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Ein Vorgriff auf Palästinas Zukunft

Praktische Fragen stehen im Vordergrund - das Grundsätzliche wird ausgeklammert

Von Roland Etzel *

Heute (24. Juni 2008) findet in Berlin eine »Konferenz zur Unterstützung der palästinensischen zivilen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit« statt. Es geht dabei - so die Vorstellungen der Veranstalter - sowohl um den Aufbau eines Polizeiapparates als auch eines entsprechenden Justizwesens.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es vor zwei Monaten bei ihrem Israel-Besuch verkündet. Jetzt geht das Ereignis mit Premierencharakter über die Bühne des Auswärtigen Amtes in Berlin: Deutschlands erste Nahostkonferenz. Doch wenn es denn Vorschusslorbeeren an die Gastgeber zu verteilen gäbe, gebührten sie weniger der Kanzlerin als dem Auswärtigen Amt und seinem Patron Frank-Walter Steinmeier, der in diesem Monat zum wiederholten Male im Nahen Osten auf Vermittlungstour unterwegs war.

Im Gegensatz zu Merkel, die während ihrer April-Visite anlässlich des Israel-Jubiläums die Begegnung mit Palästinensern mied, traf sich Steinmeier während seiner Nahostreisen sowohl mit Vertretern der Regierung Israels als auch der palästinensischen Autonomiebehörde - also der international respektierten Palästinenser-Vertretung. Und wenn man der Fama trauen darf, funktionieren auch die inoffiziellen Kanäle zu den im Westen als politische Schmuddelkinder behandelten Akteuren anderer relevanter palästinensischer Gruppen wie der Hamas.

Im Wortlaut: Die Konferenz-Beschlüsse **

Die "Sicherheitskonferenz Palästina" hat am 24. Juni 2008 in Berlin Grundsatzbeschlüsse für Aufbauhilfen der Polizei und der Justiz gefasst. Die Deutsche Presse-Agentur dpa dokumentiert die wichtigsten Punkte der Endfassung der Konferenz-Erklärung:
  • Die von der Palästinensischen Behörde vorgestellten Strategien für das Sicherheits- und Justizwesen wurden von den Teilnehmern begrüßt. Sie sagten den vorgeschlagenen Maßnahmen für den weiteren Aufbau dieser Bereiche ihre vollständige Unterstützung zu.
  • Die Teilnehmer (...) gaben ihrer Bereitschaft Ausdruck, die im Zusammenhang mit diesen Strategien vorgeschlagenen Projekte finanziell, politisch und praktisch zu unterstützen und zu erleichtern.
  • Die Teilnehmer unterstrichen die Bedeutung eines umfassenden, koordinierten und abgestimmten Ansatzes zur Reform des palästinensischen Sicherheitssektors und begrüßten die vorgeschlagene Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten (...), die zur Verbesserung der Dienstleistungen im Sicherheits- und Justizbereich sorgen sollen.
  • Sie (die Teilnehmer) begrüßten die geplante Erweiterung der (Polizei)-Mission EUPOL COPPS um eine Strafrechtskomponente und würdigten die Beiträge von Kanada und Norwegen zu EUPOL COPPS.
  • Die Teilnehmer wiesen darauf hin, dass die vorgeschlagenen Projekte schnell umgesetzt werden müssen. Sie begrüßten die von der Palästinensischen Behörde, vom Staat Israel, den USA und der EU benannten «Focal Points». Aufgabe dieser «Focal Points» ist es, durch koordinierte Bemühungen nach Umsetzung der Projekte Folgemaßnahmen zu treffen und somit für reibungslose und zeitnahe Lieferung von Resultaten zu sorgen.
** Quelle: Meldung von dpa, 24. Juni 2008



Wenngleich letztere in Berlin nicht vertreten sind, sitzen sie doch unsichtbar mit am Tisch. Denn erstens ist es schwer vorstellbar und wäre überdies eine politische Torheit, ihre Interessen und Vorstellungen unberücksichtigt zu lassen und sie damit geradezu zur Gegnerschaft jeglicher zivilstaatlicher Strukturen zu drängen. Zweitens scheint selbst in israelischen Regierungskreisen die Erkenntnis zu reifen, dass die Reduzierung von Hamas und Islamischem Dschihad auf Paria- und Terrororganisation propagandistisch ausgereizt ist. Wer Zivilgesellschaftliches erreichen will, muss zunächst Konfrontationen abbauen. Ausgrenzungen können dem nicht dienlich sein. Auf den Status der Gesprächskanäle kommt es dabei weniger an.

Ähnliches gilt für die palästinensische Autonomiebehörde und ihren Präsidenten Mahmud Abbas. Über die Wiederaufnahme des innerpalästinensischen Dialogs im fernen Senegal war zwar nichts Substanzielles zu erfahren, aber keine Nachrichten sind zumindest keine schlechten Nachrichten. Da von Hamas keine demonstrative Ablehnung der Berliner Konferenz zu vernehmen war, darf davon ausgegangen werden, dass Abbas in Berlin nach vielen Monaten erstmals wieder für mehr Palästina als nur Ramallah und Umgebung steht.

