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Abbas behält die Ruhe

Neues palästinensisches Selbstbewusstsein nach der Statusaufwertung in der UNO

Von Oliver Eberhardt *

Die Palästinensische Autonomiebehörde hat sich in Staat Palästina umbenannt; das Schicksal der Osloer Verträge ist ungewiss. Während sich Fatah und Hamas einander annähern, hat Israels Militär seine Einsätze im Westjordanland ausgeweitet; immer wieder kommt es zu Zusammenstößen mit der Zivilbevölkerung.

Die Soldaten der Duvdewan-Einheit sind eine geheimnisvolle Truppe: Sie tragen im Einsatz keine Uniformen, kleiden sich und sprechen so wie die Bevölkerung in dem Gebiet, in dem sie unterwegs sind. Und wenn sie zuschlagen, innerhalb weniger Minuten, verschwinden sie ins Nichts und lassen nur Fragen zurück: Waren das Israelis? Palästinensische Sicherheitskräfte? Eine der vielen bewaffneten Gruppen?

Am Montagmorgen gaben sie selbst die Antwort: Die Soldaten hatten vor einem Wohnhaus in Nablus Stellung bezogen, als sie den Palästinensern auf der Straße zuriefen, sich fernzuhalten - auf Hebräisch. »Bemerkenswert« findet das ein Mitarbeiter der palästinensischen Polizei, »das war eine Provokation.« Und sie erreichte ihr Ziel: Sehr schnell versammelte sich eine wütende Menschenmenge, Steine wurden geworfen, Schüsse fielen.

Es war bereits das zweite Mal innerhalb von zwei Wochen, dass die Duvdewan so vorgingen und Proteste provozierten. Hinzu kommt eine Vielzahl von Einsätzen regulärer Armeeeinheiten im Westjordanland in den vergangenen Wochen. Man behalte sich vor, jederzeit und überall zu agieren, um die Sicherheit von Israelis zu schützen, begründet Israels rechts-religiöse Regierung die verstärkten Militäraktivitäten in palästinensischen Städten.

Und sie wirft der palästinensischen Führung unter Leitung von Präsident Mahmud Abbas vor, nach der Aufwertung zum Nichtmitgliedstaat bei den Vereinten Nationen Ende November radikaler zu werden, eine dritte Intifada zu planen, kein Partner für Friedensverhandlungen zu sein. Die Begründung: Bei den Protesten hätten palästinensische Sicherheitskräfte nicht eingegriffen und damit die Osloer Verträge verletzt, die eine Kooperation der Sicherheitsdienste vorsehen. Außerdem: Abbas dulde verstärkte Aktivitäten der Hamas im Westjordanland, die von Israel für eine Vielzahl von Anschlägen verantwortlich gemacht wird.

Im Büro von Abbas hingegen heißt es, man werde »keinen Bürgerkrieg anfangen«, weil ausgerechnet die Duvdewan, die bei Palästinensern verhassteste aller Armeeeinheiten, ihre »15 Minuten Ruhm verlangen«. Überhaupt: Was gerade mit den Abkommen mit Israel passiert, ist ohnehin unklar. So hat Israels Regierung direkt nach der Abstimmung in New York die Überweisung der Steuereinnahmen eingestellt. Und auf der palästinensischen Seite verschwindet gerade die Bezeichnung »Palästinensische Autonomiebehörde« in allen Varianten und wird durch »Staat Palästina« ersetzt. Gleichzeitig nähern sich die Fatah-Fraktion von Abbas und die im Gaza-Streifen regierende Hamas nach Jahren des Konflikts recht schnell einander an. Zum ersten Mal seit Jahren durften Anhänger der Fatah in Gaza wieder eine Kundgebung zum 48. Gründungstag ihrer Organisation abhalten, am Sonntag wurden erstmals wieder Fatah-nahe Zeitungen in dem konservativ beherrschten Landstrich verkauft. Und im Westjordanland darf die Hamas nun auch offiziell ihre Strukturen neu ordnen. In der vergangenen Woche traf sich Abbas zudem in Kairo mit Khaled Maschal, dem Vorsitzenden des Politbüros der Hamas und vereinbarte die Umsetzung des im April 2011 geschlossenen Versöhnungsabkommens, in dem die Bildung einer aus unabhängigen Politikern bestehenden Regierung bis zu einer Neuwahl des Parlaments vorgesehen ist. Am Montag sagten Sprecher beider Seiten, derzeit werde an den Details der Umsetzung gefeilt.

Angst vor der Reaktion Israels und des Westens habe man nicht mehr, sagt Saeb Erekat, Chefunterhändler der Regierung in Ramallah: »Die Entwicklungen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass wir weder finanziell noch politisch auf andere zählen können. Solange wir intern zerstritten sind, haben wir nicht die notwendige Stärke, um auf den Druck von außen zu antworten und unseren Staat aufzubauen.«

* Aus: neue deutschland, Dienstag, 15. Januar 2013


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