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Wer fürchtet sich vor Saladin?

Jerusalem/Al Quds war 2009 die arabische Kulturhauptstadt, doch Israel hatte etwas dagegen

Von Karin Leukefeld *

Die Kulturminister der in der UNESCO vertretenen arabischen Länder hatten Jerusalem zur arabischen Kulturhauptstadt 2009 erklärt. Israel aber lehnte dies ab und verbot alle diesbezüglichen Aktivitäten, weil es den israelischen Anspruch auf die ganze Stadt dadurch bedroht sah.

Es war der 2. Oktober 1187, als Salah ad-Din (bekannt als Saladin), Führer der Ayyubiden und Sprössling einer angesehenen kurdischen Aristokratenfamilie, Jerusalem von der fast hundertjährigen Besatzung der Kreuzritter befreite. Sein Heer hatte er angewiesen, sich ruhig zu verhalten, und so wurde die Heilige Stadt ohne Plünderungen und Morde eingenommen. Als in den Reihen des Heeres die Zerstörung der Grabeskirche gefordert wurde, um die Massaker zu sühnen, die die fränkischen Besatzer während ihrer Herrschaft verübt hatten, verstärkte Salah ad-Din die Wachen vor den christlichen Kultstätten als Zeichen dafür, dass die Christen unter seinem Schutz standen. Jerusalem sei weiter offen für christliche Pilger, ließ er verkünden, das Kreuz auf dem Felsendom allerdings wurde entfernt und die Al-Aqsa-Moschee, von den Kreuzrittern als Kirche genutzt, wurde wieder zum muslimischen Gotteshaus.

Begleitet von einer großen Schar seiner Kämpfer, zog Salah ad-Din von einer heiligen Stätte Jerusalems zur anderen, kniete nieder und betete. So berichten es Chronisten der damaligen Zeit, darunter Bahaeddin Ibn Chaddad, Berater und Vertrauter Salah ad-Dins bis zu dessen Tod 1193.

Noch heute ist der als tolerant beschriebene Salah ad-Din in Jerusalem präsent, sagt Nazmi Ju'beh, Professor für Geschichte und Archäologie und Direktor der RIWAQ-Stiftung für Denkmalschutz in Ramallah. Zwar werde sein Ansehen von manchen schon mal politisch genutzt, doch für alle Araber sei Salah ad-Din ein Symbol für Befreiung.

Nazmi Ju'beh wurde 1958 in Jerusalem geboren, seine Heimatstadt nennt er Al Quds, wie alle Araber. »Überall in der Altstadt hat Salah ad-Din seine Spuren hinterlassen, Moscheen und Gebäude, die er hat bauen lassen, sind bis heute erhalten«, sagt Ju'beh. Der Befreier sei auch für die Christen wichtig gewesen, fügt er hinzu: »Insbesondere für die griechisch-orthodoxen Christen, denn er gab ihnen alle Rechte zurück, die die europäischen Christen ihnen vorenthalten hatten. Den vertriebenen Juden erlaubte er die Rückkehr.« Traditionell sei Salah ad-Din für die orientalischen Juden »ein guter und gerechter Mann« gewesen, doch wenn sein Name heute genannt wird, »fürchtet sich mancher in Israel im Wissen darum, dass die Siedler die besetzten Gebieten verlassen sollen«.

Auch in der syrischen Hauptstadt Damaskus ist Salah ad-Din allgegenwärtig. Die Tanzgruppe Enana präsentierte zu seinen Ehren kürzlich ein Stück wochenlang vor ausverkauftem Haus. »2009 feiern wir Al Quds als Hauptstadt der arabischen Kultur, da gehört Salah ad-Din unbedingt dazu«, sagt Autor Yasser Ayoubi. »Als der Islam im 7. Jahrhundert in der Heiligen Stadt Einzug hielt, verpflichteten sich die muslimischen Führer, alle Religionen zu respektieren.« Auch Salah ad-Din habe sich daran gehalten, als er die Stadt von den Kreuzrittern befreite. »Man sollte sich an diese Zeit erinnern, weil es durchaus Parallelen zu heute gibt.« Damals sei die Stadt besetzt gewesen, heute sei sie wieder besetzt. Damals seien politische und wirtschaftliche Interessen mit religiösen Motiven übertüncht worden, heute sei das wieder so. Und auch damals habe man Gewalt gegen die Einheimischen angewandt, so wie der Staat Israel heute gegen die Palästinenser Gewalt anwende. In der Region sei man enttäuscht und frustriert, weil der Konflikt mit Israel kein Ende nehme und von großer Ungleichheit der beiden Parteien geprägt sei. »Selbst wenn wir einen politischen und militärischen Führer wie Salah ad-Din hätten, wäre die Frage, ob wir uns einen Kampf mit der anderen Seite zutrauen.«