Was ist von den übrigen Teilnehmern zu erwarten, die entsprechend dem Grundanliegen der Konferenz die Hauptakteure sind? Von den USA wird stillschweigend erhofft, dass sie sich sozusagen als externe Schirmherren erweisen - im Sinne der von George W. Bush Ende November verkündeten Annapolis-Friedensstrategie. Und damit auch, dass sie anders als bei des Präsidenten jüngster Nahostvisite auf das Zerschlagen von politischem Porzellan verzichten. Das Geld und das Personal - denn Berlin ist eine Art Geberkonferenz - wird ohnehin von den üblichen Sponsoren aufgebracht: Das sind die EU, Japan, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten.

Dass die dafür gewünschten Zusagen eingehen, wird allgemein als problemlos angesehen. Aber dann? Dann ist die Konferenz einmal mehr an der Gretchenfrage des Nahen Ostens angekommen. Das Auswärtige Amt schreibt zwar über eine funktionierende Struktur in Justiz und Polizei völlig richtig, aber in selbst auferlegter Naivität: »Mit diesen Institutionen kann ein Staat Sicherheit und Ordnung durchsetzen...« Aber diesen Staat gibt es bekanntlich nicht. Die Berliner Akteure verhalten sich folglich wie Architekten, die sich mit der Inneneinrichtung der dritten Etage eines Hauses beschäftigen, dessen Fundament noch nicht gelegt ist und von dem niemand weiß, ob dies überhaupt jemals der Fall sein wird. So wenig es schaden kann, Strukturen zu schaffen, die im Falle des Falles sofort übernommen werden könnten, so wenig gute Erfahrungen gibt es damit im Falle Palästinas.

Schon ein Mal Mitte der 1990er Jahre waren im Zuge des Oslo-Friedensprozesses pragmatische Dinge vorgezogen worden, während die Grundfragen (Staatsproklamation, Grenzen, Flüchtlingsrückkehr) optimistisch auf später vertagt wurden. Die damals errichtete Infrastruktur, etwa die mit EU-Geldern gebauten Start- und Landebahnen in Ramallah, aber auch diverse Polizeistationen, wurden nach 2000 von israelischen Bombern gründlich zerstört. Steinmeier meint, es gehe darum, beiden Seiten, vor allem aber den Palästinensern, zu zeigen, dass sich nicht erst der Frieden, sondern schon der lange Weg dorthin lohne. Es wäre ihnen zu wünschen, dass dieser sich nicht wieder als Holzweg erweist.

Lexikon: Erklärte Ziele der Konferenz

EUPOL COPPS sollen aufgebaut werden

Die Polizeimission der Europäischen Union, European Union Police Mission - Coordinating Office for Palestinian Police Support (EUPOL COPPS), soll durch den Aufbau einer zivilen Polizei in den palästinensischen Gebieten einen Beitrag zur Sicherheit in der Region leisten. Die Mission begann im Januar 2006. An der Spitze der EUPOL COPPS steht der EU-Sondergesandte Marc Otte aus Belgien, Missionschef ist der ehemalige britische Offizier Colin Smith.

Die Mission ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Derzeit umfasst sie 33 Polizeibeamte aus insgesamt 14 Nationen. Deutschland stellt drei Polizeibeamte. Hinzu kommen ein ziviler Experte und ein auf zweiseitiger Basis entsandter Polizeiberater im Innenministerium in Ramallah im Westjordanland, dem Sitz der Mission.

Vorrangige Aufgabe der Polizeiberater sei die Definition von Projekten zum Aufbau der palästinensischen Polizei, sagt der deutsche Polizeiberater in Ramallah, Klaus-Peter Jördening. Es mangele »so ziemlich an allem« -- an Streifenwagen und Computern, Funkanlagen und Trainingseinrichtungen sowie Dienststellen. Bei der Berliner Konferenz geht es unter anderem auch darum, Gelder für diese Projekte und die Ausstattungshilfe zu gewinnen.

Fachlich seien die rund 6700 palästinensischen Polizisten sehr weit, sagt Jördening. Eine der wichtigsten Aufgaben sei der Aufbau eines eigenen Ausbildungs- und Trainingswesens, denn die Offiziere würden allesamt im Ausland geschult, unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Jordanien, Ägypten, der Türkei und in Griechenland. AFP/ND

Die Palästinenser

Das palästinensische Autonomiegebiet (bestehend aus Westjordangebiet und Gaza-Streifen) beträgt nach den Grenzen vom 5. Juni 1967 (also einschließlich der israelischen Siedlungen sowie der völkerrechtswidrig per Zaun abgetrennten Gebiete) etwa 6300 km². Davon entfallen 360 km² auf den Gaza-Streifen. Dort allerdings leben etwa 1,5 Millionen der derzeit innerhalb der Autonomiegebiete wohnenden vier Millionen Palästinenser.

Die palästinensische Autonomiebehörde wurde nach dem Oslo-Abkommen 1993 geschaffen. Echte Befugnisse hat sie derzeit jedoch allein auf der Westbank. Im Gaza-Streifen erfolgt die Verwaltung -- nach den Kämpfen von 2007 und der Niederlage der Fatah-Verbände -- ausschließlich durch die Hamas-Strukturen. Offiziell gibt es zwar Polizisten und zivile Beamte, jedoch wird die reale «Ordnungsmacht« von den bewaffneten Gruppen der palästinensischen Organisationen ausgeübt.



* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2008


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