Zwischen Jerusalem und Ramallah:
Berliner Politik im Vorfeld der UN-Entscheidungen
Von Reiner Bernstein, z.Zt. Jerusalem
In den Vorberichten schien die Tür noch einen Spalt offen zu sein.
Inzwischen ist die deutsche Bundesregierung entschlossen, im UN-Sicherheitsrat und in der Vollversammlung zwischen dem 20. und 23.
September gegen die Anerkennung eines Staates Palästina zu stimmen –
die von jedem Staat durch den Austausch von Botschaftern bekräftigt
werden müsste – und gegen die palästinensische Vollmitgliedschaft in der
Weltorganisation aufzutreten. Entgegen manch optimistischen Stimmen in
der Europäischen Union will sich Berlin auch dagegen wehren, einen von
Frankreich und Spanien erarbeiteten und höchst komplexen „Paket“-
Kompromiss mitzutragen. Schon warnte nach einem Bericht der
Tageszeitung „Haaretz“ am 11. September ein hoher Diplomat des Berliner
Auswärtigen Amtes davor, die Bundesregierung dürfe sich europaweit nicht
der Gefahr ihrer Isolierung aussetzen.
Glaubte Benjamin („Bibi“) Netanjahu bislang, dass die Abstimmungen in
New York für Israel weitgehend folgenlos bleiben würden, so löste das
„Paket“ sofort scharfe Proteste aus. Denn die größte Aufmerksamkeit in
den israelischen Medien dieser Tage gilt nicht etwa der Zwei-Staaten-
Lösung – die in weiter Ferne liegt –, sondern sie kreist um die Sorge, dass sich selbst Staaten mit diplomatischer Präsenz in Tel Aviv veranlasst sehen könnten, israelische Staatsbürger aus Politik und Militär, denen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überstellen, sollten sie sich zu einem offiziellen oder privaten Besuch bei ihnen aufhalten.
Strategische Verbündete
Alles hänge nun, lautet die Botschaft der europäischen Diplomatie, vom
Wortlaut des palästinensischen Antrags ab – als ob die Regierung in
Jerusalem ihrer politischen Verantwortung enthoben sei. Deshalb sieht
Netanjahu (noch) keinen Anlass, seine Politik einem kräftigen Kursschwenk zu unterziehen, zumal da die strategischen Verbündeten, die USAdministration und die deutsche Bundesregierung, ihn ohne erkennbare
Gegenleistungen unterstützen. So haben die beiden US-Gesandten Dennis
Ross und David Hale am 08. September Machmud Abbas („Abu Mazen“)
damit gedroht, dass Washington die direkte Finanzunterstützung von
jährlich 50 Millionen US-Dollar – weitere rund 400 Millionen US-Dollar
laufen über Projekthilfen – bereits dann kürzen werde, wenn die
Autonomieregierung auf ihrem Vollantrag beharre. Jede Wählerstimme
zählt bei der Wiederwahl Barack Obamas im November 2012.
Vor dem Hintergrund des politisch-diplomatischen Immobilismus Amerikas,
das seinen angestammten Platz als Vormacht zu behaupten sucht, gewinnt
Europa allmählich an Eigenprofil. Der Ton Catherine Ashtons in den
Beziehungen zu den Palästinensern unterscheide sich von dem des USPräidenten, schrieb Akiva Eldar am 13. September in „Haaretz“: Während
Obama auf seine Freunde und pro-israelischen Förderer höre, könne sich
die EU-Außenbeauftragte bei ihrer bevorstehenden Begegnung mit Abbas
auf die Unterstützung der öffentlichen Meinung in Europa zugunsten eines
palästinensischen Staates verlassen.
Frieden durch Sicherheit oder Sicherheit durch Frieden?
Von der sozialpolitischen Dynamik in allen Teilen Israels seit Mitte Juli ist wenig übriggeblieben. „Wir werden uns von euch Dummköpfen nicht in den Tod treiben lassen“, schallte es Teilnehmern aus dem Munde religiöser Siedler und Nationalisten entgegen. Damit rächt sich, dass nur eine Minderheit unter den Demonstranten den Zusammenhang zwischen den Ursachen ihrer Alltagssorgen und den Staatsausgaben für die Präsenz in den palästinensischen Gebieten offen reflektiert hatte. Habe es noch des ultimativen Beweises bedurft, dass Frieden nur durch Sicherheit und nicht durch die Kombination beider Elemente erreicht werden könne, so sei er durch die Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo erbracht worden. Als nächste könne Amman folgen.