Diese »andere Seite«, Israel, scheint sich ihrer Stärke aber auch nicht sicher zu sein, denn nicht einmal auf der Bühne durfte Salah ad-Din in der Kulturhauptstadt Al Quds in diesem Jahr in Erscheinung treten. Gefeiert wurde »in Ramallah, in Bethlehem, in Hebron und in Nablus«, erzählt Professor Nazmi Ju'beh. »Man hat die Kulturhauptstadt der arabischen Welt 2009 in Damaskus und in Amman gefeiert und sogar in Tunesien. Die Israelis aber verboten alles unter diesem Motto: Tanz, Musik, Ausstellungen, jede Art von künstlerischer Arbeit.« Israel wolle den arabischen Charakter der Stadt tilgen, ist der engagierte Denkmalschützer Ju'beh überzeugt. Doch selbst nach 42 Jahren israelischer Besatzung »gibt es die wahre, ursprüngliche Kultur der Stadt, die durch Mauern, Kontrollposten und illegale Siedlungen isoliert werden soll«.

Alte Karten von Jerusalem/Al Quds zeigen einen Ortskern, der in ein christliches, ein muslimisches, ein jüdisches und ein Viertel der Armenier eingeteilt ist. Nazmi Ju'beh lacht: »Das ist eine europäische Vorstellung von Jerusalem, so war das nie.« Die orientalischen Städte seien ethnisch und religiös immer gemischt gewesen, meint er. »Ich bin selber in einem Haus geboren, wo drei Familien zusammengelebt haben. Eine griechisch-orthodoxe, eine armenische und meine Familie, die islamisch ist.« Eine christliche Straße habe zur Grabeskirche geführt, aber das sei kein christliches Wohnviertel gewesen. »Gut, ein jüdisches Wohnviertel gab es seit dem 14. Jahrhundert«, räumt Ju'beh ein, doch das sei eher ein Häuserkomplex gewesen. »Das erste Mal in unserer Geschichte, als wirklich ein reines Wohnviertel für irgendeine Gruppe entstand, war nach 1967, als die Israelis einen Teil der Altstadt besetzten und als jüdisches Wohnviertel deklarierten. Nicht-Juden durften dort nicht mehr wohnen.«

Die neuen archäologischen Ausgrabungen Israels in der Jerusalemer Altstadt verfolgt Ju'beh mit Sorge. »Die ganzen Ausgrabungen in der Altstadt von Jerusalem und in deren Umgebung werden durch die Siedlerbewegung und ihre ausländischen Unterstützer finanziert. Archäologie soll die Ansiedlung der Siedler ermöglichen und die arabische Ausdehnung Ostjerusalems verhindern.«

Deutlich werde das in Silwan, südlich der Altstadt von Al Quds/Jerusalem. Das Gebiet sei von Israel als »Grüne Zone« deklariert worden, nun werde dort gegraben. »Statt es unbebaut zu lassen und als archäologische Ruine zu deklarieren, entsteht mitten in diesem Gebiet ein Zentrum für die Siedler«, empört sich Ju'beh. Einer Besatzungsmacht sei es nach internationalem Recht untersagt, auf besetztem Land archäologische Ausgrabungen vorzunehmen, es sei denn, es solle etwas erhalten werden. Doch in Silwan sollen die Häuser von 89 palästinensischen Familien abgerissen werden, um die »Gärten von Solomon« freizulegen, die sich angeblich dort befunden haben. Damit soll der israelische Anspruch auf Jerusalem als ewige Hauptstadt der Juden untermauert werden. »Nach 2000 Jahren beanspruchen die Israelis ein Rückkehrrecht nach Palästina«, empört sich Ju'beh. »Wenn das legitim ist, warum dürfen die palästinensischen Flüchtlinge nach 60 Jahren nicht zurückkehren?« Es sei eine Schande, wie Archäologen und Wissenschaftler sich zum Instrument der Siedler machten, sagt Nazmi Ju'beh, doch »ich bin froh, dass manche israelische Wissenschaftler aufgewacht sind und sagen: So geht das nicht.«

* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009


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