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Auf verlorenem Posten

Mahmud Abbas fordert vor UN-Vollversammlung Anerkennung Palästinas als Nicht-Mitgliedsstaat. Zu Hause bröckelt für ihn die Unterstützung

Von Karin Leukefeld *

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, hat am Donnerstag (Ortszeit New York) vor der UN-Vollversammlung die Anerkennung der palästinensischen Gebiete als »Nicht-Mitgliedsstaat« gefordert. [Hier geht es zu seiner Rede: Abbas: "Israel verhindert die Zwei-Staaten-Lösung".] Da Israel die international unterstützte Zweistaatenlösung zurückweise und der Antrag auf UN-Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat bisher gescheitert sei, bliebe dieser Antrag für die Palästinenser die einzige Lösung, »als Staat Anerkennung« zu finden, sagte Abbas. Die Palästinenser hätten bereits »intensive Beratungen« mit regionalen Organisationen und UN-Mitgliedsstaaten begonnen, um eine entsprechende Resolution der derzeitigen 67. UN-Vollversammlung vorzulegen. Bis zu einer Entscheidung dürfte es ein weiteres Jahr dauern. »Wir sind zuversichtlich, daß die breite Mehrheit der Staaten der Welt unser Anliegen unterstützt«, sagte Abbas.

Den UN-Sicherheitsrat ermahnte er, sich dringend und verbindlich für die Zweistaatenlösung auszusprechen. Noch gebe es eine Chance dafür, »trotz aller Komplexität der Realität und aller Frustrationen«. Vielleicht wäre es »die letzte« Möglichkeit, sagte Abbas. »Mehr als je zuvor« sei die internationale Gemeinschaft in Form der Vereinten Nationen aufgefordert, ihre Verantwortung zu übernehmen.

Abbas trug eine lange Liste von israelischen Blockaden gegen die Palästinenser vor, darunter 535 Angriffe »terroristischer Milizen« der Siedler. Diese seien ein »Nebenprodukt des rassistischen Klimas durch die Kultur der Aufwiegelung«, die man in israelischen Schulbüchern und »extremistischen Äußerungen« finde. Sie strotzten vor Haß und wurzelten in vielen diskriminierenden Gesetzen gegen sein Volk. Mit Hauszerstörungen, Bauverboten und dem Entzug der Aufenthaltsgenehmigung mache Israel sich einer »ethnischen Säuberungskampagne in Jerusalem« schuldig, fuhr Abbas fort. Gleichzeitig würden Siedlungen in der Westbank gebaut und erweitert, der Gazastreifen werde »mit Blockaden und Angriffen erstickt«. Abbas prangerte die anhaltende israelische Besatzung von Ostjerusalem ebenso an, wie die »De-facto-Annektierung« großer Flächen in den besetzten palästinensischen Gebieten und die Weigerung, ernsthaft über die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge zu sprechen. Die Menschen lebten in Enklaven, die von großen israelischen Siedlungsblöcken, Mauern, Kontrollpunkten und ausgedehnten Sicherheitszonen und –straßen für die Siedler umgeben seien. Abbas erinnerte an die zentralen Punkte zur Beendigung des Nahostkonflikts: die Gründung eines unabhängigen Palästinas in den von Israel 1967 besetzten Gebieten mit Ostjerusalem als Hauptstadt und eine gerechte Lösung für die Flüchtlinge.

Vor einem Jahr hatte Abbas mit seiner Kampagne für die staatliche Anerkennung der Palästinenser durch die Vereinten Nationen noch Tausende auf die Straßen und hinter sich gebracht. Seine Rede vor der UN-Vollversammlung war damals live übertragen worden. Der aktuelle, verwässerte Antrag aber ließe die meisten Menschen kalt, offenbar wolle sich niemand mehr »falschen Hoffnungen« hingeben, beschrieb die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News am Freitag die Stimmung in Ramallah. Der Antrag 2011 war vom UN-Sicherheitsrat vertagt und zur Erörterung in einen juristischen Ausschuß abgeschoben worden.

»Wenn ich ehrlich bin, hören wir nur Gerede, von dem wir wissen, daß es zu nichts führt«, sagte Bauunternehmer Hussein Izzat einem Maan-Reporter. Er habe im vergangenen Jahr noch jedes Wort der Abbas-Rede in New York verfolgt, doch nun sei er »gelangweilt und deprimiert«. Yousef Rizqa, Berater von Ismail Hanija, dem Hamas-Chef im Gazastreifen, sagte, er sehe keinen großen Unterschied zwischen »einer Behörde unter Besatzung und einem Staat unter Besatzung«. Kernproblem sei die Besatzung, nicht die Sprachregelung. Abbas könne zwar schön reden, habe aber den Bezug zur Alltagsrealität der einfachen Leute verloren, meinte der Taxifahrer Mohammad Hammad. »Er hat keine Ahnung was es bedeutet, jeden Tag unter der Besatzung zu leben und von den wirtschaftlichen Bedingungen erdrosselt zu werden.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. September 2012


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