Dagegen wurde der Ausweisung des Botschafters aus Ankara zum 07.
September eine nachgeordnete Bedeutung beigemessen: Nachdem Recep
Tayyip Erdogan seine Drohung zurückgenommen hat, humanitäre
Lieferungen vor die Küsten des Gazastreifens von türkischen
Kriegsschiffen begleiten zu lassen, werde seine volle Aufmerksamkeit dem
kurdischen Vierländereck Türkei – Syrien – Irak – Iran gehören. Die
„Arabische Frühlingstour“ nach Ägypten, Tunesien und Libyen seit dem 12.
September gehöre eher in den Bereich der Mehrung des türkischen
Ansehens im arabischen Raum. Doch diese Geringschätzung könnte sich
noch bitter rächen. Denn wenn die gesamte Region vor ungewissen, aber
zweifellos grundlegenden Umbrüchen steht, wird auch Israel, das sein
Verständnis von Demokratie und sein existentielles Überleben von
autokratischen Modellen in einem Umfeld abhängig machte, von ihnen
nicht verschont bleiben.
Abu Mazens Dilemma
Der Druck, dem sich die Führung in Ramallah ausgesetzt sieht, ist ungleich größer als die internationale Einflussnahme auf Netanjahu und sein Kabinett mit Avigdor („Yvette“) Lieberman an der Spitze. Aber die
Erwartung, dass die palästinensische Öffentlichkeit mit wertlosen
Kompromissformeln zu beruhigen sei, ist pure Illusion. Abbas weiß, dass er politisch nur dann überlebt, wenn ein „non-state member“-Angebot à la
Vatikan den Willen zur Durchsetzung der Endstatus-Parameter einschließt
– mit zeitlichen Vorgaben und einem Kontrollmechanismus, der vor
Sanktionen im Falle von Vermeidungstaktiken nicht zurückschreckt. Eine
Nachgiebigkeit in Sachen „Jerusalem“ ist gänzlich ausgeschlossen, zumal
da Jordaniens Außenminister Nasser Judeh noch einmal darauf
hingewiesen hat, dass das Haschemitische Königshaus bei Verhandlungen
um Jerusalem beteiligt werden müsse.
Andererseits dürfte die entschiedene Aufwertung der nationalen Ansprüche
auf dem internationalen Parkett die Radikalen in allen Teilen Palästinas
marginalisieren. Auch Hamas wird sich besonders unter dem Druck der
Jugend des Gazastreifens erfolgreichen Verhandlungen nicht verschließen
können, und in der palästinensischen Gesellschaft insgesamt wird die
Vollmitgliedschaft eine politische und wirtschaftliche Aufbruchsstimmung in Gang setzen, die auch der Unabhängigkeit von ausländischen Transferleistungen zugute kommt.
Westerwelle vor Ort
Wie nicht anders zu erwarten, hat Guido Westerwelle am 11. September in
Amman der palästinensischen Unterstützung in New York eine Absage
erteilt. Tags darauf beschwor er gegenüber Netanjahu in Jerusalem die
politische Solidarität mit der Politik Israels. Zwar beharre die
Bundesregierung auf der Zwei-Staaten-Lösung als Resultat von
Verhandlungen, aber die entscheidende Frage sei, was dem
Friedensprozess diene und was ihn behindere. Für den Außenminister
scheint der Ball ausschließlich in Ramallah zu liegen, während der
Extremismus in Israel sein geringes Interesse findet, obwohl er seit Jahr und Tag große Teile des öffentlichen Lebens beherrscht.
Indem Westerwelle als Grundlinie beschrieb, die besonderen Beziehungen
zu Israel seien der Kompass und die Richtschnur seines diplomatischen
Handeln, folgte er der irrigen Annahme, die deutsche Bevölkerung würde ihm darin zustimmen. Doch kaum jemand mit Verstand wird der überwältigenden Mehrheit in Deutschland (76 Prozent) und in anderenStaaten Europas (69 Prozent in Frankreich und 59 Prozent in Großbritannien) vorwerfen, sie spreche sich aus antijüdischem Ressentiment für den Staat Palästina aus. Denn dieser wird an der Seite des Staates Israel leben, oder er wird nicht leben.
Beachten Sie bitte die Website von Judith und Dr. Reiner Bernstein: www.reiner-bernstein.de
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