzen zu diesen Forderungen, habe aber ihre Veröffentlichung nicht veranlaßt

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. Februar 2014


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